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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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und glaubt wie der Magister Pangloß, diese (preußische) Welt sei die
beste.

Die junge und hübsche Schauspielerin Fraulein Wilhelm!, der Lieb¬
ling des Breslauec und des Hamburger Publicums, hat hier eine Reihe
von Gastrollen gegeben und nicht angesprochen. Dagegen laßt sich nicht
streiten. Es gibt Menschen, die auf den Einen magnetisch einwirken und
auf den Andern nicht. Aber die Härte, mit der man die Wilhelm! hier
behandelte, ist nicht nur ungerecht, sondern albern. So oft eine Hand
sich rührte, um der jungen Schauspielerin nach einer anstrengenden Scene
ein Aelchen von Theilnahme und Aufmunterung zu geben, gleich über-
zischtcn sie hundert Andere. Mag sein, daß die Hagen hier so viele trost¬
lose Verehrer hinterlassen. Aber die Hagen wurde ja nicht verabschiedet
-- sie ging. Warum laßt man das einen Gast entgelten? Ich habe
in der Wilhelmi eben auch kein großartiges Talent gesehen. Sie ist eine
Copie der Rettich und zwar in so minutiöser Art, daß man oft die
Stimme, ja das Gesicht der bekannten Wiener Hofschauspielerin zu hören
und zu sehen meint. Bei allem dem ist die Wilhelmi doch eine recht
freundliche Erscheinung mit vieler Begabung und guter Routine und
im Vergleich zu den übrigen Kräften, welche die Berliner Hofbühne aus¬
weist, hat das Publicum gar keine Ursache den Hoch- und Uebermüthigen
zu spielen. Zu der Jungfrau von Orleans war sogar die Wilhelmi die
beste in der ganzen Vorstellung.-- Auch ein Herr Schneider hat in er¬
sten Liebhaber- und Heldenrollen gastirt, gehört jedoch vor der Hand
noch als dritter Liebhaber auf eine Bühne zweiten Rangs. --


II.
Aus Paris.

Lecomte. -- Tscheck re.llvivus. -- Die Königin. -- Namenstag des Kö¬
nigs. -- Ibrahim Pascha. -- Bild und Original. -- Sprüche. -- Jffland zu
Pferde. - Theater. -- Zwei Schriftsteller, ein Gedanke. -- Schriftstellerver¬
sammlung. -- Bierzehn Tage in Deutschland. -- Deutsche Dichter. -- Polizei
und Gene. -- Ein Gedächtnis-fest. > / ,

Lecomte ist und bleibt ein gemeiner Mörder, den nur die ge¬
meinste Privatrache bewaffnete: darüber ist alle Welt einig, obwohl er
sich selbst jetzt das Ansehen eines politischen Fanatikers geben möchte.
Sonderbar ist es, daß er auf diese Idee erst nach dem ersten Verhöre
mit Herrn Paskier kam. Es sieht ganz so aus, als hatte man ihm ge¬
wisse Aussagen in den Mund gelegt. Bis der Prozeß vor die Pairs-
kammer und die Oeffentlichkeit kommt, wird Lecomte gänzlich vorbereitet
sein und wird als Franzose seine Rolle gut zu spielen wissen; und es ist
also auch nicht viel auf die bevorstehenden Verhandlungen zu geben.
Lecomte wird schwerlich hingerichtet, sondern für wahnsinnig erklärt wer¬
den. Nur Eines, meinen deutsche Witzlinge in Paris, könnte ihn um
den Kopf bringen und das ist die Rücksicht, die man einem befreundeten
Hofe schuldet, denn Lecomte hat zu viele Aehnlichkeit mit Thebens. Denn
sehr unangenehm müßte es dem intelligentesten Staate sein für weniger
gnadenvoll gehalten zu werden, als die Heimath der Jakobiner und der
Guillotine. Uebrigens war das Verhalten der Pariser nach diesem Ereig-


und glaubt wie der Magister Pangloß, diese (preußische) Welt sei die
beste.

Die junge und hübsche Schauspielerin Fraulein Wilhelm!, der Lieb¬
ling des Breslauec und des Hamburger Publicums, hat hier eine Reihe
von Gastrollen gegeben und nicht angesprochen. Dagegen laßt sich nicht
streiten. Es gibt Menschen, die auf den Einen magnetisch einwirken und
auf den Andern nicht. Aber die Härte, mit der man die Wilhelm! hier
behandelte, ist nicht nur ungerecht, sondern albern. So oft eine Hand
sich rührte, um der jungen Schauspielerin nach einer anstrengenden Scene
ein Aelchen von Theilnahme und Aufmunterung zu geben, gleich über-
zischtcn sie hundert Andere. Mag sein, daß die Hagen hier so viele trost¬
lose Verehrer hinterlassen. Aber die Hagen wurde ja nicht verabschiedet
— sie ging. Warum laßt man das einen Gast entgelten? Ich habe
in der Wilhelmi eben auch kein großartiges Talent gesehen. Sie ist eine
Copie der Rettich und zwar in so minutiöser Art, daß man oft die
Stimme, ja das Gesicht der bekannten Wiener Hofschauspielerin zu hören
und zu sehen meint. Bei allem dem ist die Wilhelmi doch eine recht
freundliche Erscheinung mit vieler Begabung und guter Routine und
im Vergleich zu den übrigen Kräften, welche die Berliner Hofbühne aus¬
weist, hat das Publicum gar keine Ursache den Hoch- und Uebermüthigen
zu spielen. Zu der Jungfrau von Orleans war sogar die Wilhelmi die
beste in der ganzen Vorstellung.— Auch ein Herr Schneider hat in er¬
sten Liebhaber- und Heldenrollen gastirt, gehört jedoch vor der Hand
noch als dritter Liebhaber auf eine Bühne zweiten Rangs. —


II.
Aus Paris.

Lecomte. — Tscheck re.llvivus. — Die Königin. — Namenstag des Kö¬
nigs. — Ibrahim Pascha. — Bild und Original. — Sprüche. — Jffland zu
Pferde. - Theater. — Zwei Schriftsteller, ein Gedanke. — Schriftstellerver¬
sammlung. — Bierzehn Tage in Deutschland. — Deutsche Dichter. — Polizei
und Gene. — Ein Gedächtnis-fest. > / ,

Lecomte ist und bleibt ein gemeiner Mörder, den nur die ge¬
meinste Privatrache bewaffnete: darüber ist alle Welt einig, obwohl er
sich selbst jetzt das Ansehen eines politischen Fanatikers geben möchte.
Sonderbar ist es, daß er auf diese Idee erst nach dem ersten Verhöre
mit Herrn Paskier kam. Es sieht ganz so aus, als hatte man ihm ge¬
wisse Aussagen in den Mund gelegt. Bis der Prozeß vor die Pairs-
kammer und die Oeffentlichkeit kommt, wird Lecomte gänzlich vorbereitet
sein und wird als Franzose seine Rolle gut zu spielen wissen; und es ist
also auch nicht viel auf die bevorstehenden Verhandlungen zu geben.
Lecomte wird schwerlich hingerichtet, sondern für wahnsinnig erklärt wer¬
den. Nur Eines, meinen deutsche Witzlinge in Paris, könnte ihn um
den Kopf bringen und das ist die Rücksicht, die man einem befreundeten
Hofe schuldet, denn Lecomte hat zu viele Aehnlichkeit mit Thebens. Denn
sehr unangenehm müßte es dem intelligentesten Staate sein für weniger
gnadenvoll gehalten zu werden, als die Heimath der Jakobiner und der
Guillotine. Uebrigens war das Verhalten der Pariser nach diesem Ereig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/319>, abgerufen am 29.03.2024.