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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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wirbelte noch am Abende desselben Tages eine schwarze Rauchsäule aus
dem Dache des neuen Ortsrichtcrs, allein die Hand der Nemesis schleu¬
derte den Brand von diesem Hause auf die übrigen und in wenigen
Stunden lag das ganze Dorf in Äsche, als lebendiges Bild von dem
gewöhnlichen Ausgang eines mit Erbitterung geführten Prozesses!

Ein wichtiges Quellenwerk zur österreichischen Geschichte wird von
dem Geschichtsforscher Kaltenbück, der jüngst zum Staatsarchivar beför¬
dert worden, in Gemeinschaft mit dem ol-. Beck, welcher Hauslehrer des
Fürsten Schwarzenberg ist, vorbereitet. Der Lo^ki^x ^"striklous soll alle (?)
wichtigern Urkunden umfassen, die in dem k. k. Staatsarchiv und in
andern Bibliotheken liegen, und eine breite Grundlage zum Bau einer
künftigen Staatsgeschichte Oesterreichs liefern. Sind auch Vollständigkeit
und rücksichtslose Behandlung der Vergangenheit, unter der Redaction
dieser Herren und unter unsern lichtscheuen Censurverhältnissen nicht
grade zu erwarten, so werden doch dabei manche interessante Actenstücke
an's Tageslicht kommen, die sonst im Staub vermodert wären. Das
Erbübel Oesterreichs ist die Heimlichkeit und jede Concession, die diese
macht, ist schon ein bedeutender Fortschritt, da vor Allem die Kenntniß
der Dinge fehlt, um mit Erfolg und Sicherheit in die Schranken zu
treten. Damit indeß das zu bewältigende Material nicht allzusehr an¬
schwelle und die Idee in ihrem eigenen Fett ersticke, so haben sich die
Herausgeber auf die Zeit von I52l anfangs beschränkt, wo mit dem
Regierungsantritt Ferdinands !., nach Kaiser Karls Abdankung, die Tren¬
nung der deutschen und spanischen Länder eintrat und Oesterreich anfing,
sich als selbstständige Macht zu gestalten und fortzubilden.


III.
Aus Paris.

Prinz Napoleon. -- Schadenfreude. -- Thiers und Guizot, -- Die Akademie.
-- Skepticismus. -- Was ein Legitimist sein muß. -- Oesterreich und Sardinien.
-- Physiognomie von Paris.

Prinz Louis Napoleon, der närrische Prätendent, ist richtig in Lon¬
don angekommen und das hat er gut gemacht. Louis Philipp kann zwar
ruhig sein und sich'S auf seinem Throne ferner wohl behagen lassen, aber
der Gemahl der Tochter Hudson Löwe's hat sich desto mehr in Acht zu
nehmen. Es ist bekannt, wie der große napoleonide diese Kerkermeisters¬
tochter mit seiner Liebe durch England, Deutschland und Italien ver¬
folgte. -- Hier in Paris machte die Evasion übrigens nur sehr geringes
Aufsehen -- man hat so wenig Sympathien mit den napoleoniden und
noch weniger mit diesem Theaterprinzen, der sich schon so oft lächerlich
gemacht -- und Alles darf man bei den Franzosen, nur nicht lächerlich
darf man werden. Man denke nur an die letzte Landung des Prinzen
-- mit vierzig Mann und einem lebendigen Adler kam er, Frankreich zu
erobern. Einen so genialen Einfall hatte selbst Napoleon nicht, als er
in Frejus landete. -- Eine kleine Schadenfreude können übrigens die
Franzosen nicht unterdrücken -- Schadenfreude über Louis Philipp's
langes Gesicht. Er hätte den Adlerprinzen längst gern losgelassen, wenn


wirbelte noch am Abende desselben Tages eine schwarze Rauchsäule aus
dem Dache des neuen Ortsrichtcrs, allein die Hand der Nemesis schleu¬
derte den Brand von diesem Hause auf die übrigen und in wenigen
Stunden lag das ganze Dorf in Äsche, als lebendiges Bild von dem
gewöhnlichen Ausgang eines mit Erbitterung geführten Prozesses!

Ein wichtiges Quellenwerk zur österreichischen Geschichte wird von
dem Geschichtsforscher Kaltenbück, der jüngst zum Staatsarchivar beför¬
dert worden, in Gemeinschaft mit dem ol-. Beck, welcher Hauslehrer des
Fürsten Schwarzenberg ist, vorbereitet. Der Lo^ki^x ^»striklous soll alle (?)
wichtigern Urkunden umfassen, die in dem k. k. Staatsarchiv und in
andern Bibliotheken liegen, und eine breite Grundlage zum Bau einer
künftigen Staatsgeschichte Oesterreichs liefern. Sind auch Vollständigkeit
und rücksichtslose Behandlung der Vergangenheit, unter der Redaction
dieser Herren und unter unsern lichtscheuen Censurverhältnissen nicht
grade zu erwarten, so werden doch dabei manche interessante Actenstücke
an's Tageslicht kommen, die sonst im Staub vermodert wären. Das
Erbübel Oesterreichs ist die Heimlichkeit und jede Concession, die diese
macht, ist schon ein bedeutender Fortschritt, da vor Allem die Kenntniß
der Dinge fehlt, um mit Erfolg und Sicherheit in die Schranken zu
treten. Damit indeß das zu bewältigende Material nicht allzusehr an¬
schwelle und die Idee in ihrem eigenen Fett ersticke, so haben sich die
Herausgeber auf die Zeit von I52l anfangs beschränkt, wo mit dem
Regierungsantritt Ferdinands !., nach Kaiser Karls Abdankung, die Tren¬
nung der deutschen und spanischen Länder eintrat und Oesterreich anfing,
sich als selbstständige Macht zu gestalten und fortzubilden.


III.
Aus Paris.

Prinz Napoleon. — Schadenfreude. — Thiers und Guizot, — Die Akademie.
— Skepticismus. — Was ein Legitimist sein muß. — Oesterreich und Sardinien.
— Physiognomie von Paris.

Prinz Louis Napoleon, der närrische Prätendent, ist richtig in Lon¬
don angekommen und das hat er gut gemacht. Louis Philipp kann zwar
ruhig sein und sich'S auf seinem Throne ferner wohl behagen lassen, aber
der Gemahl der Tochter Hudson Löwe's hat sich desto mehr in Acht zu
nehmen. Es ist bekannt, wie der große napoleonide diese Kerkermeisters¬
tochter mit seiner Liebe durch England, Deutschland und Italien ver¬
folgte. — Hier in Paris machte die Evasion übrigens nur sehr geringes
Aufsehen — man hat so wenig Sympathien mit den napoleoniden und
noch weniger mit diesem Theaterprinzen, der sich schon so oft lächerlich
gemacht — und Alles darf man bei den Franzosen, nur nicht lächerlich
darf man werden. Man denke nur an die letzte Landung des Prinzen
— mit vierzig Mann und einem lebendigen Adler kam er, Frankreich zu
erobern. Einen so genialen Einfall hatte selbst Napoleon nicht, als er
in Frejus landete. — Eine kleine Schadenfreude können übrigens die
Franzosen nicht unterdrücken — Schadenfreude über Louis Philipp's
langes Gesicht. Er hätte den Adlerprinzen längst gern losgelassen, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/456>, abgerufen am 25.04.2024.