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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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i.
Politische Romane.

"Zeiten und Sitten" -- der allgemeine Titel, unter welchem L, Schük-
king seinen neuesten Roman die Nitterbürtigen gibt, und mit welchem
er eine Reihenfolge ähnlicher Gemälde in Aussicht stellt, -- macht uns
nicht irre, diesen Roman als einen politischen zu bezeichnen. Die Nit-
terbürtigen erscheinen eben in neuester Zeit uns auf rohcavaliere Weise
autonomisch genug gestimmt gegen die herrschende Macht und für ihre
"ultramontankirchlichen, reactionären Interessen"; die Haupttriebfeder der
Romanverwickelung, die Gräfin von Quernheim, ist ferner von einem
nur zu männlichen Ehrgeize für die alte oder für eine neue Macht des
Adels gespannt, und die Verwicklungen des Romans gehen aus ihren
politischen Verstimmungen und Intriguen hervor. Dazu bilden die poli¬
tischen Reflexionen des Poeten den eigentlichen Kern seines vielfach aus¬
gezeichneten Buches, das bereits in gewissen Gegenden und Kreisen Auf¬
sehen genug zu machen anfängt. Die Erfindungen des Dichters schwe¬
ben nicht in der Luft, sondern halten sich mit festen, kundigen Schritten
auf einem eigenthümlich angebauten Boden zerstreuter Bauernhöfe und
zahlreicher "feudalistisch bethürmter, altergrauer, wallgrabenbeschützter
Adtlssitze". Wie diese Provinz wird man auch die Gesellschaft bald er¬
kennen, die "durchaus exquisit, in jedem Tropfen reinstes Vollblut und
ohne das geringste Plebejer-Element ist, welches einen trüben Hauch oder
Schatten auf die glänzende Reinheit der Assemblee werfen könnte. Der
Odem eines Rotüriers hat nie die lautere Atmosphäre dieser Gemächer
inficirt; ein großer und genialer Künstler, ein die Welt erschütternder
Denker würde vergeblich um die Gunst buhlen, eine Einladung zu die¬
sem Clubb zu erhalten," wo nur von Hunden und Pferden, von Jagd
und Fohlenweiden gesprochen wird. Der Fürst ist "ein geistreicher Mann
von vielen Fähigkeiten und poetisch erregbarer Natur, alten Namen wie
ritterlichem Wesen geneigt; die Negierung aber trifft mit den Bestrebun¬
gen der Nitterbürtigen," das demokratische Element der Neuheit nieder¬
zuhalten und der Volksentwickelung keine Selbstthümlichkeit zu lassen,
einträchtiglich zusammen."


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i.
Politische Romane.

„Zeiten und Sitten" — der allgemeine Titel, unter welchem L, Schük-
king seinen neuesten Roman die Nitterbürtigen gibt, und mit welchem
er eine Reihenfolge ähnlicher Gemälde in Aussicht stellt, — macht uns
nicht irre, diesen Roman als einen politischen zu bezeichnen. Die Nit-
terbürtigen erscheinen eben in neuester Zeit uns auf rohcavaliere Weise
autonomisch genug gestimmt gegen die herrschende Macht und für ihre
„ultramontankirchlichen, reactionären Interessen"; die Haupttriebfeder der
Romanverwickelung, die Gräfin von Quernheim, ist ferner von einem
nur zu männlichen Ehrgeize für die alte oder für eine neue Macht des
Adels gespannt, und die Verwicklungen des Romans gehen aus ihren
politischen Verstimmungen und Intriguen hervor. Dazu bilden die poli¬
tischen Reflexionen des Poeten den eigentlichen Kern seines vielfach aus¬
gezeichneten Buches, das bereits in gewissen Gegenden und Kreisen Auf¬
sehen genug zu machen anfängt. Die Erfindungen des Dichters schwe¬
ben nicht in der Luft, sondern halten sich mit festen, kundigen Schritten
auf einem eigenthümlich angebauten Boden zerstreuter Bauernhöfe und
zahlreicher „feudalistisch bethürmter, altergrauer, wallgrabenbeschützter
Adtlssitze". Wie diese Provinz wird man auch die Gesellschaft bald er¬
kennen, die „durchaus exquisit, in jedem Tropfen reinstes Vollblut und
ohne das geringste Plebejer-Element ist, welches einen trüben Hauch oder
Schatten auf die glänzende Reinheit der Assemblee werfen könnte. Der
Odem eines Rotüriers hat nie die lautere Atmosphäre dieser Gemächer
inficirt; ein großer und genialer Künstler, ein die Welt erschütternder
Denker würde vergeblich um die Gunst buhlen, eine Einladung zu die¬
sem Clubb zu erhalten," wo nur von Hunden und Pferden, von Jagd
und Fohlenweiden gesprochen wird. Der Fürst ist „ein geistreicher Mann
von vielen Fähigkeiten und poetisch erregbarer Natur, alten Namen wie
ritterlichem Wesen geneigt; die Negierung aber trifft mit den Bestrebun¬
gen der Nitterbürtigen," das demokratische Element der Neuheit nieder¬
zuhalten und der Volksentwickelung keine Selbstthümlichkeit zu lassen,
einträchtiglich zusammen."


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[0408] T a g e b u es. i. Politische Romane. „Zeiten und Sitten" — der allgemeine Titel, unter welchem L, Schük- king seinen neuesten Roman die Nitterbürtigen gibt, und mit welchem er eine Reihenfolge ähnlicher Gemälde in Aussicht stellt, — macht uns nicht irre, diesen Roman als einen politischen zu bezeichnen. Die Nit- terbürtigen erscheinen eben in neuester Zeit uns auf rohcavaliere Weise autonomisch genug gestimmt gegen die herrschende Macht und für ihre „ultramontankirchlichen, reactionären Interessen"; die Haupttriebfeder der Romanverwickelung, die Gräfin von Quernheim, ist ferner von einem nur zu männlichen Ehrgeize für die alte oder für eine neue Macht des Adels gespannt, und die Verwicklungen des Romans gehen aus ihren politischen Verstimmungen und Intriguen hervor. Dazu bilden die poli¬ tischen Reflexionen des Poeten den eigentlichen Kern seines vielfach aus¬ gezeichneten Buches, das bereits in gewissen Gegenden und Kreisen Auf¬ sehen genug zu machen anfängt. Die Erfindungen des Dichters schwe¬ ben nicht in der Luft, sondern halten sich mit festen, kundigen Schritten auf einem eigenthümlich angebauten Boden zerstreuter Bauernhöfe und zahlreicher „feudalistisch bethürmter, altergrauer, wallgrabenbeschützter Adtlssitze". Wie diese Provinz wird man auch die Gesellschaft bald er¬ kennen, die „durchaus exquisit, in jedem Tropfen reinstes Vollblut und ohne das geringste Plebejer-Element ist, welches einen trüben Hauch oder Schatten auf die glänzende Reinheit der Assemblee werfen könnte. Der Odem eines Rotüriers hat nie die lautere Atmosphäre dieser Gemächer inficirt; ein großer und genialer Künstler, ein die Welt erschütternder Denker würde vergeblich um die Gunst buhlen, eine Einladung zu die¬ sem Clubb zu erhalten," wo nur von Hunden und Pferden, von Jagd und Fohlenweiden gesprochen wird. Der Fürst ist „ein geistreicher Mann von vielen Fähigkeiten und poetisch erregbarer Natur, alten Namen wie ritterlichem Wesen geneigt; die Negierung aber trifft mit den Bestrebun¬ gen der Nitterbürtigen," das demokratische Element der Neuheit nieder¬ zuhalten und der Volksentwickelung keine Selbstthümlichkeit zu lassen, einträchtiglich zusammen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/408>, abgerufen am 28.03.2024.