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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Ein Liberaler aus den dreißiger Jahren



Wie Viele reisen jährlich im Sommer oder Herbste nach dem
Rheinfälle zu Schaffhausen, nach den anmuthigen Ufern des Boden¬
sees und enthnsiasmiren sich auf der Insel Meinau, jener lieblichen
Idylle, welche die Laune der Natur unserer nordischen Prosa einflickte.
Hort einen Augenblick auf, die Natur zu bewundern, ihr wandernden
Handwerker, ihr trostlos nüchternen Engländer, ihr träumerischen Stu¬
denten, ihr cmpfindelnden Damen; ich will euch nach Constanz führen
und euch dort Denkmale deutscher Geschichte zeigen! Seht dort die
Stadt, in der ein gutes Stück deutschen Pfaffenwitzes abgesponnen
wurde; in ihrer Bauart ist sie noch halb im Mittelalter drinnen, aber
in den Herzen ihrer Bewohner lebt frisch und kräftig der Geist der
Gegenwart. Ihre Gesinnung, ihr Charakter paßt ganz zu der An¬
muth und Großartigkeit der Gegend, die, herrlich, wie ein Heldenge¬
dicht, sich umher ausbreitet; Constanz ist eine der freisinnigsten, der
volkstümlichsten Städte des badischen Landes; -- gleich entfernt von
pfäffischen Aberglauben, wie von serviler Kriecherei oder hochmüthi-
gen Beamtenstolz, gehört sie zur Zahl jener wenigen Städte, die, wie
Königsberg, Mannheim, Köln, noch wenigstens eine politische
Selbstständigkeit und Charakterfestigkeit zeigen. Von der Gesinnung
der Constanzer sind die dort, wenn ich nicht irre, unter Fiedler's
Redaction erscheinenden Seeblätter ein deutliches Zeugniß, die, ob¬
gleich unter gedrückten Censur- und finanziellen Verhältnissen, doch
ihre Aufgabe, ein Volksblatt im wahren Sinne zu sein, tüchtig lösen.

In Constanz ist Huß gestorben. Nicht weit von der Stelle, wo
der "göttliche Dulder" verbrannt sein soll, ist die Schweizergrenze,


Grenzbvt-n, ihl". II. 41
Ein Liberaler aus den dreißiger Jahren



Wie Viele reisen jährlich im Sommer oder Herbste nach dem
Rheinfälle zu Schaffhausen, nach den anmuthigen Ufern des Boden¬
sees und enthnsiasmiren sich auf der Insel Meinau, jener lieblichen
Idylle, welche die Laune der Natur unserer nordischen Prosa einflickte.
Hort einen Augenblick auf, die Natur zu bewundern, ihr wandernden
Handwerker, ihr trostlos nüchternen Engländer, ihr träumerischen Stu¬
denten, ihr cmpfindelnden Damen; ich will euch nach Constanz führen
und euch dort Denkmale deutscher Geschichte zeigen! Seht dort die
Stadt, in der ein gutes Stück deutschen Pfaffenwitzes abgesponnen
wurde; in ihrer Bauart ist sie noch halb im Mittelalter drinnen, aber
in den Herzen ihrer Bewohner lebt frisch und kräftig der Geist der
Gegenwart. Ihre Gesinnung, ihr Charakter paßt ganz zu der An¬
muth und Großartigkeit der Gegend, die, herrlich, wie ein Heldenge¬
dicht, sich umher ausbreitet; Constanz ist eine der freisinnigsten, der
volkstümlichsten Städte des badischen Landes; — gleich entfernt von
pfäffischen Aberglauben, wie von serviler Kriecherei oder hochmüthi-
gen Beamtenstolz, gehört sie zur Zahl jener wenigen Städte, die, wie
Königsberg, Mannheim, Köln, noch wenigstens eine politische
Selbstständigkeit und Charakterfestigkeit zeigen. Von der Gesinnung
der Constanzer sind die dort, wenn ich nicht irre, unter Fiedler's
Redaction erscheinenden Seeblätter ein deutliches Zeugniß, die, ob¬
gleich unter gedrückten Censur- und finanziellen Verhältnissen, doch
ihre Aufgabe, ein Volksblatt im wahren Sinne zu sein, tüchtig lösen.

In Constanz ist Huß gestorben. Nicht weit von der Stelle, wo
der „göttliche Dulder" verbrannt sein soll, ist die Schweizergrenze,


Grenzbvt-n, ihl«. II. 41
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[0329] Ein Liberaler aus den dreißiger Jahren Wie Viele reisen jährlich im Sommer oder Herbste nach dem Rheinfälle zu Schaffhausen, nach den anmuthigen Ufern des Boden¬ sees und enthnsiasmiren sich auf der Insel Meinau, jener lieblichen Idylle, welche die Laune der Natur unserer nordischen Prosa einflickte. Hort einen Augenblick auf, die Natur zu bewundern, ihr wandernden Handwerker, ihr trostlos nüchternen Engländer, ihr träumerischen Stu¬ denten, ihr cmpfindelnden Damen; ich will euch nach Constanz führen und euch dort Denkmale deutscher Geschichte zeigen! Seht dort die Stadt, in der ein gutes Stück deutschen Pfaffenwitzes abgesponnen wurde; in ihrer Bauart ist sie noch halb im Mittelalter drinnen, aber in den Herzen ihrer Bewohner lebt frisch und kräftig der Geist der Gegenwart. Ihre Gesinnung, ihr Charakter paßt ganz zu der An¬ muth und Großartigkeit der Gegend, die, herrlich, wie ein Heldenge¬ dicht, sich umher ausbreitet; Constanz ist eine der freisinnigsten, der volkstümlichsten Städte des badischen Landes; — gleich entfernt von pfäffischen Aberglauben, wie von serviler Kriecherei oder hochmüthi- gen Beamtenstolz, gehört sie zur Zahl jener wenigen Städte, die, wie Königsberg, Mannheim, Köln, noch wenigstens eine politische Selbstständigkeit und Charakterfestigkeit zeigen. Von der Gesinnung der Constanzer sind die dort, wenn ich nicht irre, unter Fiedler's Redaction erscheinenden Seeblätter ein deutliches Zeugniß, die, ob¬ gleich unter gedrückten Censur- und finanziellen Verhältnissen, doch ihre Aufgabe, ein Volksblatt im wahren Sinne zu sein, tüchtig lösen. In Constanz ist Huß gestorben. Nicht weit von der Stelle, wo der „göttliche Dulder" verbrannt sein soll, ist die Schweizergrenze, Grenzbvt-n, ihl«. II. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/329>, abgerufen am 19.04.2024.