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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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ander gegenüber stehen und von dem Wortkampf in den Kammern
auf die Arena der Straßenkampfe hinaus treten. Der belgische Clerus
hat es in zwei Revolutionen bewiesen, daß er den blutigen Straßen¬
kampf nicht scheut. Das haben Nothomb und seine Freunde wohl
verstanden, und darum haben sie das Biegen dem Brechen vorgezogen,
und wir glauben, dies ist die unter den hiesigen Verhältnissen einzig
gebotene Politik, wenn Belgien nicht allmählig die Schicksale der
Schweiz wiederspiegeln soll.

Um wieder auf die Polen zurück zu kommen, so werden Sie aus
den Zeitungen ersehen haben, daß ein belgischer Offizier, der in der
polnischen Sache compromittirt ist, in Preußen verhaftet wurde. Es
ist dies der Oberlieutnant Z., ein Pole, der nach den Ereignissen der
Jahre >83v und 3! in der belgischen Armee Dienste genommen hat
und einen tadellosen Ruf besitz. Vor einigen Monaten verlangte er
einen Paß, der ihm nicht verweigert werden konnte. Nun er ge-
fänglich eingezogen wurde, sind von Seiten der hiesigen Regierung
Schritte geschehen, daß er an Belgien und nicht an Rußland ausge¬
liefert werde, wo sein Schicksal ein gräßliches wäre; man zweifelt
auch nicht daran, daß der belgische Gesandte in Berlin billige Ohren
finden werde.


III.
Aus W ieu.

Erziehungswesen. -- Die französischen Gouvernanten. -- Heimat und Fremde.
-- Die Hofmeister. -- Gevatter Schneider und Handschuhmacher. -- Ein
Stoßseufzer. --

Erlauben Sie mir heute auf einen Gegenstand zurückzukommen,
über den ich Ihnen ebensowohl schon vor langen Jahren hätte schrei¬
ben können und der aller traurigen Wahrscheinlichkeit nach auch noch
einige Decennien hindurch zeitgemäß bleiben wird. Ich meine das
leidige Privatunterrichtswesen, wie es sich durch mannichfaltige Um¬
stände im Laufe der Zeiten bei uns ausgebildet hat. Sie brach¬
ten vor einiger Zeit einen Artikel über Oesterreichs Schulen, der wohl
einen allgemeinen Begriff vom österreichischen Staats-Schulenthume
giebt, aber in seiner Kürze nicht die einzelnen Mängel desselben schil¬
dern, noch aus die Folgen und Einwirkungen eingehen konnte, die es
für das Privatleben hat. Nicht Jedermann hat in Oesterreich
Zutrauen zu den öffentlichen, vom Staate eingesetzten, besoldeten und
beaufsichtigten Schulen. Und so hat sich das System des Hofmeister¬
und Gouvernantenthums in einer Weise ausgebildet, wie man es
sonst vielleicht in der ganzen civilisirten und uncivilisirten Welt nicht
kennt. Jeder Hausvater von nur einigem Vermögen, der aus seinen
Söhnen sogenannte gebildete Menschen machen will, sucht für sie el-


ander gegenüber stehen und von dem Wortkampf in den Kammern
auf die Arena der Straßenkampfe hinaus treten. Der belgische Clerus
hat es in zwei Revolutionen bewiesen, daß er den blutigen Straßen¬
kampf nicht scheut. Das haben Nothomb und seine Freunde wohl
verstanden, und darum haben sie das Biegen dem Brechen vorgezogen,
und wir glauben, dies ist die unter den hiesigen Verhältnissen einzig
gebotene Politik, wenn Belgien nicht allmählig die Schicksale der
Schweiz wiederspiegeln soll.

Um wieder auf die Polen zurück zu kommen, so werden Sie aus
den Zeitungen ersehen haben, daß ein belgischer Offizier, der in der
polnischen Sache compromittirt ist, in Preußen verhaftet wurde. Es
ist dies der Oberlieutnant Z., ein Pole, der nach den Ereignissen der
Jahre >83v und 3! in der belgischen Armee Dienste genommen hat
und einen tadellosen Ruf besitz. Vor einigen Monaten verlangte er
einen Paß, der ihm nicht verweigert werden konnte. Nun er ge-
fänglich eingezogen wurde, sind von Seiten der hiesigen Regierung
Schritte geschehen, daß er an Belgien und nicht an Rußland ausge¬
liefert werde, wo sein Schicksal ein gräßliches wäre; man zweifelt
auch nicht daran, daß der belgische Gesandte in Berlin billige Ohren
finden werde.


III.
Aus W ieu.

Erziehungswesen. — Die französischen Gouvernanten. — Heimat und Fremde.
— Die Hofmeister. — Gevatter Schneider und Handschuhmacher. — Ein
Stoßseufzer. —

Erlauben Sie mir heute auf einen Gegenstand zurückzukommen,
über den ich Ihnen ebensowohl schon vor langen Jahren hätte schrei¬
ben können und der aller traurigen Wahrscheinlichkeit nach auch noch
einige Decennien hindurch zeitgemäß bleiben wird. Ich meine das
leidige Privatunterrichtswesen, wie es sich durch mannichfaltige Um¬
stände im Laufe der Zeiten bei uns ausgebildet hat. Sie brach¬
ten vor einiger Zeit einen Artikel über Oesterreichs Schulen, der wohl
einen allgemeinen Begriff vom österreichischen Staats-Schulenthume
giebt, aber in seiner Kürze nicht die einzelnen Mängel desselben schil¬
dern, noch aus die Folgen und Einwirkungen eingehen konnte, die es
für das Privatleben hat. Nicht Jedermann hat in Oesterreich
Zutrauen zu den öffentlichen, vom Staate eingesetzten, besoldeten und
beaufsichtigten Schulen. Und so hat sich das System des Hofmeister¬
und Gouvernantenthums in einer Weise ausgebildet, wie man es
sonst vielleicht in der ganzen civilisirten und uncivilisirten Welt nicht
kennt. Jeder Hausvater von nur einigem Vermögen, der aus seinen
Söhnen sogenannte gebildete Menschen machen will, sucht für sie el-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/561>, abgerufen am 28.04.2024.