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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Nicht blos, daß wissenschaftlichen oder literarischen Bestrebungen,
denen nur vorzuwerfen ist, daß sie mit der in einem bestimmten Staate
herrschenden Richtung nicht übereinstimmen, der Zugang zu dem von den
Grenzen dieses Staates umschlossenen wissenschaftlichen Schätzen, die doch
eigentlich ein Gesammtgut des Volksgeistes sind, der sie erzeugte, abge¬
schnitten wird; nicht blos, daß der Staat selbst, sein Gebiet dessen Be¬
wohner der unmittelbaren Beobachtung und Anschauung dieser Anders¬
meinenden nach dem Vorbilde Japan's entzogen wird; die verflochtene
Lage der deutschen Bundesstaaten macht das Verbot fast zum Hemmnisse
des Reifens in unserm deutschen Vaterlande. Das ist wenigstens nicht
im allgemeinen Geiste des neunzehnten Jahrhunderts. Was würde die
englische Regierung zu einer nur auf diese Weise motivirten Ausweisung
ihrer Unterthanen sagen? Würde man zum Beispiel Herrn Nerling,
dem Redacteur der Times, die so gehässige Angrisse gegen Preußen
gebracht hat, wie sie einem deutschen Blatte schon der allgemeine Unwille
nicht nachsehen würde, den Aufenthalt versagen? Wir glauben nicht;
wir glauben, daß man dem andersdenkenden Auslande gegenüber schon
aus deutschem Nationalstolz die Pflichten der Gastfreundschaft auf's
rigoureufeste beobachten würde. Und will man nun den Stammgenossen
gegenüber gleich dem Hausvater verfahren, der für Fremde aus Eitelkeit
den besten Wein herauf holen laßt, mit den Familienmitgliedern dagegen
keine Umstände macht, und es bei ihnen wieder abspart?


II.
Aus Wien.

Conseriptions-Zustände. -- Die Militärärzte. -- Marine und Matrosen. -- Der
schwedische Kronprinz. -- Die Landwirthe in Grätz. -- Rau und List. --
Schleswig-Holstein. -- Das Burgtheater.

Ein neues Patent sieht bald seiner Veröffentlichung entgegen, welches
sozusagen als Ergänzung des Patents von der herabgesetzten militärischen
Capitulationszeit gewiß allseitig mit voller Freude aufgenommen werden wird.
Es wird nämlich nächstens das Patent über das Loos ziehen der Mi¬
litärpflichtiger erwartet, eine Veränderung des bis jetzt bestehenden Ver¬
fahrens, welches wieder der Corruption und Bestechlichkeit von einer neuen
Seite die Thüre schließt. Denn man muß nur das bisherige Verfahren
bei unseren Rekrutirungen kennen, um es unbegreiflich zu finden, wie
man so schreiende Mißbräuche so lange Jahre ohne Abhilfe bestehen lassen
kann. Denn bei uns hatte nicht allein der Arzt über die Tauglichkeit
oder Untauglichkeit des Rekruten zu entscheiden, sondern es sind sehr oft
Fälle vorgekommen, wo einer oder der andere der anwesenden Commando-
Ofsiziere auf seine Verantwortung einen der Rekruten als tauglich er¬
klärte , wenn auch der Arzt auf das Entschiedenste sich dagegen aussprach.
Das Dictatorische: auf meine Verantwortung! entschied oft bei manchem
Privathasse, bei mancher Privatrache, und in dem Untersuchungszimmer


Nicht blos, daß wissenschaftlichen oder literarischen Bestrebungen,
denen nur vorzuwerfen ist, daß sie mit der in einem bestimmten Staate
herrschenden Richtung nicht übereinstimmen, der Zugang zu dem von den
Grenzen dieses Staates umschlossenen wissenschaftlichen Schätzen, die doch
eigentlich ein Gesammtgut des Volksgeistes sind, der sie erzeugte, abge¬
schnitten wird; nicht blos, daß der Staat selbst, sein Gebiet dessen Be¬
wohner der unmittelbaren Beobachtung und Anschauung dieser Anders¬
meinenden nach dem Vorbilde Japan's entzogen wird; die verflochtene
Lage der deutschen Bundesstaaten macht das Verbot fast zum Hemmnisse
des Reifens in unserm deutschen Vaterlande. Das ist wenigstens nicht
im allgemeinen Geiste des neunzehnten Jahrhunderts. Was würde die
englische Regierung zu einer nur auf diese Weise motivirten Ausweisung
ihrer Unterthanen sagen? Würde man zum Beispiel Herrn Nerling,
dem Redacteur der Times, die so gehässige Angrisse gegen Preußen
gebracht hat, wie sie einem deutschen Blatte schon der allgemeine Unwille
nicht nachsehen würde, den Aufenthalt versagen? Wir glauben nicht;
wir glauben, daß man dem andersdenkenden Auslande gegenüber schon
aus deutschem Nationalstolz die Pflichten der Gastfreundschaft auf's
rigoureufeste beobachten würde. Und will man nun den Stammgenossen
gegenüber gleich dem Hausvater verfahren, der für Fremde aus Eitelkeit
den besten Wein herauf holen laßt, mit den Familienmitgliedern dagegen
keine Umstände macht, und es bei ihnen wieder abspart?


II.
Aus Wien.

Conseriptions-Zustände. — Die Militärärzte. — Marine und Matrosen. — Der
schwedische Kronprinz. — Die Landwirthe in Grätz. — Rau und List. —
Schleswig-Holstein. — Das Burgtheater.

Ein neues Patent sieht bald seiner Veröffentlichung entgegen, welches
sozusagen als Ergänzung des Patents von der herabgesetzten militärischen
Capitulationszeit gewiß allseitig mit voller Freude aufgenommen werden wird.
Es wird nämlich nächstens das Patent über das Loos ziehen der Mi¬
litärpflichtiger erwartet, eine Veränderung des bis jetzt bestehenden Ver¬
fahrens, welches wieder der Corruption und Bestechlichkeit von einer neuen
Seite die Thüre schließt. Denn man muß nur das bisherige Verfahren
bei unseren Rekrutirungen kennen, um es unbegreiflich zu finden, wie
man so schreiende Mißbräuche so lange Jahre ohne Abhilfe bestehen lassen
kann. Denn bei uns hatte nicht allein der Arzt über die Tauglichkeit
oder Untauglichkeit des Rekruten zu entscheiden, sondern es sind sehr oft
Fälle vorgekommen, wo einer oder der andere der anwesenden Commando-
Ofsiziere auf seine Verantwortung einen der Rekruten als tauglich er¬
klärte , wenn auch der Arzt auf das Entschiedenste sich dagegen aussprach.
Das Dictatorische: auf meine Verantwortung! entschied oft bei manchem
Privathasse, bei mancher Privatrache, und in dem Untersuchungszimmer


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[0552] Nicht blos, daß wissenschaftlichen oder literarischen Bestrebungen, denen nur vorzuwerfen ist, daß sie mit der in einem bestimmten Staate herrschenden Richtung nicht übereinstimmen, der Zugang zu dem von den Grenzen dieses Staates umschlossenen wissenschaftlichen Schätzen, die doch eigentlich ein Gesammtgut des Volksgeistes sind, der sie erzeugte, abge¬ schnitten wird; nicht blos, daß der Staat selbst, sein Gebiet dessen Be¬ wohner der unmittelbaren Beobachtung und Anschauung dieser Anders¬ meinenden nach dem Vorbilde Japan's entzogen wird; die verflochtene Lage der deutschen Bundesstaaten macht das Verbot fast zum Hemmnisse des Reifens in unserm deutschen Vaterlande. Das ist wenigstens nicht im allgemeinen Geiste des neunzehnten Jahrhunderts. Was würde die englische Regierung zu einer nur auf diese Weise motivirten Ausweisung ihrer Unterthanen sagen? Würde man zum Beispiel Herrn Nerling, dem Redacteur der Times, die so gehässige Angrisse gegen Preußen gebracht hat, wie sie einem deutschen Blatte schon der allgemeine Unwille nicht nachsehen würde, den Aufenthalt versagen? Wir glauben nicht; wir glauben, daß man dem andersdenkenden Auslande gegenüber schon aus deutschem Nationalstolz die Pflichten der Gastfreundschaft auf's rigoureufeste beobachten würde. Und will man nun den Stammgenossen gegenüber gleich dem Hausvater verfahren, der für Fremde aus Eitelkeit den besten Wein herauf holen laßt, mit den Familienmitgliedern dagegen keine Umstände macht, und es bei ihnen wieder abspart? II. Aus Wien. Conseriptions-Zustände. — Die Militärärzte. — Marine und Matrosen. — Der schwedische Kronprinz. — Die Landwirthe in Grätz. — Rau und List. — Schleswig-Holstein. — Das Burgtheater. Ein neues Patent sieht bald seiner Veröffentlichung entgegen, welches sozusagen als Ergänzung des Patents von der herabgesetzten militärischen Capitulationszeit gewiß allseitig mit voller Freude aufgenommen werden wird. Es wird nämlich nächstens das Patent über das Loos ziehen der Mi¬ litärpflichtiger erwartet, eine Veränderung des bis jetzt bestehenden Ver¬ fahrens, welches wieder der Corruption und Bestechlichkeit von einer neuen Seite die Thüre schließt. Denn man muß nur das bisherige Verfahren bei unseren Rekrutirungen kennen, um es unbegreiflich zu finden, wie man so schreiende Mißbräuche so lange Jahre ohne Abhilfe bestehen lassen kann. Denn bei uns hatte nicht allein der Arzt über die Tauglichkeit oder Untauglichkeit des Rekruten zu entscheiden, sondern es sind sehr oft Fälle vorgekommen, wo einer oder der andere der anwesenden Commando- Ofsiziere auf seine Verantwortung einen der Rekruten als tauglich er¬ klärte , wenn auch der Arzt auf das Entschiedenste sich dagegen aussprach. Das Dictatorische: auf meine Verantwortung! entschied oft bei manchem Privathasse, bei mancher Privatrache, und in dem Untersuchungszimmer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/552>, abgerufen am 04.05.2024.