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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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müssen. Er war hierauf nach seinem HeimathSdorfe gereist, wo die
verlassene Frau seines Verwandten lebte -- wo hätte er ihn anders
suchen sollen? Nun war der Mann noch nicht hier gewesen, wohl
aus Furcht, daß man ihm am Ersten bei seiner Frau nachspüren
werde.

Die junge Frau erzählte noch viel von der Großmutter Grescheln.
Diese hatte, als sie ihren Enkel verloren sah und weil sie aus alter
Zeit von dem Vetter in Amerika wußte -- sie war die Einzige!
mit den Ihrigen auswandern wollen, aber wie sie all' ihren Haus-
rath zusammengekramt und verkauft hatte, war ihr ein altes Papier
in die Hände gefallen, von dem sie der jungen Frau gesagt, das werde
allem Elend ein Ende machen. Fragen durfte sie Niemand weiter,
denn sie war sehr böse, die Großmutter.

Der alte Holländer hatte sie gewiß in ihrer Jugend gekannt,
aber die Frau wußte den Vaternamen der Greschel nicht anzugeben.
Ihm lag jetzt viel daran, sie zu sprechen, er ließ sich sagen, wo er
sie finden werde und reiste wieder ab.

Wohl hätte er das Elend, welches er hier mit Augen sah, gleich
in den glänzendsten, Ueberfluß verwandeln können, aber er wußte, daß
solches nie wohlgethan ist. Daher gab er der jungen Frau nur Ei¬
niges, um ihre Lage zu verbessern, sie nahm das mit eben so heißem
Danke hin, wie sie eine viel verschwenderischere Gabe aufgenommen ha¬
ben würde: der Maßstab fehlt den Armen.


.7.',

In dem Dorfe hatte es Aufsehen erregt, einen Herrn nach der
Holländerin fragen zu hören und allerlei schadenfrohe und lieblose Be¬
merkungen waren ihm gefolgt. Man erwartete, daß die Gemeinde
von der Last, wofür Unglückliche immer angesehen werden, befreit
würde, aber der fremde Herr fuhr allein wieder ab und gleich darauf
erschien die Hobländerin in der Schenke, kaufte Lebensmittel ein und
schwatzte in ihrer Freude Allerlei durcheinander, woraus die Leute
nicht recht klug werden konnten. Die Wahrheit war, daß der Greis
ihr verboten hatte, von seiner Verwandtschaft und ihres Mannes Flucht
zu reden? etwas aber mußte sie doch sagen, um den vielen neugie¬
rigen Fragen zu entgehen i auch brannte es ihr auf dem Herzen, we¬
nigstens ihren jetzigen Reichthum blicken zu lassen und die bösen Menschen
zu demüthigen, welche sie in ihrem Unglücke so schlecht behandelt hat'
t"n, daher ließ sie die Worte fallen, die Allen zu denken machten.


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müssen. Er war hierauf nach seinem HeimathSdorfe gereist, wo die
verlassene Frau seines Verwandten lebte — wo hätte er ihn anders
suchen sollen? Nun war der Mann noch nicht hier gewesen, wohl
aus Furcht, daß man ihm am Ersten bei seiner Frau nachspüren
werde.

Die junge Frau erzählte noch viel von der Großmutter Grescheln.
Diese hatte, als sie ihren Enkel verloren sah und weil sie aus alter
Zeit von dem Vetter in Amerika wußte — sie war die Einzige!
mit den Ihrigen auswandern wollen, aber wie sie all' ihren Haus-
rath zusammengekramt und verkauft hatte, war ihr ein altes Papier
in die Hände gefallen, von dem sie der jungen Frau gesagt, das werde
allem Elend ein Ende machen. Fragen durfte sie Niemand weiter,
denn sie war sehr böse, die Großmutter.

Der alte Holländer hatte sie gewiß in ihrer Jugend gekannt,
aber die Frau wußte den Vaternamen der Greschel nicht anzugeben.
Ihm lag jetzt viel daran, sie zu sprechen, er ließ sich sagen, wo er
sie finden werde und reiste wieder ab.

Wohl hätte er das Elend, welches er hier mit Augen sah, gleich
in den glänzendsten, Ueberfluß verwandeln können, aber er wußte, daß
solches nie wohlgethan ist. Daher gab er der jungen Frau nur Ei¬
niges, um ihre Lage zu verbessern, sie nahm das mit eben so heißem
Danke hin, wie sie eine viel verschwenderischere Gabe aufgenommen ha¬
ben würde: der Maßstab fehlt den Armen.


.7.',

In dem Dorfe hatte es Aufsehen erregt, einen Herrn nach der
Holländerin fragen zu hören und allerlei schadenfrohe und lieblose Be¬
merkungen waren ihm gefolgt. Man erwartete, daß die Gemeinde
von der Last, wofür Unglückliche immer angesehen werden, befreit
würde, aber der fremde Herr fuhr allein wieder ab und gleich darauf
erschien die Hobländerin in der Schenke, kaufte Lebensmittel ein und
schwatzte in ihrer Freude Allerlei durcheinander, woraus die Leute
nicht recht klug werden konnten. Die Wahrheit war, daß der Greis
ihr verboten hatte, von seiner Verwandtschaft und ihres Mannes Flucht
zu reden? etwas aber mußte sie doch sagen, um den vielen neugie¬
rigen Fragen zu entgehen i auch brannte es ihr auf dem Herzen, we¬
nigstens ihren jetzigen Reichthum blicken zu lassen und die bösen Menschen
zu demüthigen, welche sie in ihrem Unglücke so schlecht behandelt hat'
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/213>, abgerufen am 19.04.2024.