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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Die Noth der Hütten.
Novelle von Bernb von Guseck.



I.

Die Sonne, welche über Gerechte und Ungerechte scheint, ging an
einem Augustmorgen des verflossenen Jahres auch einer Personenpost
auf, die sich auf breitem Sandwege durch fast uferlose Wälder schlep¬
pen ließ. Ein rother Strahlenpfeil schoß durch die angelaufenen Fen¬
ster grade in das Gesicht eines jungen Mädchens, das bisher geschla¬
fen hatte und sich etwas mürrisch ermunterte. Man kann nicht
behaupten, daß eine auf dem Postwagen verlebte Nacht sonderlich
geeignet wäre, zu verschönern und so hatte auch die Schläferin ein
blasses, übernächtiges Ansehen. Doch schickte sie gleich ihre Augen
neugierig auf Kundschaft, denn sie war spät Abends eingestiegen und
kannte ihre Reisegesellschaft noch nicht.

Mit dem dicken Herrn ihr gegenüber wechselte sie einen freund¬
lichen Blick. Er war durchaus schwarz, nicht eben fein gekleidet, trug
ein niedriges, weißumsäumteö Halstuch und noch den wohlgefältelten
Busenstreif der vergangenen Jahrzehende, glattrasirt war sein wohl-
häbiges Gesicht mit dem glänzenden Doppelkinne, ein schwarzes Käpp-
chen bedeckte ihm den runden Kopf und seine Hände lagen fast immer
instinctmäßig gefaltet auf dem walzenförmigen Bäuchlein. Wer hätte
den geistlichen Herrn wohl in ihm verkannt?

Desto ungeistlicher sah sein Nachbar aus, gegen dessen Invasion
der alte Herr seine Tochter - jenes junge Mädchen -- nach Kräften
schirmte. Er war zwar auch schwarz von Kopf bis zu Füßen geklei¬
det und sehr einfach dazu, aber in seinem Gesichte, sobald das Tages¬
grauen die ersten physiognomischen Belustigungen erlaubt hatte, warm


Grenzbot-N, !S<". II. 17
Die Noth der Hütten.
Novelle von Bernb von Guseck.



I.

Die Sonne, welche über Gerechte und Ungerechte scheint, ging an
einem Augustmorgen des verflossenen Jahres auch einer Personenpost
auf, die sich auf breitem Sandwege durch fast uferlose Wälder schlep¬
pen ließ. Ein rother Strahlenpfeil schoß durch die angelaufenen Fen¬
ster grade in das Gesicht eines jungen Mädchens, das bisher geschla¬
fen hatte und sich etwas mürrisch ermunterte. Man kann nicht
behaupten, daß eine auf dem Postwagen verlebte Nacht sonderlich
geeignet wäre, zu verschönern und so hatte auch die Schläferin ein
blasses, übernächtiges Ansehen. Doch schickte sie gleich ihre Augen
neugierig auf Kundschaft, denn sie war spät Abends eingestiegen und
kannte ihre Reisegesellschaft noch nicht.

Mit dem dicken Herrn ihr gegenüber wechselte sie einen freund¬
lichen Blick. Er war durchaus schwarz, nicht eben fein gekleidet, trug
ein niedriges, weißumsäumteö Halstuch und noch den wohlgefältelten
Busenstreif der vergangenen Jahrzehende, glattrasirt war sein wohl-
häbiges Gesicht mit dem glänzenden Doppelkinne, ein schwarzes Käpp-
chen bedeckte ihm den runden Kopf und seine Hände lagen fast immer
instinctmäßig gefaltet auf dem walzenförmigen Bäuchlein. Wer hätte
den geistlichen Herrn wohl in ihm verkannt?

Desto ungeistlicher sah sein Nachbar aus, gegen dessen Invasion
der alte Herr seine Tochter - jenes junge Mädchen — nach Kräften
schirmte. Er war zwar auch schwarz von Kopf bis zu Füßen geklei¬
det und sehr einfach dazu, aber in seinem Gesichte, sobald das Tages¬
grauen die ersten physiognomischen Belustigungen erlaubt hatte, warm


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[0141] Die Noth der Hütten. Novelle von Bernb von Guseck. I. Die Sonne, welche über Gerechte und Ungerechte scheint, ging an einem Augustmorgen des verflossenen Jahres auch einer Personenpost auf, die sich auf breitem Sandwege durch fast uferlose Wälder schlep¬ pen ließ. Ein rother Strahlenpfeil schoß durch die angelaufenen Fen¬ ster grade in das Gesicht eines jungen Mädchens, das bisher geschla¬ fen hatte und sich etwas mürrisch ermunterte. Man kann nicht behaupten, daß eine auf dem Postwagen verlebte Nacht sonderlich geeignet wäre, zu verschönern und so hatte auch die Schläferin ein blasses, übernächtiges Ansehen. Doch schickte sie gleich ihre Augen neugierig auf Kundschaft, denn sie war spät Abends eingestiegen und kannte ihre Reisegesellschaft noch nicht. Mit dem dicken Herrn ihr gegenüber wechselte sie einen freund¬ lichen Blick. Er war durchaus schwarz, nicht eben fein gekleidet, trug ein niedriges, weißumsäumteö Halstuch und noch den wohlgefältelten Busenstreif der vergangenen Jahrzehende, glattrasirt war sein wohl- häbiges Gesicht mit dem glänzenden Doppelkinne, ein schwarzes Käpp- chen bedeckte ihm den runden Kopf und seine Hände lagen fast immer instinctmäßig gefaltet auf dem walzenförmigen Bäuchlein. Wer hätte den geistlichen Herrn wohl in ihm verkannt? Desto ungeistlicher sah sein Nachbar aus, gegen dessen Invasion der alte Herr seine Tochter - jenes junge Mädchen — nach Kräften schirmte. Er war zwar auch schwarz von Kopf bis zu Füßen geklei¬ det und sehr einfach dazu, aber in seinem Gesichte, sobald das Tages¬ grauen die ersten physiognomischen Belustigungen erlaubt hatte, warm Grenzbot-N, !S<». II. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/141>, abgerufen am 26.04.2024.