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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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i.
Aus Berlin.

Aschenbrödel. -- Die Stadt der Oefen. -- Warum hat Berlin so schöne
Häuser? -- Preußisches Glück. -- Sachsen und Oesterreich als Blitzableiter. --
Das Theaterpublicum und Fräulein Wilhelm!. --

Ueberall Eoquetterie! Sogar der Frühling hat aufgehört eine Wahr¬
heit zu sein. Im Februar und März lockte er durch heuchlerische Warme
und halbentblöste Reize, und jetzt, wo es gilt, sich zu zeigen, bietet er
graue Wolken und kalte Winde. Kaltes Wetter und halber Winter, ist
eigentlich dem Berliner eine Wohlthat. Was soll ihm Frühling und
Sommer? Was soll er draußen, wo die Natur Andern grüne Berge und
schattige Wälder gegeben? Wenn Andere reich sind, ist er arm. Wenn
andere Städte mit dem schönsten Schmuck sich zieren, sitzt Berlin wie
Aschenbrödel daheim und hütet die prächtigen Häuser, die wie schöne
Porzellanöfen dastehen, von außen glatt und glänzend, von innen kalt
und lebenslos. Die berliner Oefen sind nicht umsonst berühmt; Berlin
ist eine Ofenstadt. Im Winter erhitzt sie sich mit Geist und künstlichem
Leben. Viel Holz wird zwar weit aus der Ferne herbeigeschafft, aber sie
versteht es zu gebrauchen und aufzuzehren und sie zehrt so rasch und
gierig daran, daß das frischeste Nenommve nach zehn Jahren verkohlt ist.

Dieser Mangel an äußerem Naturreiz hat Berlin zu einer der am
schönsten gebauten Städte in Europa gemacht. Der bürgerliche Baustyl
ist hier geschmackvoller, gefälliger und von mannichfaltigercm Wechsel als
in den meisten Großstädten des Festlandes. Mit Ausnahme Londons
gibt es Seine Stadt, wo der Privatmann so viel Kosten auf die äußere
Zierde seines Hauses wendet, als hier. Nicht etwa blos auf den großen,
in's Auge fallenden Hauptplätzen, sondern selbst an den äußersten Enden
der Stadt, in den zur Hälfte noch leer stehenden Grenzstraßen am Köp-
niker Feld, an der Anhaltischen Eisenbahn u. s. w. Das Goethesche:
"Dort wo die letzten Häuser stehen", hat in Berlin seine Bedeutung
verloren, denn die die Letzten waren, werden die Ersten sein. Der Man¬
gel an schöner Umgebung hat den Sinn des Berliners auf die Pflege
und Verschönerung seiner Stadt geführt. Wie bei Jemand, der auf Einem


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i.
Aus Berlin.

Aschenbrödel. — Die Stadt der Oefen. — Warum hat Berlin so schöne
Häuser? — Preußisches Glück. — Sachsen und Oesterreich als Blitzableiter. —
Das Theaterpublicum und Fräulein Wilhelm!. —

Ueberall Eoquetterie! Sogar der Frühling hat aufgehört eine Wahr¬
heit zu sein. Im Februar und März lockte er durch heuchlerische Warme
und halbentblöste Reize, und jetzt, wo es gilt, sich zu zeigen, bietet er
graue Wolken und kalte Winde. Kaltes Wetter und halber Winter, ist
eigentlich dem Berliner eine Wohlthat. Was soll ihm Frühling und
Sommer? Was soll er draußen, wo die Natur Andern grüne Berge und
schattige Wälder gegeben? Wenn Andere reich sind, ist er arm. Wenn
andere Städte mit dem schönsten Schmuck sich zieren, sitzt Berlin wie
Aschenbrödel daheim und hütet die prächtigen Häuser, die wie schöne
Porzellanöfen dastehen, von außen glatt und glänzend, von innen kalt
und lebenslos. Die berliner Oefen sind nicht umsonst berühmt; Berlin
ist eine Ofenstadt. Im Winter erhitzt sie sich mit Geist und künstlichem
Leben. Viel Holz wird zwar weit aus der Ferne herbeigeschafft, aber sie
versteht es zu gebrauchen und aufzuzehren und sie zehrt so rasch und
gierig daran, daß das frischeste Nenommve nach zehn Jahren verkohlt ist.

Dieser Mangel an äußerem Naturreiz hat Berlin zu einer der am
schönsten gebauten Städte in Europa gemacht. Der bürgerliche Baustyl
ist hier geschmackvoller, gefälliger und von mannichfaltigercm Wechsel als
in den meisten Großstädten des Festlandes. Mit Ausnahme Londons
gibt es Seine Stadt, wo der Privatmann so viel Kosten auf die äußere
Zierde seines Hauses wendet, als hier. Nicht etwa blos auf den großen,
in's Auge fallenden Hauptplätzen, sondern selbst an den äußersten Enden
der Stadt, in den zur Hälfte noch leer stehenden Grenzstraßen am Köp-
niker Feld, an der Anhaltischen Eisenbahn u. s. w. Das Goethesche:
„Dort wo die letzten Häuser stehen", hat in Berlin seine Bedeutung
verloren, denn die die Letzten waren, werden die Ersten sein. Der Man¬
gel an schöner Umgebung hat den Sinn des Berliners auf die Pflege
und Verschönerung seiner Stadt geführt. Wie bei Jemand, der auf Einem


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[0317] T a g e b u es. i. Aus Berlin. Aschenbrödel. — Die Stadt der Oefen. — Warum hat Berlin so schöne Häuser? — Preußisches Glück. — Sachsen und Oesterreich als Blitzableiter. — Das Theaterpublicum und Fräulein Wilhelm!. — Ueberall Eoquetterie! Sogar der Frühling hat aufgehört eine Wahr¬ heit zu sein. Im Februar und März lockte er durch heuchlerische Warme und halbentblöste Reize, und jetzt, wo es gilt, sich zu zeigen, bietet er graue Wolken und kalte Winde. Kaltes Wetter und halber Winter, ist eigentlich dem Berliner eine Wohlthat. Was soll ihm Frühling und Sommer? Was soll er draußen, wo die Natur Andern grüne Berge und schattige Wälder gegeben? Wenn Andere reich sind, ist er arm. Wenn andere Städte mit dem schönsten Schmuck sich zieren, sitzt Berlin wie Aschenbrödel daheim und hütet die prächtigen Häuser, die wie schöne Porzellanöfen dastehen, von außen glatt und glänzend, von innen kalt und lebenslos. Die berliner Oefen sind nicht umsonst berühmt; Berlin ist eine Ofenstadt. Im Winter erhitzt sie sich mit Geist und künstlichem Leben. Viel Holz wird zwar weit aus der Ferne herbeigeschafft, aber sie versteht es zu gebrauchen und aufzuzehren und sie zehrt so rasch und gierig daran, daß das frischeste Nenommve nach zehn Jahren verkohlt ist. Dieser Mangel an äußerem Naturreiz hat Berlin zu einer der am schönsten gebauten Städte in Europa gemacht. Der bürgerliche Baustyl ist hier geschmackvoller, gefälliger und von mannichfaltigercm Wechsel als in den meisten Großstädten des Festlandes. Mit Ausnahme Londons gibt es Seine Stadt, wo der Privatmann so viel Kosten auf die äußere Zierde seines Hauses wendet, als hier. Nicht etwa blos auf den großen, in's Auge fallenden Hauptplätzen, sondern selbst an den äußersten Enden der Stadt, in den zur Hälfte noch leer stehenden Grenzstraßen am Köp- niker Feld, an der Anhaltischen Eisenbahn u. s. w. Das Goethesche: „Dort wo die letzten Häuser stehen", hat in Berlin seine Bedeutung verloren, denn die die Letzten waren, werden die Ersten sein. Der Man¬ gel an schöner Umgebung hat den Sinn des Berliners auf die Pflege und Verschönerung seiner Stadt geführt. Wie bei Jemand, der auf Einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/317>, abgerufen am 27.04.2024.