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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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i.
Zelts Wien.
I.

Der Papff. -- Ztufhebung der Judenstcucr in Ungarn und Böhmen. -- Erebit-
anstalt für den GewcvbSmann. -- Das "Bürgerdlatl". -- Censur. --
Amerling. -- Marschner.

Die Trauerzeit unseres gesellschaftlichen und theilweise öffentlichen
Lebens, die Hochsommersaison, ist nun mit ihrer ganzen Leerheit und
Langweiligkeit über uns eingebrochen, und die afrikanische Hitze wirrt
noch erschlaffender auf den ohnehin etwas trägeren Geschäftsgang in die¬
ser Zeit. Alles ist auf'S Land oder in die Bäder geflüchtet, vor einigen
Tagen hat auch Fürst Metternich Wien verlassen, um sein schönes Kö-
nigswart in Böhmen zu beziehen, wohin ihm, wie gewöhnlich, mehrere
der ausgezeichnetsten Personen der fremden Gesandtschaften folgen. Noch
vor seiner Abreise trafen aus Italien die Depeschen über das kluge, man
könnte sagen, liberale Auftreten des neuen Papstes ein. Wenn auch der
Kriegsfuß unserer Truppen im lombardisch-venetianischen Königreiche wohl
sobald noch nicht reducier wird, wie man es, schon der Ersparniß wegen,
wünschen möchte, so kann doch das Zurückziehen der österreichischen Es-
cadres vor Ancona als Zeichen eines gesicherteren Ruhestandes in Ita¬
lien betrachtet werden. Man betrachtet die Reformen des Papstes hier
mit um so größerer Theilnahme, als sie zum großen Theil unerwartet
gekommen sind. Man ist allgemein auf die erste Allocution gespannt,
weil alle bisherigen Maßnahmen seiner Seite nur mehr politischen als
religiösen Gepräges sind, und man noch nicht weiß, ob ein Hildebrand,
ob ein Ganganelli sich unter diesen birgt. Hier ist indeß bei uns eben¬
falls ein ziemlich unerwarteter Schritt geschehen; er betrifft die Juden
in Ungarn und Böhmen. Man weiß es, in wie gedrückten Verhält¬
nissen die Juden in Oesterreich leben, wie so mancher Paragraph der
bestehenden Juden-Patente durch die Intoleranz und das Erpressungs-
System der niederen Beamten ausgelegt wird, man weiß es in Oester¬
reich, daß jene Beamten die besten Nebeneinkünfte haben, die am
meisten mit Juden zu thun haben; denn natürlich, sobald der Jude


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i.
Zelts Wien.
I.

Der Papff. — Ztufhebung der Judenstcucr in Ungarn und Böhmen. — Erebit-
anstalt für den GewcvbSmann. — Das „Bürgerdlatl". — Censur. —
Amerling. — Marschner.

Die Trauerzeit unseres gesellschaftlichen und theilweise öffentlichen
Lebens, die Hochsommersaison, ist nun mit ihrer ganzen Leerheit und
Langweiligkeit über uns eingebrochen, und die afrikanische Hitze wirrt
noch erschlaffender auf den ohnehin etwas trägeren Geschäftsgang in die¬
ser Zeit. Alles ist auf'S Land oder in die Bäder geflüchtet, vor einigen
Tagen hat auch Fürst Metternich Wien verlassen, um sein schönes Kö-
nigswart in Böhmen zu beziehen, wohin ihm, wie gewöhnlich, mehrere
der ausgezeichnetsten Personen der fremden Gesandtschaften folgen. Noch
vor seiner Abreise trafen aus Italien die Depeschen über das kluge, man
könnte sagen, liberale Auftreten des neuen Papstes ein. Wenn auch der
Kriegsfuß unserer Truppen im lombardisch-venetianischen Königreiche wohl
sobald noch nicht reducier wird, wie man es, schon der Ersparniß wegen,
wünschen möchte, so kann doch das Zurückziehen der österreichischen Es-
cadres vor Ancona als Zeichen eines gesicherteren Ruhestandes in Ita¬
lien betrachtet werden. Man betrachtet die Reformen des Papstes hier
mit um so größerer Theilnahme, als sie zum großen Theil unerwartet
gekommen sind. Man ist allgemein auf die erste Allocution gespannt,
weil alle bisherigen Maßnahmen seiner Seite nur mehr politischen als
religiösen Gepräges sind, und man noch nicht weiß, ob ein Hildebrand,
ob ein Ganganelli sich unter diesen birgt. Hier ist indeß bei uns eben¬
falls ein ziemlich unerwarteter Schritt geschehen; er betrifft die Juden
in Ungarn und Böhmen. Man weiß es, in wie gedrückten Verhält¬
nissen die Juden in Oesterreich leben, wie so mancher Paragraph der
bestehenden Juden-Patente durch die Intoleranz und das Erpressungs-
System der niederen Beamten ausgelegt wird, man weiß es in Oester¬
reich, daß jene Beamten die besten Nebeneinkünfte haben, die am
meisten mit Juden zu thun haben; denn natürlich, sobald der Jude


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[0229] T a g e b u c!;. i. Zelts Wien. I. Der Papff. — Ztufhebung der Judenstcucr in Ungarn und Böhmen. — Erebit- anstalt für den GewcvbSmann. — Das „Bürgerdlatl". — Censur. — Amerling. — Marschner. Die Trauerzeit unseres gesellschaftlichen und theilweise öffentlichen Lebens, die Hochsommersaison, ist nun mit ihrer ganzen Leerheit und Langweiligkeit über uns eingebrochen, und die afrikanische Hitze wirrt noch erschlaffender auf den ohnehin etwas trägeren Geschäftsgang in die¬ ser Zeit. Alles ist auf'S Land oder in die Bäder geflüchtet, vor einigen Tagen hat auch Fürst Metternich Wien verlassen, um sein schönes Kö- nigswart in Böhmen zu beziehen, wohin ihm, wie gewöhnlich, mehrere der ausgezeichnetsten Personen der fremden Gesandtschaften folgen. Noch vor seiner Abreise trafen aus Italien die Depeschen über das kluge, man könnte sagen, liberale Auftreten des neuen Papstes ein. Wenn auch der Kriegsfuß unserer Truppen im lombardisch-venetianischen Königreiche wohl sobald noch nicht reducier wird, wie man es, schon der Ersparniß wegen, wünschen möchte, so kann doch das Zurückziehen der österreichischen Es- cadres vor Ancona als Zeichen eines gesicherteren Ruhestandes in Ita¬ lien betrachtet werden. Man betrachtet die Reformen des Papstes hier mit um so größerer Theilnahme, als sie zum großen Theil unerwartet gekommen sind. Man ist allgemein auf die erste Allocution gespannt, weil alle bisherigen Maßnahmen seiner Seite nur mehr politischen als religiösen Gepräges sind, und man noch nicht weiß, ob ein Hildebrand, ob ein Ganganelli sich unter diesen birgt. Hier ist indeß bei uns eben¬ falls ein ziemlich unerwarteter Schritt geschehen; er betrifft die Juden in Ungarn und Böhmen. Man weiß es, in wie gedrückten Verhält¬ nissen die Juden in Oesterreich leben, wie so mancher Paragraph der bestehenden Juden-Patente durch die Intoleranz und das Erpressungs- System der niederen Beamten ausgelegt wird, man weiß es in Oester¬ reich, daß jene Beamten die besten Nebeneinkünfte haben, die am meisten mit Juden zu thun haben; denn natürlich, sobald der Jude 29-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/229>, abgerufen am 04.05.2024.