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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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werksmäßige Eintrichternng des dogmatischen Hergebrachten abgesehen
zu sein.


VI.

Ans der Kirche verfügten wir uns in die Wohnung eines alter-
thnmliebenden und sinnigen Mannes, des Herrn siens, welcher
uns den Befund eines vor nicht langer Zeit auf einem Felde der
Insel aufgedeckten urzeitlichen Grabes vorzeigte. Der Bestattete war
dem Anscheine nach ein jugendlicher Held gewesen: feingeformte, ele¬
gante Schenkelknochen, deutend auf hehre Gestalt, fanden sich vor;
desgleichen gut erhaltene Zähne. Wie es um den Schädel und son¬
stige Theile des Gerippes bestellt gewesen, erfuhren wir nicht; das
Meiste war nach dem Aufbringen an die freie Luft zerstiebt. Das
Eisen eines Streithammerö bekamen wir zu sehen; desgleichen einen
starken Golddraht, der in der Gegend des Gürtels gelegen hatte und
vielleicht zu dessen Befestigung oder Ornamente gedient hatte. Herr
siens hat über die Antiquitäten der Insel interessante Studien ge¬
macht und sein Gespräch war für uns sehr unterrichtend. Gleichwohl
befindet man sich bei diesen nordischen Alterthümern auf einem Felde,
wo man, als waltete noch der Zauber der alten Herenringe, ans
Einem Zirkel in den andern geräth und zu einem klaren und baaren
Resultate, wie es eine dnrch Quellenzeugnisse, dergleichen die Vorzeit
Griechenlands und Roms darbietet, geförderte Geschichtsforschung mög¬
lich macht, nicht gelangen kann.

Nach Tische ward von zahlreicher Gesellschaft in luftig bewim¬
pelten, wetteifernden Booten die beliebte Fahrt um die Insel angestellt,
um sich den Eindruck der Meeresarbeit an diesem Felsen und ihrer
durch das Element bewirkten Formationen durchweg einzuprägen. Man
fährt durchaus auf ehemaligem Landgrunde hin, welcher dem Wasser
bald einen rothen, bald einen weißen Durchblick verleiht. Weißer Sand
steht in dem Badestrande zu Tage, welcher, jetzt um ein Paartausend
Fuß südöstlich von der Insel als eine einige zwanzig Fuß über die
Meeresfläche ansteigende Düne für sich liegend, so daß die Badenden
allmorgentlich dahin übergefahren werden müssen, erst im Jahre 1720
durch eine Sturmflut!) von dem kleinen Continente getrennt wurde.
Man sieht die unter obwaltenden Umständen unabwendbare Epoche
voraus, wo Helgoland, ein schweizerisches Felsberg im Meere, ein¬
sinken und von den Wetten verschlungen werden muß. Als unheim¬
lichen Vorboten dieser Katastrophe sehen es die Schiffer an, daß ihrer


werksmäßige Eintrichternng des dogmatischen Hergebrachten abgesehen
zu sein.


VI.

Ans der Kirche verfügten wir uns in die Wohnung eines alter-
thnmliebenden und sinnigen Mannes, des Herrn siens, welcher
uns den Befund eines vor nicht langer Zeit auf einem Felde der
Insel aufgedeckten urzeitlichen Grabes vorzeigte. Der Bestattete war
dem Anscheine nach ein jugendlicher Held gewesen: feingeformte, ele¬
gante Schenkelknochen, deutend auf hehre Gestalt, fanden sich vor;
desgleichen gut erhaltene Zähne. Wie es um den Schädel und son¬
stige Theile des Gerippes bestellt gewesen, erfuhren wir nicht; das
Meiste war nach dem Aufbringen an die freie Luft zerstiebt. Das
Eisen eines Streithammerö bekamen wir zu sehen; desgleichen einen
starken Golddraht, der in der Gegend des Gürtels gelegen hatte und
vielleicht zu dessen Befestigung oder Ornamente gedient hatte. Herr
siens hat über die Antiquitäten der Insel interessante Studien ge¬
macht und sein Gespräch war für uns sehr unterrichtend. Gleichwohl
befindet man sich bei diesen nordischen Alterthümern auf einem Felde,
wo man, als waltete noch der Zauber der alten Herenringe, ans
Einem Zirkel in den andern geräth und zu einem klaren und baaren
Resultate, wie es eine dnrch Quellenzeugnisse, dergleichen die Vorzeit
Griechenlands und Roms darbietet, geförderte Geschichtsforschung mög¬
lich macht, nicht gelangen kann.

Nach Tische ward von zahlreicher Gesellschaft in luftig bewim¬
pelten, wetteifernden Booten die beliebte Fahrt um die Insel angestellt,
um sich den Eindruck der Meeresarbeit an diesem Felsen und ihrer
durch das Element bewirkten Formationen durchweg einzuprägen. Man
fährt durchaus auf ehemaligem Landgrunde hin, welcher dem Wasser
bald einen rothen, bald einen weißen Durchblick verleiht. Weißer Sand
steht in dem Badestrande zu Tage, welcher, jetzt um ein Paartausend
Fuß südöstlich von der Insel als eine einige zwanzig Fuß über die
Meeresfläche ansteigende Düne für sich liegend, so daß die Badenden
allmorgentlich dahin übergefahren werden müssen, erst im Jahre 1720
durch eine Sturmflut!) von dem kleinen Continente getrennt wurde.
Man sieht die unter obwaltenden Umständen unabwendbare Epoche
voraus, wo Helgoland, ein schweizerisches Felsberg im Meere, ein¬
sinken und von den Wetten verschlungen werden muß. Als unheim¬
lichen Vorboten dieser Katastrophe sehen es die Schiffer an, daß ihrer


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[0071] werksmäßige Eintrichternng des dogmatischen Hergebrachten abgesehen zu sein. VI. Ans der Kirche verfügten wir uns in die Wohnung eines alter- thnmliebenden und sinnigen Mannes, des Herrn siens, welcher uns den Befund eines vor nicht langer Zeit auf einem Felde der Insel aufgedeckten urzeitlichen Grabes vorzeigte. Der Bestattete war dem Anscheine nach ein jugendlicher Held gewesen: feingeformte, ele¬ gante Schenkelknochen, deutend auf hehre Gestalt, fanden sich vor; desgleichen gut erhaltene Zähne. Wie es um den Schädel und son¬ stige Theile des Gerippes bestellt gewesen, erfuhren wir nicht; das Meiste war nach dem Aufbringen an die freie Luft zerstiebt. Das Eisen eines Streithammerö bekamen wir zu sehen; desgleichen einen starken Golddraht, der in der Gegend des Gürtels gelegen hatte und vielleicht zu dessen Befestigung oder Ornamente gedient hatte. Herr siens hat über die Antiquitäten der Insel interessante Studien ge¬ macht und sein Gespräch war für uns sehr unterrichtend. Gleichwohl befindet man sich bei diesen nordischen Alterthümern auf einem Felde, wo man, als waltete noch der Zauber der alten Herenringe, ans Einem Zirkel in den andern geräth und zu einem klaren und baaren Resultate, wie es eine dnrch Quellenzeugnisse, dergleichen die Vorzeit Griechenlands und Roms darbietet, geförderte Geschichtsforschung mög¬ lich macht, nicht gelangen kann. Nach Tische ward von zahlreicher Gesellschaft in luftig bewim¬ pelten, wetteifernden Booten die beliebte Fahrt um die Insel angestellt, um sich den Eindruck der Meeresarbeit an diesem Felsen und ihrer durch das Element bewirkten Formationen durchweg einzuprägen. Man fährt durchaus auf ehemaligem Landgrunde hin, welcher dem Wasser bald einen rothen, bald einen weißen Durchblick verleiht. Weißer Sand steht in dem Badestrande zu Tage, welcher, jetzt um ein Paartausend Fuß südöstlich von der Insel als eine einige zwanzig Fuß über die Meeresfläche ansteigende Düne für sich liegend, so daß die Badenden allmorgentlich dahin übergefahren werden müssen, erst im Jahre 1720 durch eine Sturmflut!) von dem kleinen Continente getrennt wurde. Man sieht die unter obwaltenden Umständen unabwendbare Epoche voraus, wo Helgoland, ein schweizerisches Felsberg im Meere, ein¬ sinken und von den Wetten verschlungen werden muß. Als unheim¬ lichen Vorboten dieser Katastrophe sehen es die Schiffer an, daß ihrer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/71>, abgerufen am 04.05.2024.