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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Nur gelangen die Aeußerungen dieser Zustände, weil im Urcharakter
der darunter lebenden Racen verschieden bedingt, auf verschiedene Weise
zur Erscheinung. Indessen kommt man doch immer von Neuem zu
der Ueberzeugung, wie weder von den Inseln und Küsten des indi¬
schen, noch von denen des stillen Oceans für die Weiterentwickelung
Asiens und Amerika's unter den jetzigen Verhältnissen ein machtvoller
Anstoß auszugehen vermag. Beide haben ein Stück hastiger histori¬
scher Entwickelungen abgethan und diese plötzliche, fast unnatürliche
Erregung hat sie entkräftet. Halb im Bewußtsein der moralischen
Ohnmacht, halb auch in schlaffer Befriedigung des Rückblicks auf
jene Perioden verschlummern und verschlemmcn die Menschen dieser
Erdregionen ihr Dasein. Ueber den indischen Ocean hin weht die
erstarrende Luft der unwandelbaren Formenwelt China's, am stillen
Ocean dehnt sich ein abgethanes Leben im Halbbewußtsein einer ver¬
geudeten Aeugekraft. Nur die Natur wuchert und drängt und blüht
hier wie dort in überschwellendem Schaffensdrang, gleich als wolle sie
einen Ersatz für die bedeutungsarme Menschenwelt liefern. Das vege-
tabile und tellurische Element des Erdenlebens hat hier das Menschliche
der Erdbewohner überwuchert und es mag der Glaube kommen, erst
die ungeheuersten elementaren Revolutionen werden eine neue Gestal¬
tung, eine neue Zeit, eine neue Stellung dieser Erdregionen zur ge-
B . . sammten Menschenwelt zu bedingen haben.


III.
Ans B r e s l a u.

Polnische Zeitungsnachrichten. -- Juden als Couriere. -- Verdächtige Tracht.
-- Mesarsk" in Magdeburg. -- Die Lichtfreunde in der Politik. --
Die städtische Ressource.

Indem ich meine Correspondenzen für die Grenzboten beginne,
weiß ich noch nicht, welches Factum aus unserem hauptstädtischen
Leben mir zuerst unter die Feder laufen wird. Es gibt Vieles
zu berichten, Vieles, das sich aus der Heimlichkeit in die Oeffentlich-
keit hineinsehnt, wie der Keim in den lauen Frühling. Unsere Cor-
respondenten für politische Blätter machen blos Jagd auf Hochwild:
für den kleinen Stoff, der auf den Straßen und Gassen umherläuft,
dünkt ihnen ein Schuß Pulver zu theuer. Ich will meine Jagdtasche
mit allem Gethier anfüllen, das mir in den Schuß läuft, und dann vor
Ihnen ausschütten. Mögen Sie zur Seite werfen, was Ihnen zu
unbedeutend erscheint. -- Noch vor Kurzem wendete sich, wie Sie wohl
denken können, unsere ganze Aufmerksamkeit den Vorgängen in Kra-
kau zu. Breslau war der erste bedeutende Stationsort für die Neuig¬
keiten; sie wurden hier eigentlich erst fa?onnirt und verpackt in alle
Welt geschickt. Corcespondenten und Polizei waren in größter Thä¬
tigkeit, jene um zu erfahren, diese um das Erfahren zu hindern. Ost


Grenzboten, Isi". it. 16

Nur gelangen die Aeußerungen dieser Zustände, weil im Urcharakter
der darunter lebenden Racen verschieden bedingt, auf verschiedene Weise
zur Erscheinung. Indessen kommt man doch immer von Neuem zu
der Ueberzeugung, wie weder von den Inseln und Küsten des indi¬
schen, noch von denen des stillen Oceans für die Weiterentwickelung
Asiens und Amerika's unter den jetzigen Verhältnissen ein machtvoller
Anstoß auszugehen vermag. Beide haben ein Stück hastiger histori¬
scher Entwickelungen abgethan und diese plötzliche, fast unnatürliche
Erregung hat sie entkräftet. Halb im Bewußtsein der moralischen
Ohnmacht, halb auch in schlaffer Befriedigung des Rückblicks auf
jene Perioden verschlummern und verschlemmcn die Menschen dieser
Erdregionen ihr Dasein. Ueber den indischen Ocean hin weht die
erstarrende Luft der unwandelbaren Formenwelt China's, am stillen
Ocean dehnt sich ein abgethanes Leben im Halbbewußtsein einer ver¬
geudeten Aeugekraft. Nur die Natur wuchert und drängt und blüht
hier wie dort in überschwellendem Schaffensdrang, gleich als wolle sie
einen Ersatz für die bedeutungsarme Menschenwelt liefern. Das vege-
tabile und tellurische Element des Erdenlebens hat hier das Menschliche
der Erdbewohner überwuchert und es mag der Glaube kommen, erst
die ungeheuersten elementaren Revolutionen werden eine neue Gestal¬
tung, eine neue Zeit, eine neue Stellung dieser Erdregionen zur ge-
B . . sammten Menschenwelt zu bedingen haben.


III.
Ans B r e s l a u.

Polnische Zeitungsnachrichten. — Juden als Couriere. — Verdächtige Tracht.
— Mesarsk» in Magdeburg. — Die Lichtfreunde in der Politik. —
Die städtische Ressource.

Indem ich meine Correspondenzen für die Grenzboten beginne,
weiß ich noch nicht, welches Factum aus unserem hauptstädtischen
Leben mir zuerst unter die Feder laufen wird. Es gibt Vieles
zu berichten, Vieles, das sich aus der Heimlichkeit in die Oeffentlich-
keit hineinsehnt, wie der Keim in den lauen Frühling. Unsere Cor-
respondenten für politische Blätter machen blos Jagd auf Hochwild:
für den kleinen Stoff, der auf den Straßen und Gassen umherläuft,
dünkt ihnen ein Schuß Pulver zu theuer. Ich will meine Jagdtasche
mit allem Gethier anfüllen, das mir in den Schuß läuft, und dann vor
Ihnen ausschütten. Mögen Sie zur Seite werfen, was Ihnen zu
unbedeutend erscheint. — Noch vor Kurzem wendete sich, wie Sie wohl
denken können, unsere ganze Aufmerksamkeit den Vorgängen in Kra-
kau zu. Breslau war der erste bedeutende Stationsort für die Neuig¬
keiten; sie wurden hier eigentlich erst fa?onnirt und verpackt in alle
Welt geschickt. Corcespondenten und Polizei waren in größter Thä¬
tigkeit, jene um zu erfahren, diese um das Erfahren zu hindern. Ost


Grenzboten, Isi«. it. 16
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/133>, abgerufen am 25.04.2024.