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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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rigen, wenn irgend ein junger Schriftsteller einen heftigen Angriff gegen
diesen schleuderten, sowie er auch dem Bestreben entgegen arbeitete, die fla-
mändische Sprachbewegung hauptsächlich als ein Mittel des clericalen
Einflusses auf das Landvolk zu behandeln und auszubeuten. Anderer¬
seits aber tänzelte er die jungen Leute ab, wenn sie sich Uebergriffe zu
Schulden kommen ließen und durch heftige Polemik gegen die katholische
Partei die Flamingen unrer einander zu veruneinigen und in der einflu߬
reichen Geistlichkeit einen Feind heraufzubeschwören drohten. Und die
jüngern Männer fügten sich, obgleich etwas grollend, doch am Ende den
Anreden des jovialen und loyalen Weltmannes. Mit seinem Tode
ging nun dieses vermittelnde Element zu Grunde, der gemeinsame Füh¬
rer fehlt und es ist bis jetzt Niemand da, der sich geeignet zeigt, das Ver¬
trauen der verschiedenen Parteiungen in sich zu vereinigen und eine Au¬
torität über Alle auszuüben. Dieses ist ein großer Uebelstand. Denn
abgesehen von dem Parteizwist der Katholiken und Liberalen gibt es im
Schooße der flamändischen Bewegung noch einen Zwiespalt zwischen Ant¬
werpen und Gent den beiden Hauptstädten dieser wiederausstrcbenden Li¬
teratur. Die antwerper Schriftsteller, productiver und ruhiger, wie die
genter, und in letzterer Zeit durch die Erfolge, die Conscience mit seinen
Schriften und Dekane mit seinen Vlaemsch Belgien errungen, haben
stolzer und zuversichtlicher gemacht, wollen sich den etwas hofmeisterischen
Ton, den das gelehrtere Gent ihnen gegenüber annimmt, nicht gefallen
lassen. Gent bildet gewissermaßen den Herd der classischen Schule, die
noch an den Traditionen . der holländischen Literatur festhält, wahrend
Antwerpen, romantischer und jugendlicher, mehr und mehr der deutschen
sich anzuschließen versucht. Willens gab durch sein Uebergewicht den
Gentern mehr Schwerkraft, jetzt aber, wo er todt ist und die Schale sich
mehr und mehr den Antwerpnern zuneigt, steht zu befürchten, daß die
Genter erbittert werden und einen entschiedener" Bruch in dem noch so
jungen flamändischen Literarurbunde eintreten lassen. Mögen beide Par¬
teien die drohende Gefahr erkennen und über dem Grabe des edlen Todten
sich die Hände reichen, eingedenk des Nationalspruchs: Eentrachr macht
Kracht! (Eintracht gibt Kraft.)


III.
Die Heidelberger Historiker.

In Schmidts "Zeitschrift für Geschichte", einem periodischen Blatte,
welchem größere Verbreitung und namentlich Berücksichtigung auch von
nicht gelehrten Kreisen zu wünschen wäre, eröffnet der kieler Waitzeine
Reihe von Briefen über die deutschen Historiker der Gegenwart. Mit
etwas allzu parteilicher Vorliebe für die Norddeutschen vindicirt er die¬
sen eine größere Gelehrsamkeit und eine größere Objektivität, als die
süddeutschen Historiker besitzen, vor Allem aber ein Streben nach unbe¬
fangener Auffassung der historischen Wahrheit, während den Süddeut¬
schen der Vorwurf gemacht wird, daß sie mehr die Gegenwart im Auge
haben und sich ihrer Einwirkung auf die Auffassung und Beurtheilung
der historischen Entwickelung nicht entschlagen können. Allerdings muß


rigen, wenn irgend ein junger Schriftsteller einen heftigen Angriff gegen
diesen schleuderten, sowie er auch dem Bestreben entgegen arbeitete, die fla-
mändische Sprachbewegung hauptsächlich als ein Mittel des clericalen
Einflusses auf das Landvolk zu behandeln und auszubeuten. Anderer¬
seits aber tänzelte er die jungen Leute ab, wenn sie sich Uebergriffe zu
Schulden kommen ließen und durch heftige Polemik gegen die katholische
Partei die Flamingen unrer einander zu veruneinigen und in der einflu߬
reichen Geistlichkeit einen Feind heraufzubeschwören drohten. Und die
jüngern Männer fügten sich, obgleich etwas grollend, doch am Ende den
Anreden des jovialen und loyalen Weltmannes. Mit seinem Tode
ging nun dieses vermittelnde Element zu Grunde, der gemeinsame Füh¬
rer fehlt und es ist bis jetzt Niemand da, der sich geeignet zeigt, das Ver¬
trauen der verschiedenen Parteiungen in sich zu vereinigen und eine Au¬
torität über Alle auszuüben. Dieses ist ein großer Uebelstand. Denn
abgesehen von dem Parteizwist der Katholiken und Liberalen gibt es im
Schooße der flamändischen Bewegung noch einen Zwiespalt zwischen Ant¬
werpen und Gent den beiden Hauptstädten dieser wiederausstrcbenden Li¬
teratur. Die antwerper Schriftsteller, productiver und ruhiger, wie die
genter, und in letzterer Zeit durch die Erfolge, die Conscience mit seinen
Schriften und Dekane mit seinen Vlaemsch Belgien errungen, haben
stolzer und zuversichtlicher gemacht, wollen sich den etwas hofmeisterischen
Ton, den das gelehrtere Gent ihnen gegenüber annimmt, nicht gefallen
lassen. Gent bildet gewissermaßen den Herd der classischen Schule, die
noch an den Traditionen . der holländischen Literatur festhält, wahrend
Antwerpen, romantischer und jugendlicher, mehr und mehr der deutschen
sich anzuschließen versucht. Willens gab durch sein Uebergewicht den
Gentern mehr Schwerkraft, jetzt aber, wo er todt ist und die Schale sich
mehr und mehr den Antwerpnern zuneigt, steht zu befürchten, daß die
Genter erbittert werden und einen entschiedener» Bruch in dem noch so
jungen flamändischen Literarurbunde eintreten lassen. Mögen beide Par¬
teien die drohende Gefahr erkennen und über dem Grabe des edlen Todten
sich die Hände reichen, eingedenk des Nationalspruchs: Eentrachr macht
Kracht! (Eintracht gibt Kraft.)


III.
Die Heidelberger Historiker.

In Schmidts „Zeitschrift für Geschichte", einem periodischen Blatte,
welchem größere Verbreitung und namentlich Berücksichtigung auch von
nicht gelehrten Kreisen zu wünschen wäre, eröffnet der kieler Waitzeine
Reihe von Briefen über die deutschen Historiker der Gegenwart. Mit
etwas allzu parteilicher Vorliebe für die Norddeutschen vindicirt er die¬
sen eine größere Gelehrsamkeit und eine größere Objektivität, als die
süddeutschen Historiker besitzen, vor Allem aber ein Streben nach unbe¬
fangener Auffassung der historischen Wahrheit, während den Süddeut¬
schen der Vorwurf gemacht wird, daß sie mehr die Gegenwart im Auge
haben und sich ihrer Einwirkung auf die Auffassung und Beurtheilung
der historischen Entwickelung nicht entschlagen können. Allerdings muß


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[0138] rigen, wenn irgend ein junger Schriftsteller einen heftigen Angriff gegen diesen schleuderten, sowie er auch dem Bestreben entgegen arbeitete, die fla- mändische Sprachbewegung hauptsächlich als ein Mittel des clericalen Einflusses auf das Landvolk zu behandeln und auszubeuten. Anderer¬ seits aber tänzelte er die jungen Leute ab, wenn sie sich Uebergriffe zu Schulden kommen ließen und durch heftige Polemik gegen die katholische Partei die Flamingen unrer einander zu veruneinigen und in der einflu߬ reichen Geistlichkeit einen Feind heraufzubeschwören drohten. Und die jüngern Männer fügten sich, obgleich etwas grollend, doch am Ende den Anreden des jovialen und loyalen Weltmannes. Mit seinem Tode ging nun dieses vermittelnde Element zu Grunde, der gemeinsame Füh¬ rer fehlt und es ist bis jetzt Niemand da, der sich geeignet zeigt, das Ver¬ trauen der verschiedenen Parteiungen in sich zu vereinigen und eine Au¬ torität über Alle auszuüben. Dieses ist ein großer Uebelstand. Denn abgesehen von dem Parteizwist der Katholiken und Liberalen gibt es im Schooße der flamändischen Bewegung noch einen Zwiespalt zwischen Ant¬ werpen und Gent den beiden Hauptstädten dieser wiederausstrcbenden Li¬ teratur. Die antwerper Schriftsteller, productiver und ruhiger, wie die genter, und in letzterer Zeit durch die Erfolge, die Conscience mit seinen Schriften und Dekane mit seinen Vlaemsch Belgien errungen, haben stolzer und zuversichtlicher gemacht, wollen sich den etwas hofmeisterischen Ton, den das gelehrtere Gent ihnen gegenüber annimmt, nicht gefallen lassen. Gent bildet gewissermaßen den Herd der classischen Schule, die noch an den Traditionen . der holländischen Literatur festhält, wahrend Antwerpen, romantischer und jugendlicher, mehr und mehr der deutschen sich anzuschließen versucht. Willens gab durch sein Uebergewicht den Gentern mehr Schwerkraft, jetzt aber, wo er todt ist und die Schale sich mehr und mehr den Antwerpnern zuneigt, steht zu befürchten, daß die Genter erbittert werden und einen entschiedener» Bruch in dem noch so jungen flamändischen Literarurbunde eintreten lassen. Mögen beide Par¬ teien die drohende Gefahr erkennen und über dem Grabe des edlen Todten sich die Hände reichen, eingedenk des Nationalspruchs: Eentrachr macht Kracht! (Eintracht gibt Kraft.) III. Die Heidelberger Historiker. In Schmidts „Zeitschrift für Geschichte", einem periodischen Blatte, welchem größere Verbreitung und namentlich Berücksichtigung auch von nicht gelehrten Kreisen zu wünschen wäre, eröffnet der kieler Waitzeine Reihe von Briefen über die deutschen Historiker der Gegenwart. Mit etwas allzu parteilicher Vorliebe für die Norddeutschen vindicirt er die¬ sen eine größere Gelehrsamkeit und eine größere Objektivität, als die süddeutschen Historiker besitzen, vor Allem aber ein Streben nach unbe¬ fangener Auffassung der historischen Wahrheit, während den Süddeut¬ schen der Vorwurf gemacht wird, daß sie mehr die Gegenwart im Auge haben und sich ihrer Einwirkung auf die Auffassung und Beurtheilung der historischen Entwickelung nicht entschlagen können. Allerdings muß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/138>, abgerufen am 04.05.2024.