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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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sterreich und Preußen thäten nicht genug, um den nationalen Stolz
der Polen zu gewinnen und für sich in Anspruch zu nehmen; sie
sollten die historischen Erinnerungen des Landes zugleich mit den
Wappen, Namen und Titeln der frühern Könige auffrischen. Ein
umgekehrtes Verfahren sei durch die Wiener Congreßacte nicht nur
nicht ausbedungen, sondern verpönt. Es wäre aber jammervoll, wenn
man die Ruhe Europas nur dadurch sollte erhalten können, daß bei
einem edlen und einst so großen Volke das Gefühl seiner Würde
gewaltsam erstickt würde.

-- Die neapolitanische Polizei macht in ihrer heiligen Einfalt oft
ergötzliche Druckfehler. Unlängst confiscirte sie an der Grenze ein
ausländisches Buch über Galvanismus Sie verwechselte nämlich
Galvanismus mit Ealvinimus, und diesen wollte sie bei den jetzigen
Zeitläuften nicht passiren lassen, da man selbst in Neapel etwas von
den religiösen Unruhen im fernen Norden läuten hört. Ob nicht in
der That bei unsern kirchlichen Bewegungen einiger Galvanismus
im Spiel ist? Die wunderbaren Glaubenssprünge und die fanatischen
Attitüden innerhalb und außerhalb aller modernen Kirchen sehen gar
oft wie künstlich erzeugte galvanische Zuckungen aus.

-- Bisher wurden wohl politische Verbrecher aus Europa nach Ame¬
rika verbannt, aber nicht umgekehrt; und doch könnten die Amerika¬
ner eine Verbannung nach Europa mit größerem Recht für eine
Strafe ansehen. Es kommt freilich stets auf die Personen und ih¬
ren Geschmack an. Ein Hinterwnlder z. B. der an die unbeschränk¬
teste persönliche Freiheit gewöhnt ist, wird sich in den meisten unserer
wohlgeordneten Staaten im Kerker glauben, und ein adeliger Verbre¬
cher aus Europa müßte sich bei den Yankees zu Tode ennuyren. Un¬
sere unruhigen Köpfe dagegen gewöhnen sich drüben bald an den Man¬
gel an Gesetzüberfluß und machen, wenn sie Energie mit einigem Ta¬
lent verbinden, ihr Glück; eben so dürfte eine Zeit kommen, wo
Nordamerika seine politischen Verbrecher, nämlich amerikamüde aristo¬
kratische Verschwörer, zu uns verbannte, damit sie die Freiheit schätzen
lernen. Der erste Fall einer solchen Verbannung wird nächstens in
Südamerika stattfinden. General Santa Ccur, ehemaliger.Präsident
von Peru und Bolivia, soll, einem Vertrag zwischen den drei Repu¬
bliken gemäß, auf sechs Jahre nach Europa exilirt werden. Der Ar¬
me! Glücklicherweise ist er besser dran als unsere Seidenstickers und
Follens, denn man hat für seine Unterhaltung gesorgt und ihm eine
kleine Pension von 600" Dollars (30,000 Francs) jährlich ausge¬
setzt, so daß er im Stande sein wird, sich in Paris oder London das
Elend der Verbannung zu versüßen.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.

sterreich und Preußen thäten nicht genug, um den nationalen Stolz
der Polen zu gewinnen und für sich in Anspruch zu nehmen; sie
sollten die historischen Erinnerungen des Landes zugleich mit den
Wappen, Namen und Titeln der frühern Könige auffrischen. Ein
umgekehrtes Verfahren sei durch die Wiener Congreßacte nicht nur
nicht ausbedungen, sondern verpönt. Es wäre aber jammervoll, wenn
man die Ruhe Europas nur dadurch sollte erhalten können, daß bei
einem edlen und einst so großen Volke das Gefühl seiner Würde
gewaltsam erstickt würde.

— Die neapolitanische Polizei macht in ihrer heiligen Einfalt oft
ergötzliche Druckfehler. Unlängst confiscirte sie an der Grenze ein
ausländisches Buch über Galvanismus Sie verwechselte nämlich
Galvanismus mit Ealvinimus, und diesen wollte sie bei den jetzigen
Zeitläuften nicht passiren lassen, da man selbst in Neapel etwas von
den religiösen Unruhen im fernen Norden läuten hört. Ob nicht in
der That bei unsern kirchlichen Bewegungen einiger Galvanismus
im Spiel ist? Die wunderbaren Glaubenssprünge und die fanatischen
Attitüden innerhalb und außerhalb aller modernen Kirchen sehen gar
oft wie künstlich erzeugte galvanische Zuckungen aus.

— Bisher wurden wohl politische Verbrecher aus Europa nach Ame¬
rika verbannt, aber nicht umgekehrt; und doch könnten die Amerika¬
ner eine Verbannung nach Europa mit größerem Recht für eine
Strafe ansehen. Es kommt freilich stets auf die Personen und ih¬
ren Geschmack an. Ein Hinterwnlder z. B. der an die unbeschränk¬
teste persönliche Freiheit gewöhnt ist, wird sich in den meisten unserer
wohlgeordneten Staaten im Kerker glauben, und ein adeliger Verbre¬
cher aus Europa müßte sich bei den Yankees zu Tode ennuyren. Un¬
sere unruhigen Köpfe dagegen gewöhnen sich drüben bald an den Man¬
gel an Gesetzüberfluß und machen, wenn sie Energie mit einigem Ta¬
lent verbinden, ihr Glück; eben so dürfte eine Zeit kommen, wo
Nordamerika seine politischen Verbrecher, nämlich amerikamüde aristo¬
kratische Verschwörer, zu uns verbannte, damit sie die Freiheit schätzen
lernen. Der erste Fall einer solchen Verbannung wird nächstens in
Südamerika stattfinden. General Santa Ccur, ehemaliger.Präsident
von Peru und Bolivia, soll, einem Vertrag zwischen den drei Repu¬
bliken gemäß, auf sechs Jahre nach Europa exilirt werden. Der Ar¬
me! Glücklicherweise ist er besser dran als unsere Seidenstickers und
Follens, denn man hat für seine Unterhaltung gesorgt und ihm eine
kleine Pension von 600» Dollars (30,000 Francs) jährlich ausge¬
setzt, so daß er im Stande sein wird, sich in Paris oder London das
Elend der Verbannung zu versüßen.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0612] sterreich und Preußen thäten nicht genug, um den nationalen Stolz der Polen zu gewinnen und für sich in Anspruch zu nehmen; sie sollten die historischen Erinnerungen des Landes zugleich mit den Wappen, Namen und Titeln der frühern Könige auffrischen. Ein umgekehrtes Verfahren sei durch die Wiener Congreßacte nicht nur nicht ausbedungen, sondern verpönt. Es wäre aber jammervoll, wenn man die Ruhe Europas nur dadurch sollte erhalten können, daß bei einem edlen und einst so großen Volke das Gefühl seiner Würde gewaltsam erstickt würde. — Die neapolitanische Polizei macht in ihrer heiligen Einfalt oft ergötzliche Druckfehler. Unlängst confiscirte sie an der Grenze ein ausländisches Buch über Galvanismus Sie verwechselte nämlich Galvanismus mit Ealvinimus, und diesen wollte sie bei den jetzigen Zeitläuften nicht passiren lassen, da man selbst in Neapel etwas von den religiösen Unruhen im fernen Norden läuten hört. Ob nicht in der That bei unsern kirchlichen Bewegungen einiger Galvanismus im Spiel ist? Die wunderbaren Glaubenssprünge und die fanatischen Attitüden innerhalb und außerhalb aller modernen Kirchen sehen gar oft wie künstlich erzeugte galvanische Zuckungen aus. — Bisher wurden wohl politische Verbrecher aus Europa nach Ame¬ rika verbannt, aber nicht umgekehrt; und doch könnten die Amerika¬ ner eine Verbannung nach Europa mit größerem Recht für eine Strafe ansehen. Es kommt freilich stets auf die Personen und ih¬ ren Geschmack an. Ein Hinterwnlder z. B. der an die unbeschränk¬ teste persönliche Freiheit gewöhnt ist, wird sich in den meisten unserer wohlgeordneten Staaten im Kerker glauben, und ein adeliger Verbre¬ cher aus Europa müßte sich bei den Yankees zu Tode ennuyren. Un¬ sere unruhigen Köpfe dagegen gewöhnen sich drüben bald an den Man¬ gel an Gesetzüberfluß und machen, wenn sie Energie mit einigem Ta¬ lent verbinden, ihr Glück; eben so dürfte eine Zeit kommen, wo Nordamerika seine politischen Verbrecher, nämlich amerikamüde aristo¬ kratische Verschwörer, zu uns verbannte, damit sie die Freiheit schätzen lernen. Der erste Fall einer solchen Verbannung wird nächstens in Südamerika stattfinden. General Santa Ccur, ehemaliger.Präsident von Peru und Bolivia, soll, einem Vertrag zwischen den drei Repu¬ bliken gemäß, auf sechs Jahre nach Europa exilirt werden. Der Ar¬ me! Glücklicherweise ist er besser dran als unsere Seidenstickers und Follens, denn man hat für seine Unterhaltung gesorgt und ihm eine kleine Pension von 600» Dollars (30,000 Francs) jährlich ausge¬ setzt, so daß er im Stande sein wird, sich in Paris oder London das Elend der Verbannung zu versüßen. Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/612>, abgerufen am 29.04.2024.