Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Das wahre Virtnosenwefen.



Billiger Weise muß man unter den Virtuosen auf den ver¬
schiedenen Instrumenten einen Unterschied machen. Die meisten Vir¬
tuosen haben wir auf dem Pianoforte und der Violine; auf jenem,
weil es das allgemeine Instrument der Gesellschaft ist^ auf dieser,
weil es das vorzugsweise sogenannte Concert-Instrument ist. Die
Virtuosen auf dem Violoncello, auf dem Hom, der Flöte, Oboe:c.
sind schon seltener, oder wenigstens sind diese mehr solide, beschei¬
dene Musiker, drängen sich nicht so gierig hervor oder sind auch
nicht in der Mode und von dieser gleichsam geächtet, wie die Flö¬
tisten. Ich will hier nur von den Virtuosen auf dem Pianoforte
reden. Alle Welt, Jedermann spielt Pianoforte, sie haben also die
feste, bestimmte Aussicht, von aller Welt und Jedermann beachtet
zu werden, und dies aus keinem andern Grunde, als weil Jeder¬
mann aus persönlichem Interesse hören und urtheilen will -- denn
wer auch nur die Noten und Griffe kennt, der hält sich für beru¬
fen und berechtigt, wenigstens für befähigt, wenn auch nur im
Stillen, ein Kunsturtheil abzugeben -- wie viel auf dem Piano¬
forte überhaupt wohl geleistet wird oder werden kann, und in wel¬
chem Verhältniß der Annäherung der Hörer sich als Selbstspieler
zu diesem Virtuvsenmaßstab befindet. Das ist der wahre Grund,
warum in der unlängst abgeschlossenen Periode, auf welche die so¬
genannte Concertmüdigkeit folgte, die Pianoforte-Concerte so zahl¬
reich besucht wurden, wozu etwa noch kam, daß Jedermann das
Wunder, von dem in den Zeitungen so viel Lärm und Geschrei
gemacht wurde, welches im Portrait, oft zu Dutzenden, in allen


12-i-
Das wahre Virtnosenwefen.



Billiger Weise muß man unter den Virtuosen auf den ver¬
schiedenen Instrumenten einen Unterschied machen. Die meisten Vir¬
tuosen haben wir auf dem Pianoforte und der Violine; auf jenem,
weil es das allgemeine Instrument der Gesellschaft ist^ auf dieser,
weil es das vorzugsweise sogenannte Concert-Instrument ist. Die
Virtuosen auf dem Violoncello, auf dem Hom, der Flöte, Oboe:c.
sind schon seltener, oder wenigstens sind diese mehr solide, beschei¬
dene Musiker, drängen sich nicht so gierig hervor oder sind auch
nicht in der Mode und von dieser gleichsam geächtet, wie die Flö¬
tisten. Ich will hier nur von den Virtuosen auf dem Pianoforte
reden. Alle Welt, Jedermann spielt Pianoforte, sie haben also die
feste, bestimmte Aussicht, von aller Welt und Jedermann beachtet
zu werden, und dies aus keinem andern Grunde, als weil Jeder¬
mann aus persönlichem Interesse hören und urtheilen will — denn
wer auch nur die Noten und Griffe kennt, der hält sich für beru¬
fen und berechtigt, wenigstens für befähigt, wenn auch nur im
Stillen, ein Kunsturtheil abzugeben — wie viel auf dem Piano¬
forte überhaupt wohl geleistet wird oder werden kann, und in wel¬
chem Verhältniß der Annäherung der Hörer sich als Selbstspieler
zu diesem Virtuvsenmaßstab befindet. Das ist der wahre Grund,
warum in der unlängst abgeschlossenen Periode, auf welche die so¬
genannte Concertmüdigkeit folgte, die Pianoforte-Concerte so zahl¬
reich besucht wurden, wozu etwa noch kam, daß Jedermann das
Wunder, von dem in den Zeitungen so viel Lärm und Geschrei
gemacht wurde, welches im Portrait, oft zu Dutzenden, in allen


12-i-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182526"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das wahre Virtnosenwefen.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_274" next="#ID_275"> Billiger Weise muß man unter den Virtuosen auf den ver¬<lb/>
schiedenen Instrumenten einen Unterschied machen. Die meisten Vir¬<lb/>
tuosen haben wir auf dem Pianoforte und der Violine; auf jenem,<lb/>
weil es das allgemeine Instrument der Gesellschaft ist^ auf dieser,<lb/>
weil es das vorzugsweise sogenannte Concert-Instrument ist. Die<lb/>
Virtuosen auf dem Violoncello, auf dem Hom, der Flöte, Oboe:c.<lb/>
sind schon seltener, oder wenigstens sind diese mehr solide, beschei¬<lb/>
dene Musiker, drängen sich nicht so gierig hervor oder sind auch<lb/>
nicht in der Mode und von dieser gleichsam geächtet, wie die Flö¬<lb/>
tisten. Ich will hier nur von den Virtuosen auf dem Pianoforte<lb/>
reden. Alle Welt, Jedermann spielt Pianoforte, sie haben also die<lb/>
feste, bestimmte Aussicht, von aller Welt und Jedermann beachtet<lb/>
zu werden, und dies aus keinem andern Grunde, als weil Jeder¬<lb/>
mann aus persönlichem Interesse hören und urtheilen will &#x2014; denn<lb/>
wer auch nur die Noten und Griffe kennt, der hält sich für beru¬<lb/>
fen und berechtigt, wenigstens für befähigt, wenn auch nur im<lb/>
Stillen, ein Kunsturtheil abzugeben &#x2014; wie viel auf dem Piano¬<lb/>
forte überhaupt wohl geleistet wird oder werden kann, und in wel¬<lb/>
chem Verhältniß der Annäherung der Hörer sich als Selbstspieler<lb/>
zu diesem Virtuvsenmaßstab befindet. Das ist der wahre Grund,<lb/>
warum in der unlängst abgeschlossenen Periode, auf welche die so¬<lb/>
genannte Concertmüdigkeit folgte, die Pianoforte-Concerte so zahl¬<lb/>
reich besucht wurden, wozu etwa noch kam, daß Jedermann das<lb/>
Wunder, von dem in den Zeitungen so viel Lärm und Geschrei<lb/>
gemacht wurde, welches im Portrait, oft zu Dutzenden, in allen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 12-i-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0103] Das wahre Virtnosenwefen. Billiger Weise muß man unter den Virtuosen auf den ver¬ schiedenen Instrumenten einen Unterschied machen. Die meisten Vir¬ tuosen haben wir auf dem Pianoforte und der Violine; auf jenem, weil es das allgemeine Instrument der Gesellschaft ist^ auf dieser, weil es das vorzugsweise sogenannte Concert-Instrument ist. Die Virtuosen auf dem Violoncello, auf dem Hom, der Flöte, Oboe:c. sind schon seltener, oder wenigstens sind diese mehr solide, beschei¬ dene Musiker, drängen sich nicht so gierig hervor oder sind auch nicht in der Mode und von dieser gleichsam geächtet, wie die Flö¬ tisten. Ich will hier nur von den Virtuosen auf dem Pianoforte reden. Alle Welt, Jedermann spielt Pianoforte, sie haben also die feste, bestimmte Aussicht, von aller Welt und Jedermann beachtet zu werden, und dies aus keinem andern Grunde, als weil Jeder¬ mann aus persönlichem Interesse hören und urtheilen will — denn wer auch nur die Noten und Griffe kennt, der hält sich für beru¬ fen und berechtigt, wenigstens für befähigt, wenn auch nur im Stillen, ein Kunsturtheil abzugeben — wie viel auf dem Piano¬ forte überhaupt wohl geleistet wird oder werden kann, und in wel¬ chem Verhältniß der Annäherung der Hörer sich als Selbstspieler zu diesem Virtuvsenmaßstab befindet. Das ist der wahre Grund, warum in der unlängst abgeschlossenen Periode, auf welche die so¬ genannte Concertmüdigkeit folgte, die Pianoforte-Concerte so zahl¬ reich besucht wurden, wozu etwa noch kam, daß Jedermann das Wunder, von dem in den Zeitungen so viel Lärm und Geschrei gemacht wurde, welches im Portrait, oft zu Dutzenden, in allen 12-i-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/103
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/103>, abgerufen am 23.04.2024.