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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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oder das Löwenpanier ergriffen hätte, wir wollen blos auf die classische
Stellung, die hier das Wort Vaterland einnimmt, hindeuten; sie be¬
weist schlagend, wie mancher Beamte sich selbst für das Vaterland halt.
Jener incriminirte Aufsatz, der nicht nur von linea Oesterreichs,: ge¬
schrieben, sondern auch von einem Manne, dessen Name in ganz Oester¬
reich wohl bekannt ist, hatte ja grade den Zweck, eine Verläumdung von
dem "Vaterlande" abzuwälzen. Jene "Stimme aus Oesterreich" kam,
wie wir bereits gesagt, in den ersten Tagen der Verwirrung, wo noch
alle Nachrichten fehlten, wo noch die furchtbare Anklage der Preußischen
Allgemeinen keinen Widerspruch gefunden und die deutsche Presse und
die französischen Kammern von Einem Schrei gegen Oesterreich wieder-
hallten. Die Stimme aus Oesterreich bemühte sich, in diesem traurigen
Augenblicke die Sache ihres Vaterlandes von der Sache des tarnower
Beamten zu trennen. Was kann man in Wien dafür -- schrie sie
auf -- wenn ein Beamter in Tarnow den Kopf verlor und zu einer
Maßregel griff, deren fürchterliche Folgen er wahrscheinlich im ersten Au¬
genblicke kaum überschaute? Das freilich wußte jene Stimme aus Oe¬
sterreich nicht, daß der Herr Kreishauptmann in Tarnow selbst das Va¬
terland ist. Wahrlich, wir wünschen aus vollem Herzen, daß die von
dem Berichtiger in Aussicht gestellte authentische Darlegung des Sach¬
verhaltes in Tarnow Herrn Bremi von allem Vorwurfe reinige, wir
wünschen es im Namen der Humanität und im Namen d.'S Vaterlan-
des, dessen Ruf durch ihn eine schwere Verletzung erlitten. Aber es ist
hohe Zeit, daß dieses authentische Actenstück endlich erscheine, denn die of>
fentliche Meinung ist noch keineswegs besänftigt und die widersprechenden
Hin- und Herberichtigungen verwirren, statt aufzuklären.


III.
Notizen

Gottsched und Gellert. ----- Deutsche und französische Duelle. -- Die Liguo-
rianer und die Wiener. -- Standespersonen zahlen "ach Belieben. -- Künstliche
Hitze. -- Ein moderner Patriarch.

Laube's Gottsched und Gellert ist endlich in Berlin zur Aufführung
gekommen und hat beim Publicum einen ungewöhnlichen glücklichen Suc-
ceß und bei der Kritik den gewöhnlichen herben Tadel gefunden. Das
Publicum ergötzte sich mit Recht an dem frischen Leben der Scenerie,
an der derben Komik, an den keck gezeichneten Charakteren Gellerts,
Catos und des Wachtmeisters, sowie an den hundert geistreichen Ein¬
zelnheiten; die Kritik tadelte dagegen mit nicht minderem Recht den
Mangel an einer bedeutenden Grundidee, den allzulockern Zusammenhang,
die Stiefmütterlichkeit der weiblichen Charaktere u. f. w. Daß es dabei
nicht ohne mancherlei persönliche Malice abging -- dafür ist man ja in
Berlin, daß es auch nicht an pedantischen Maßstäben fehlte, dafür sind wir
ja in Deutschland. Wer Gottsched und Gellert in Leipzig und dann in
Berlin gesehen hat, der konnte die Bemerkung machen, daß man dem


oder das Löwenpanier ergriffen hätte, wir wollen blos auf die classische
Stellung, die hier das Wort Vaterland einnimmt, hindeuten; sie be¬
weist schlagend, wie mancher Beamte sich selbst für das Vaterland halt.
Jener incriminirte Aufsatz, der nicht nur von linea Oesterreichs,: ge¬
schrieben, sondern auch von einem Manne, dessen Name in ganz Oester¬
reich wohl bekannt ist, hatte ja grade den Zweck, eine Verläumdung von
dem „Vaterlande" abzuwälzen. Jene „Stimme aus Oesterreich" kam,
wie wir bereits gesagt, in den ersten Tagen der Verwirrung, wo noch
alle Nachrichten fehlten, wo noch die furchtbare Anklage der Preußischen
Allgemeinen keinen Widerspruch gefunden und die deutsche Presse und
die französischen Kammern von Einem Schrei gegen Oesterreich wieder-
hallten. Die Stimme aus Oesterreich bemühte sich, in diesem traurigen
Augenblicke die Sache ihres Vaterlandes von der Sache des tarnower
Beamten zu trennen. Was kann man in Wien dafür — schrie sie
auf — wenn ein Beamter in Tarnow den Kopf verlor und zu einer
Maßregel griff, deren fürchterliche Folgen er wahrscheinlich im ersten Au¬
genblicke kaum überschaute? Das freilich wußte jene Stimme aus Oe¬
sterreich nicht, daß der Herr Kreishauptmann in Tarnow selbst das Va¬
terland ist. Wahrlich, wir wünschen aus vollem Herzen, daß die von
dem Berichtiger in Aussicht gestellte authentische Darlegung des Sach¬
verhaltes in Tarnow Herrn Bremi von allem Vorwurfe reinige, wir
wünschen es im Namen der Humanität und im Namen d.'S Vaterlan-
des, dessen Ruf durch ihn eine schwere Verletzung erlitten. Aber es ist
hohe Zeit, daß dieses authentische Actenstück endlich erscheine, denn die of>
fentliche Meinung ist noch keineswegs besänftigt und die widersprechenden
Hin- und Herberichtigungen verwirren, statt aufzuklären.


III.
Notizen

Gottsched und Gellert. ----- Deutsche und französische Duelle. — Die Liguo-
rianer und die Wiener. — Standespersonen zahlen »ach Belieben. — Künstliche
Hitze. — Ein moderner Patriarch.

Laube's Gottsched und Gellert ist endlich in Berlin zur Aufführung
gekommen und hat beim Publicum einen ungewöhnlichen glücklichen Suc-
ceß und bei der Kritik den gewöhnlichen herben Tadel gefunden. Das
Publicum ergötzte sich mit Recht an dem frischen Leben der Scenerie,
an der derben Komik, an den keck gezeichneten Charakteren Gellerts,
Catos und des Wachtmeisters, sowie an den hundert geistreichen Ein¬
zelnheiten; die Kritik tadelte dagegen mit nicht minderem Recht den
Mangel an einer bedeutenden Grundidee, den allzulockern Zusammenhang,
die Stiefmütterlichkeit der weiblichen Charaktere u. f. w. Daß es dabei
nicht ohne mancherlei persönliche Malice abging — dafür ist man ja in
Berlin, daß es auch nicht an pedantischen Maßstäben fehlte, dafür sind wir
ja in Deutschland. Wer Gottsched und Gellert in Leipzig und dann in
Berlin gesehen hat, der konnte die Bemerkung machen, daß man dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/230>, abgerufen am 25.04.2024.