Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wien, der seiner Sache sich annahm. Mittlerweile war man durch den
Lärm, den diese Sache in Deutschland machte, in der Staatskanzlei auf¬
merksam auf das plumpe Actenstück des Herrn Hölzel geworden und vo¬
rige Woche erhielt Herr Wigand einen artigen Brief von einer in der
benachbarten Stadt residirenden, hochgestellten diplomatischen Person, die
ihn zu einer mündlichen Besprechung einlud. Herr Wigand reiste dahin
und am andern Tage erschien sein Widerruf. Offenbar wurde Herrn
Wigand die Aussicht zur Bewilligung der von ihm verlangten Verbot¬
rücknahme eröffnet; doch ist's natürlich, daß, so lange die persönliche
Beleidigung, welche die "vorläufige Erklärung" Wigand's gegen die
österreichische Regierung enthielt, nicht widerrufen wird, von keiner Ge¬
währung die Rede sein konnte. Da nun Herr Wigand bei dieser Gele¬
genheit die Mißbilligung der oberste" Behörde gegen die Form, welche
die untere gewählt, erfahren hat, so erleichterte dies seinem Gewissen den
Schritt, den er Tags darauf gethan. Dies ist der Sachverhalt in den
Hauptpunkten; ob die kleinen Nebennüancen im Stande sind, über Herrn
Wigand's zwei Erklärungen ein günstigeres Licht zu werfen, darüber wird
er hoffentlich in einer dritten Erklärung Aufschluß geben.


V.
Vier und zwanzig Stunde" ohne Pafi.

Die preußischen Zeitungen sind so vollauf mit den Ereignissen in
Galizien beschäftigt, daß sie ihre nächste Nähe ganz darüber vergessen
oder vielleicht auch vergessen müssen. Während wir fortwährend neue,
dankenswerthe Notizen und Details über die Episoden in Oesterreichisch
Polen hören, liegt ein vollständiger Schleier über der gegenwärtigen Stim-
Ü'-"^.'"-"""^ P°hin. Die preußische Eensur hat nichts dagegen,
daß die Polenfreundlichkeit ihr Feldlager im nebenbuhlerischen Nachbar¬
staate aufschlägt, aber im eigenen Lande ist Schweigen die erste Bür¬
gerpflicht. Und doch muß gar Manches in dem Schooß dieser Schweig¬
samkeit sich begeben, was wohl werth wäre an's Licht der Sonne zu
kommen. Wie man in Preußen gegen die unglücklichen polnischen Com-
promittirten zu Werke geht, haben wir dieser Tage aus dem Munde ei¬
nes Mannes erfahren, der nur 24 Stunden das Malheur hatte, für ei¬
nen Polen gehalten zu werden. Graf Kaiserling, preußischer Guts¬
besitzer in Heinrichswalde bei Tilsit, reiste vor 8 Tagen nach Berlin.
Bei dem Postwechsel in Flatow bemerkte er, daß auf einer der zurück¬
gelegten Stationen bei Bezahlung einer Rechnung sein Paß, den er mit
der Brieftasche herausgezogen hatte, auf dem Tische liegen geblieben war.
Da gerade die Conducteure wechselten, so beauftragte er den retourge¬
henden Eonducteur, den vergessenen Paß abzuholen und ihn ihm nach¬
zuschicken. Wahrscheinlich mochte dies ein dienstbeflissener, besörderungs-
lustiger Postbeamter gehört und die Sache für eine Finte gehalten ha¬
ben, denn in demselben Wagen, in welchem Graf K. in Stettin anlangte,


Wien, der seiner Sache sich annahm. Mittlerweile war man durch den
Lärm, den diese Sache in Deutschland machte, in der Staatskanzlei auf¬
merksam auf das plumpe Actenstück des Herrn Hölzel geworden und vo¬
rige Woche erhielt Herr Wigand einen artigen Brief von einer in der
benachbarten Stadt residirenden, hochgestellten diplomatischen Person, die
ihn zu einer mündlichen Besprechung einlud. Herr Wigand reiste dahin
und am andern Tage erschien sein Widerruf. Offenbar wurde Herrn
Wigand die Aussicht zur Bewilligung der von ihm verlangten Verbot¬
rücknahme eröffnet; doch ist's natürlich, daß, so lange die persönliche
Beleidigung, welche die „vorläufige Erklärung" Wigand's gegen die
österreichische Regierung enthielt, nicht widerrufen wird, von keiner Ge¬
währung die Rede sein konnte. Da nun Herr Wigand bei dieser Gele¬
genheit die Mißbilligung der oberste» Behörde gegen die Form, welche
die untere gewählt, erfahren hat, so erleichterte dies seinem Gewissen den
Schritt, den er Tags darauf gethan. Dies ist der Sachverhalt in den
Hauptpunkten; ob die kleinen Nebennüancen im Stande sind, über Herrn
Wigand's zwei Erklärungen ein günstigeres Licht zu werfen, darüber wird
er hoffentlich in einer dritten Erklärung Aufschluß geben.


V.
Vier und zwanzig Stunde» ohne Pafi.

Die preußischen Zeitungen sind so vollauf mit den Ereignissen in
Galizien beschäftigt, daß sie ihre nächste Nähe ganz darüber vergessen
oder vielleicht auch vergessen müssen. Während wir fortwährend neue,
dankenswerthe Notizen und Details über die Episoden in Oesterreichisch
Polen hören, liegt ein vollständiger Schleier über der gegenwärtigen Stim-
Ü'-"^.'"-»""^ P°hin. Die preußische Eensur hat nichts dagegen,
daß die Polenfreundlichkeit ihr Feldlager im nebenbuhlerischen Nachbar¬
staate aufschlägt, aber im eigenen Lande ist Schweigen die erste Bür¬
gerpflicht. Und doch muß gar Manches in dem Schooß dieser Schweig¬
samkeit sich begeben, was wohl werth wäre an's Licht der Sonne zu
kommen. Wie man in Preußen gegen die unglücklichen polnischen Com-
promittirten zu Werke geht, haben wir dieser Tage aus dem Munde ei¬
nes Mannes erfahren, der nur 24 Stunden das Malheur hatte, für ei¬
nen Polen gehalten zu werden. Graf Kaiserling, preußischer Guts¬
besitzer in Heinrichswalde bei Tilsit, reiste vor 8 Tagen nach Berlin.
Bei dem Postwechsel in Flatow bemerkte er, daß auf einer der zurück¬
gelegten Stationen bei Bezahlung einer Rechnung sein Paß, den er mit
der Brieftasche herausgezogen hatte, auf dem Tische liegen geblieben war.
Da gerade die Conducteure wechselten, so beauftragte er den retourge¬
henden Eonducteur, den vergessenen Paß abzuholen und ihn ihm nach¬
zuschicken. Wahrscheinlich mochte dies ein dienstbeflissener, besörderungs-
lustiger Postbeamter gehört und die Sache für eine Finte gehalten ha¬
ben, denn in demselben Wagen, in welchem Graf K. in Stettin anlangte,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0327" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182750"/>
            <p xml:id="ID_910" prev="#ID_909"> Wien, der seiner Sache sich annahm. Mittlerweile war man durch den<lb/>
Lärm, den diese Sache in Deutschland machte, in der Staatskanzlei auf¬<lb/>
merksam auf das plumpe Actenstück des Herrn Hölzel geworden und vo¬<lb/>
rige Woche erhielt Herr Wigand einen artigen Brief von einer in der<lb/>
benachbarten Stadt residirenden, hochgestellten diplomatischen Person, die<lb/>
ihn zu einer mündlichen Besprechung einlud. Herr Wigand reiste dahin<lb/>
und am andern Tage erschien sein Widerruf. Offenbar wurde Herrn<lb/>
Wigand die Aussicht zur Bewilligung der von ihm verlangten Verbot¬<lb/>
rücknahme eröffnet; doch ist's natürlich, daß, so lange die persönliche<lb/>
Beleidigung, welche die &#x201E;vorläufige Erklärung" Wigand's gegen die<lb/>
österreichische Regierung enthielt, nicht widerrufen wird, von keiner Ge¬<lb/>
währung die Rede sein konnte. Da nun Herr Wigand bei dieser Gele¬<lb/>
genheit die Mißbilligung der oberste» Behörde gegen die Form, welche<lb/>
die untere gewählt, erfahren hat, so erleichterte dies seinem Gewissen den<lb/>
Schritt, den er Tags darauf gethan. Dies ist der Sachverhalt in den<lb/>
Hauptpunkten; ob die kleinen Nebennüancen im Stande sind, über Herrn<lb/>
Wigand's zwei Erklärungen ein günstigeres Licht zu werfen, darüber wird<lb/>
er hoffentlich in einer dritten Erklärung Aufschluß geben.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> V.<lb/>
Vier und zwanzig Stunde» ohne Pafi.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_911" next="#ID_912"> Die preußischen Zeitungen sind so vollauf mit den Ereignissen in<lb/>
Galizien beschäftigt, daß sie ihre nächste Nähe ganz darüber vergessen<lb/>
oder vielleicht auch vergessen müssen. Während wir fortwährend neue,<lb/>
dankenswerthe Notizen und Details über die Episoden in Oesterreichisch<lb/>
Polen hören, liegt ein vollständiger Schleier über der gegenwärtigen Stim-<lb/>
Ü'-"^.'"-»""^ P°hin.  Die preußische Eensur hat nichts dagegen,<lb/>
daß die Polenfreundlichkeit ihr Feldlager im nebenbuhlerischen Nachbar¬<lb/>
staate aufschlägt, aber im eigenen Lande ist Schweigen die erste Bür¬<lb/>
gerpflicht. Und doch muß gar Manches in dem Schooß dieser Schweig¬<lb/>
samkeit sich begeben, was wohl werth wäre an's Licht der Sonne zu<lb/>
kommen. Wie man in Preußen gegen die unglücklichen polnischen Com-<lb/>
promittirten zu Werke geht, haben wir dieser Tage aus dem Munde ei¬<lb/>
nes Mannes erfahren, der nur 24 Stunden das Malheur hatte, für ei¬<lb/>
nen Polen gehalten zu werden. Graf Kaiserling, preußischer Guts¬<lb/>
besitzer in Heinrichswalde bei Tilsit, reiste vor 8 Tagen nach Berlin.<lb/>
Bei dem Postwechsel in Flatow bemerkte er, daß auf einer der zurück¬<lb/>
gelegten Stationen bei Bezahlung einer Rechnung sein Paß, den er mit<lb/>
der Brieftasche herausgezogen hatte, auf dem Tische liegen geblieben war.<lb/>
Da gerade die Conducteure wechselten, so beauftragte er den retourge¬<lb/>
henden Eonducteur, den vergessenen Paß abzuholen und ihn ihm nach¬<lb/>
zuschicken. Wahrscheinlich mochte dies ein dienstbeflissener, besörderungs-<lb/>
lustiger Postbeamter gehört und die Sache für eine Finte gehalten ha¬<lb/>
ben, denn in demselben Wagen, in welchem Graf K. in Stettin anlangte,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0327] Wien, der seiner Sache sich annahm. Mittlerweile war man durch den Lärm, den diese Sache in Deutschland machte, in der Staatskanzlei auf¬ merksam auf das plumpe Actenstück des Herrn Hölzel geworden und vo¬ rige Woche erhielt Herr Wigand einen artigen Brief von einer in der benachbarten Stadt residirenden, hochgestellten diplomatischen Person, die ihn zu einer mündlichen Besprechung einlud. Herr Wigand reiste dahin und am andern Tage erschien sein Widerruf. Offenbar wurde Herrn Wigand die Aussicht zur Bewilligung der von ihm verlangten Verbot¬ rücknahme eröffnet; doch ist's natürlich, daß, so lange die persönliche Beleidigung, welche die „vorläufige Erklärung" Wigand's gegen die österreichische Regierung enthielt, nicht widerrufen wird, von keiner Ge¬ währung die Rede sein konnte. Da nun Herr Wigand bei dieser Gele¬ genheit die Mißbilligung der oberste» Behörde gegen die Form, welche die untere gewählt, erfahren hat, so erleichterte dies seinem Gewissen den Schritt, den er Tags darauf gethan. Dies ist der Sachverhalt in den Hauptpunkten; ob die kleinen Nebennüancen im Stande sind, über Herrn Wigand's zwei Erklärungen ein günstigeres Licht zu werfen, darüber wird er hoffentlich in einer dritten Erklärung Aufschluß geben. V. Vier und zwanzig Stunde» ohne Pafi. Die preußischen Zeitungen sind so vollauf mit den Ereignissen in Galizien beschäftigt, daß sie ihre nächste Nähe ganz darüber vergessen oder vielleicht auch vergessen müssen. Während wir fortwährend neue, dankenswerthe Notizen und Details über die Episoden in Oesterreichisch Polen hören, liegt ein vollständiger Schleier über der gegenwärtigen Stim- Ü'-"^.'"-»""^ P°hin. Die preußische Eensur hat nichts dagegen, daß die Polenfreundlichkeit ihr Feldlager im nebenbuhlerischen Nachbar¬ staate aufschlägt, aber im eigenen Lande ist Schweigen die erste Bür¬ gerpflicht. Und doch muß gar Manches in dem Schooß dieser Schweig¬ samkeit sich begeben, was wohl werth wäre an's Licht der Sonne zu kommen. Wie man in Preußen gegen die unglücklichen polnischen Com- promittirten zu Werke geht, haben wir dieser Tage aus dem Munde ei¬ nes Mannes erfahren, der nur 24 Stunden das Malheur hatte, für ei¬ nen Polen gehalten zu werden. Graf Kaiserling, preußischer Guts¬ besitzer in Heinrichswalde bei Tilsit, reiste vor 8 Tagen nach Berlin. Bei dem Postwechsel in Flatow bemerkte er, daß auf einer der zurück¬ gelegten Stationen bei Bezahlung einer Rechnung sein Paß, den er mit der Brieftasche herausgezogen hatte, auf dem Tische liegen geblieben war. Da gerade die Conducteure wechselten, so beauftragte er den retourge¬ henden Eonducteur, den vergessenen Paß abzuholen und ihn ihm nach¬ zuschicken. Wahrscheinlich mochte dies ein dienstbeflissener, besörderungs- lustiger Postbeamter gehört und die Sache für eine Finte gehalten ha¬ ben, denn in demselben Wagen, in welchem Graf K. in Stettin anlangte,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/327
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/327>, abgerufen am 25.04.2024.