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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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deutschen Patiotismus und die Liebe zum Leben anzuregen, indem er
darauf hindeutet, daß die Deutschen von den Polen dem Tode geweiht
gewesen seien und es dem Deutschen nicht gleichgültig sein könne, den
deutschen Einfluß in einem fremden Lande vernichtet zu sehen. Darauf
kann ich nur erwidern, daß die angebliche Lebensgefahr den Deutschen
in Galizien nicht als Deutschen, sondern nur in Folge des von der
Regierung beobachteten Systems trifft, das den Polen alle auf dem
letzten Landtage in Bezug auf Sprache und Nationalität gestellten
Bitten abzuschlagen für gut fand; das Vollgefühl und der National¬
stolz der Deutschen, die man in gewissen Fällen, wo sie dem gouver-
nementalen Interesse dienen sollen, gern dulden möchte, sonst überall
planmäßig niedergehalten werden, sind nicht rege genug, um mit Erfolg
angerufen zu werden. Wenn die Politik die deutsche Nation einmal
als Nation behandelt, dann mag sich dieselbe auch auf den deutschen
Nationalgeist berufen. Schließlich erwähne ich nur noch, daß nach den
den Deutschen in ren Tagen des französischen Druckes gebotenen Leh¬
ren, denen die deutschen Fürsten ihre gegenwärtige Existenz verdanken,
ein Volk, das sich von Fremden beherrschen läßt, selbst wenn es an
deren Nuhm und Civilisation Theil nehmen kann, ein verächtliches
Dasein führe und bei allem physischen Wohlsein am Ende doch nur
eine Heerde, aber keine Nation sei. Was aber bei den Deutschen
gilt, soll es nicht auch von den Polen gelten?


Der Correspondent d. Grenzboten.
VI.
Notizen.

Ein selten er Ehemann. -- Voltaire in Kinderschuhen. -- DeutscheAusw-mderer.

-- Der Selbstmord aus hoffnungsloser Liebe ist eine ganz ge¬
wöhnliche Bctise. Wenn Einer Eine nicht kriegen kann, wird sie in
seinen Augen immer schöner, seine Leidenschaft immer heftiger, und es
ist nur natürlich, wenn er zuletzt seine Sehnsucht mit Blei und Pul¬
ver stillt. Wie groß aber muß die Liebe sein, die sogar nach der
Heirath noch im Stande ist, einen Mann zum Selbstmord zu trei¬
ben! Einen Werther dieser Art hat noch kein Poet erfunden, und
die alten Wertherinnen sind abgestanden, darum sorgt die gütige Vor¬
sehung, daß die Wirklichkeit der lahmen Phantasie von Novellen und
Romcmschreibem dann und wann zu Hilfe kommt. Eine neuliche
Pariser Begebenheit wäre ein interessanter Novellenstoff. Ein Pär¬
chen, das sich aus Liebe geheirathet, kann bald nach der Hochzeit sich
nicht vertragen, und die Bemühungen der Verwandten, allerhand
kindische Streitigkeiten zwischen ihnen beizulegen, sind umsonst. Die
junge Frau will sich scheiden lassen, der junge Mann, der sie leiden¬
schaftlich liebt, weigert sich. Die Verwandten sind sämmtlich auf sei-


deutschen Patiotismus und die Liebe zum Leben anzuregen, indem er
darauf hindeutet, daß die Deutschen von den Polen dem Tode geweiht
gewesen seien und es dem Deutschen nicht gleichgültig sein könne, den
deutschen Einfluß in einem fremden Lande vernichtet zu sehen. Darauf
kann ich nur erwidern, daß die angebliche Lebensgefahr den Deutschen
in Galizien nicht als Deutschen, sondern nur in Folge des von der
Regierung beobachteten Systems trifft, das den Polen alle auf dem
letzten Landtage in Bezug auf Sprache und Nationalität gestellten
Bitten abzuschlagen für gut fand; das Vollgefühl und der National¬
stolz der Deutschen, die man in gewissen Fällen, wo sie dem gouver-
nementalen Interesse dienen sollen, gern dulden möchte, sonst überall
planmäßig niedergehalten werden, sind nicht rege genug, um mit Erfolg
angerufen zu werden. Wenn die Politik die deutsche Nation einmal
als Nation behandelt, dann mag sich dieselbe auch auf den deutschen
Nationalgeist berufen. Schließlich erwähne ich nur noch, daß nach den
den Deutschen in ren Tagen des französischen Druckes gebotenen Leh¬
ren, denen die deutschen Fürsten ihre gegenwärtige Existenz verdanken,
ein Volk, das sich von Fremden beherrschen läßt, selbst wenn es an
deren Nuhm und Civilisation Theil nehmen kann, ein verächtliches
Dasein führe und bei allem physischen Wohlsein am Ende doch nur
eine Heerde, aber keine Nation sei. Was aber bei den Deutschen
gilt, soll es nicht auch von den Polen gelten?


Der Correspondent d. Grenzboten.
VI.
Notizen.

Ein selten er Ehemann. — Voltaire in Kinderschuhen. — DeutscheAusw-mderer.

— Der Selbstmord aus hoffnungsloser Liebe ist eine ganz ge¬
wöhnliche Bctise. Wenn Einer Eine nicht kriegen kann, wird sie in
seinen Augen immer schöner, seine Leidenschaft immer heftiger, und es
ist nur natürlich, wenn er zuletzt seine Sehnsucht mit Blei und Pul¬
ver stillt. Wie groß aber muß die Liebe sein, die sogar nach der
Heirath noch im Stande ist, einen Mann zum Selbstmord zu trei¬
ben! Einen Werther dieser Art hat noch kein Poet erfunden, und
die alten Wertherinnen sind abgestanden, darum sorgt die gütige Vor¬
sehung, daß die Wirklichkeit der lahmen Phantasie von Novellen und
Romcmschreibem dann und wann zu Hilfe kommt. Eine neuliche
Pariser Begebenheit wäre ein interessanter Novellenstoff. Ein Pär¬
chen, das sich aus Liebe geheirathet, kann bald nach der Hochzeit sich
nicht vertragen, und die Bemühungen der Verwandten, allerhand
kindische Streitigkeiten zwischen ihnen beizulegen, sind umsonst. Die
junge Frau will sich scheiden lassen, der junge Mann, der sie leiden¬
schaftlich liebt, weigert sich. Die Verwandten sind sämmtlich auf sei-


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[0043] deutschen Patiotismus und die Liebe zum Leben anzuregen, indem er darauf hindeutet, daß die Deutschen von den Polen dem Tode geweiht gewesen seien und es dem Deutschen nicht gleichgültig sein könne, den deutschen Einfluß in einem fremden Lande vernichtet zu sehen. Darauf kann ich nur erwidern, daß die angebliche Lebensgefahr den Deutschen in Galizien nicht als Deutschen, sondern nur in Folge des von der Regierung beobachteten Systems trifft, das den Polen alle auf dem letzten Landtage in Bezug auf Sprache und Nationalität gestellten Bitten abzuschlagen für gut fand; das Vollgefühl und der National¬ stolz der Deutschen, die man in gewissen Fällen, wo sie dem gouver- nementalen Interesse dienen sollen, gern dulden möchte, sonst überall planmäßig niedergehalten werden, sind nicht rege genug, um mit Erfolg angerufen zu werden. Wenn die Politik die deutsche Nation einmal als Nation behandelt, dann mag sich dieselbe auch auf den deutschen Nationalgeist berufen. Schließlich erwähne ich nur noch, daß nach den den Deutschen in ren Tagen des französischen Druckes gebotenen Leh¬ ren, denen die deutschen Fürsten ihre gegenwärtige Existenz verdanken, ein Volk, das sich von Fremden beherrschen läßt, selbst wenn es an deren Nuhm und Civilisation Theil nehmen kann, ein verächtliches Dasein führe und bei allem physischen Wohlsein am Ende doch nur eine Heerde, aber keine Nation sei. Was aber bei den Deutschen gilt, soll es nicht auch von den Polen gelten? Der Correspondent d. Grenzboten. VI. Notizen. Ein selten er Ehemann. — Voltaire in Kinderschuhen. — DeutscheAusw-mderer. — Der Selbstmord aus hoffnungsloser Liebe ist eine ganz ge¬ wöhnliche Bctise. Wenn Einer Eine nicht kriegen kann, wird sie in seinen Augen immer schöner, seine Leidenschaft immer heftiger, und es ist nur natürlich, wenn er zuletzt seine Sehnsucht mit Blei und Pul¬ ver stillt. Wie groß aber muß die Liebe sein, die sogar nach der Heirath noch im Stande ist, einen Mann zum Selbstmord zu trei¬ ben! Einen Werther dieser Art hat noch kein Poet erfunden, und die alten Wertherinnen sind abgestanden, darum sorgt die gütige Vor¬ sehung, daß die Wirklichkeit der lahmen Phantasie von Novellen und Romcmschreibem dann und wann zu Hilfe kommt. Eine neuliche Pariser Begebenheit wäre ein interessanter Novellenstoff. Ein Pär¬ chen, das sich aus Liebe geheirathet, kann bald nach der Hochzeit sich nicht vertragen, und die Bemühungen der Verwandten, allerhand kindische Streitigkeiten zwischen ihnen beizulegen, sind umsonst. Die junge Frau will sich scheiden lassen, der junge Mann, der sie leiden¬ schaftlich liebt, weigert sich. Die Verwandten sind sämmtlich auf sei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/43>, abgerufen am 29.03.2024.