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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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i.
Aus Wir,".

Erzherzog Ferdinand und Graf Stadion. -- Erinnerungen an einen ehema¬
ligen Minister. -- Der staatsmännische Nachwuchs. -- Hofrath Gervay__Was
sich Alles nach Belgien flüchtet. -- Eine räthselhafte Schrift. -- Patiioten sind
keine Speichellecker. -- Oesterreichs Stellung in Italien. -- Italienische Actien.
-- Das Burgtheater und Herr von Küstner.

In der galizischen Verwaltung sind vor der Hand die Personen ge¬
wechselt worden, ob mit ihnen auch die Sachen, muß die nächste Zu¬
kunft lehren. Erzherzog Ferdinand von Este, der bisherige Gouverneur
des aufgeregten Landes, ist aus dem Staatsdienst entlassen und an seine
Stelle geht der bisherige Gouverneur von Mähren, Graf Stadion,
unter dem Titel eines Hofcommissärs " nach Galizien. Die Sta¬
dion's haben in Oesterreich einen guten Klang. Es sind Stockaristo-
kcaten, aber rührige, energische und schwungvolle Charaktere. Noch
erinnern sich hier Viele mit Wärme des Ministers Philipp Stadion und
seiner in der Schule Pitts geschöpften, wahrhaft patriotischen Regenera¬
tionspläne, noch erinnert man sich jener Kundmachung vom 6. Februar
I8W, welche "Lösung der Geistesfesseln und allseitige Förderung
jedes rühmlichen und gemeinnützigen Strebens" proclamirte. Aus einem
alten schwäbischen Geschlechte stammend waren die Stadion's nach Wien
gekommen und haben sich immer mehr als Deutsche, denn als Oester¬
reicher betrachtet. Dennoch war Philipp Stadion der erste seit Kaiser
Joseph, der die Furcht vor den alten Nationalsprachen der Ezechen und
Magyaren abstreifte und die geschichtlichen Quellen dem Studium und
der Veröffentlichung frei gab. Es war ein kurzer Sommerblick geistiger
Freiheit diese Paar Jahre des Philipp Stadionischen Ministeriums. Die
Wiederbelebung der ständischen Verfassungen, freilich mit überwiegenden
aristokratischen Elementen, war sein Lieblingsplan. Doch war er nicht
blind gegen die begründeten Ansprüche des Dritten Standes. Die
Vereine, die seit Kaiser Franzens Regierung bis aus die Liebhaber¬
theater herab unterdrückt und als ein Mittel zur Verschwörung verfolgt
waren, wurden von ihm wieder belebt und die meisten wohlthätigen,


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Erzherzog Ferdinand und Graf Stadion. — Erinnerungen an einen ehema¬
ligen Minister. — Der staatsmännische Nachwuchs. — Hofrath Gervay__Was
sich Alles nach Belgien flüchtet. — Eine räthselhafte Schrift. — Patiioten sind
keine Speichellecker. — Oesterreichs Stellung in Italien. — Italienische Actien.
— Das Burgtheater und Herr von Küstner.

In der galizischen Verwaltung sind vor der Hand die Personen ge¬
wechselt worden, ob mit ihnen auch die Sachen, muß die nächste Zu¬
kunft lehren. Erzherzog Ferdinand von Este, der bisherige Gouverneur
des aufgeregten Landes, ist aus dem Staatsdienst entlassen und an seine
Stelle geht der bisherige Gouverneur von Mähren, Graf Stadion,
unter dem Titel eines Hofcommissärs " nach Galizien. Die Sta¬
dion's haben in Oesterreich einen guten Klang. Es sind Stockaristo-
kcaten, aber rührige, energische und schwungvolle Charaktere. Noch
erinnern sich hier Viele mit Wärme des Ministers Philipp Stadion und
seiner in der Schule Pitts geschöpften, wahrhaft patriotischen Regenera¬
tionspläne, noch erinnert man sich jener Kundmachung vom 6. Februar
I8W, welche „Lösung der Geistesfesseln und allseitige Förderung
jedes rühmlichen und gemeinnützigen Strebens" proclamirte. Aus einem
alten schwäbischen Geschlechte stammend waren die Stadion's nach Wien
gekommen und haben sich immer mehr als Deutsche, denn als Oester¬
reicher betrachtet. Dennoch war Philipp Stadion der erste seit Kaiser
Joseph, der die Furcht vor den alten Nationalsprachen der Ezechen und
Magyaren abstreifte und die geschichtlichen Quellen dem Studium und
der Veröffentlichung frei gab. Es war ein kurzer Sommerblick geistiger
Freiheit diese Paar Jahre des Philipp Stadionischen Ministeriums. Die
Wiederbelebung der ständischen Verfassungen, freilich mit überwiegenden
aristokratischen Elementen, war sein Lieblingsplan. Doch war er nicht
blind gegen die begründeten Ansprüche des Dritten Standes. Die
Vereine, die seit Kaiser Franzens Regierung bis aus die Liebhaber¬
theater herab unterdrückt und als ein Mittel zur Verschwörung verfolgt
waren, wurden von ihm wieder belebt und die meisten wohlthätigen,


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[0099] T a g e b u eh. i. Aus Wir,». Erzherzog Ferdinand und Graf Stadion. — Erinnerungen an einen ehema¬ ligen Minister. — Der staatsmännische Nachwuchs. — Hofrath Gervay__Was sich Alles nach Belgien flüchtet. — Eine räthselhafte Schrift. — Patiioten sind keine Speichellecker. — Oesterreichs Stellung in Italien. — Italienische Actien. — Das Burgtheater und Herr von Küstner. In der galizischen Verwaltung sind vor der Hand die Personen ge¬ wechselt worden, ob mit ihnen auch die Sachen, muß die nächste Zu¬ kunft lehren. Erzherzog Ferdinand von Este, der bisherige Gouverneur des aufgeregten Landes, ist aus dem Staatsdienst entlassen und an seine Stelle geht der bisherige Gouverneur von Mähren, Graf Stadion, unter dem Titel eines Hofcommissärs " nach Galizien. Die Sta¬ dion's haben in Oesterreich einen guten Klang. Es sind Stockaristo- kcaten, aber rührige, energische und schwungvolle Charaktere. Noch erinnern sich hier Viele mit Wärme des Ministers Philipp Stadion und seiner in der Schule Pitts geschöpften, wahrhaft patriotischen Regenera¬ tionspläne, noch erinnert man sich jener Kundmachung vom 6. Februar I8W, welche „Lösung der Geistesfesseln und allseitige Förderung jedes rühmlichen und gemeinnützigen Strebens" proclamirte. Aus einem alten schwäbischen Geschlechte stammend waren die Stadion's nach Wien gekommen und haben sich immer mehr als Deutsche, denn als Oester¬ reicher betrachtet. Dennoch war Philipp Stadion der erste seit Kaiser Joseph, der die Furcht vor den alten Nationalsprachen der Ezechen und Magyaren abstreifte und die geschichtlichen Quellen dem Studium und der Veröffentlichung frei gab. Es war ein kurzer Sommerblick geistiger Freiheit diese Paar Jahre des Philipp Stadionischen Ministeriums. Die Wiederbelebung der ständischen Verfassungen, freilich mit überwiegenden aristokratischen Elementen, war sein Lieblingsplan. Doch war er nicht blind gegen die begründeten Ansprüche des Dritten Standes. Die Vereine, die seit Kaiser Franzens Regierung bis aus die Liebhaber¬ theater herab unterdrückt und als ein Mittel zur Verschwörung verfolgt waren, wurden von ihm wieder belebt und die meisten wohlthätigen, Wr-Nj»»««,. ni. 1840. 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/99>, abgerufen am 04.05.2024.