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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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andern Menschen ausmachen, und selbst die Erinnerungen, die dem
Leben Reiz geben. Die Priester gleichen uns armen Frauen, jedes
lebhafte Gefühl ist ein Verbrechen. Adieu, ich mache mir wegen mei¬
ner Neugier Vorwürfe, doch Du bist Schuld daran.

(Wir lassen hier mehrere Briefe weg, in welchen von dem Pater
Bukowizka nicht mehr die Rede ist.)


Fünfter Brief.
Dieselbe an Dieselbe.

Seit langer Zeit will ich Dir schreiben, meine liebe Sophie, und
ich weiß nicht, welche falsche Scham mich davon abgehalten. Was
ich Dir zu sagen habe, ist so seltsam, so lächerlich und so traurig zu¬
gleich, daß ich nicht weiß, ob Du davon gerührt sein oder ob Du
darüber lachen wirst. Ich selbst verstehe noch nichts davon. Ohne
weitere Einleitung komme ich zur Sache. Ich habe Dir in meinen
Briefen öfter von dem Pater Bukowizka gesprochen. Ich habe Dir
sogar ein gewisses Abenteuer erzählt, welches der Grund seines Beru¬
fes wurde. In der Einsamkeit, in der ich lebe, und mit den schwer-
müthigen Ideen, die Du an mir kennst, war mir die Gesellschaft eines
geistvollen, unterrichteten, liebenswürdigen Mannes äußerst schätzbar.
Wahrscheinlich habe ich ihn merken lassen, daß er mich interessirte, und
nach sehr kurzer Zeit war er bei uns wie ein alter Freund. Es war
mir, ich gestehe es, ein ganz neues Vergnügen, mit einem so begabten
Manne zu plaudern, dessen Unkenntnis) der Welt seiner geistigen Ueber-
legenheit einen höhern Werth gab. Vielleicht auch, denn ich muß Dir
Alles sagen und mag Dir keinen Fehler meines Charakters verbergen,
vielleicht hat sich auch meine "naive Koketterie", - wie Du es nennst,
ohne mein Wissen geltend gemacht. Ich gefalle gern den Leuten, die
mir gefallen, ich will von Denen, die ich liebe, geliebt fein. -- Bei die¬
sem Anfang sehe ich Dich große Augen machen . . . Beruhige Dich,
Sophie, in meinem Alter fängt man nicht an Thorheiten zu begehen.
Es hat sich eine Art Intimität zwischen uns gebildet, ohne daß er je
etwas gesagt oder gethan, was dem heiligen Charakter, mit dem er
bekleidet ist, nicht geziemte. Er gefiel sich bei mir. Wir plauderten
oft von seiner Jugend, und mehr als ein Mal war ich so unbesonnen,
jene romantische Leidenschaft auf das Tapet zu bringen, die ihm ein


andern Menschen ausmachen, und selbst die Erinnerungen, die dem
Leben Reiz geben. Die Priester gleichen uns armen Frauen, jedes
lebhafte Gefühl ist ein Verbrechen. Adieu, ich mache mir wegen mei¬
ner Neugier Vorwürfe, doch Du bist Schuld daran.

(Wir lassen hier mehrere Briefe weg, in welchen von dem Pater
Bukowizka nicht mehr die Rede ist.)


Fünfter Brief.
Dieselbe an Dieselbe.

Seit langer Zeit will ich Dir schreiben, meine liebe Sophie, und
ich weiß nicht, welche falsche Scham mich davon abgehalten. Was
ich Dir zu sagen habe, ist so seltsam, so lächerlich und so traurig zu¬
gleich, daß ich nicht weiß, ob Du davon gerührt sein oder ob Du
darüber lachen wirst. Ich selbst verstehe noch nichts davon. Ohne
weitere Einleitung komme ich zur Sache. Ich habe Dir in meinen
Briefen öfter von dem Pater Bukowizka gesprochen. Ich habe Dir
sogar ein gewisses Abenteuer erzählt, welches der Grund seines Beru¬
fes wurde. In der Einsamkeit, in der ich lebe, und mit den schwer-
müthigen Ideen, die Du an mir kennst, war mir die Gesellschaft eines
geistvollen, unterrichteten, liebenswürdigen Mannes äußerst schätzbar.
Wahrscheinlich habe ich ihn merken lassen, daß er mich interessirte, und
nach sehr kurzer Zeit war er bei uns wie ein alter Freund. Es war
mir, ich gestehe es, ein ganz neues Vergnügen, mit einem so begabten
Manne zu plaudern, dessen Unkenntnis) der Welt seiner geistigen Ueber-
legenheit einen höhern Werth gab. Vielleicht auch, denn ich muß Dir
Alles sagen und mag Dir keinen Fehler meines Charakters verbergen,
vielleicht hat sich auch meine „naive Koketterie", - wie Du es nennst,
ohne mein Wissen geltend gemacht. Ich gefalle gern den Leuten, die
mir gefallen, ich will von Denen, die ich liebe, geliebt fein. — Bei die¬
sem Anfang sehe ich Dich große Augen machen . . . Beruhige Dich,
Sophie, in meinem Alter fängt man nicht an Thorheiten zu begehen.
Es hat sich eine Art Intimität zwischen uns gebildet, ohne daß er je
etwas gesagt oder gethan, was dem heiligen Charakter, mit dem er
bekleidet ist, nicht geziemte. Er gefiel sich bei mir. Wir plauderten
oft von seiner Jugend, und mehr als ein Mal war ich so unbesonnen,
jene romantische Leidenschaft auf das Tapet zu bringen, die ihm ein


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[0468] andern Menschen ausmachen, und selbst die Erinnerungen, die dem Leben Reiz geben. Die Priester gleichen uns armen Frauen, jedes lebhafte Gefühl ist ein Verbrechen. Adieu, ich mache mir wegen mei¬ ner Neugier Vorwürfe, doch Du bist Schuld daran. (Wir lassen hier mehrere Briefe weg, in welchen von dem Pater Bukowizka nicht mehr die Rede ist.) Fünfter Brief. Dieselbe an Dieselbe. Seit langer Zeit will ich Dir schreiben, meine liebe Sophie, und ich weiß nicht, welche falsche Scham mich davon abgehalten. Was ich Dir zu sagen habe, ist so seltsam, so lächerlich und so traurig zu¬ gleich, daß ich nicht weiß, ob Du davon gerührt sein oder ob Du darüber lachen wirst. Ich selbst verstehe noch nichts davon. Ohne weitere Einleitung komme ich zur Sache. Ich habe Dir in meinen Briefen öfter von dem Pater Bukowizka gesprochen. Ich habe Dir sogar ein gewisses Abenteuer erzählt, welches der Grund seines Beru¬ fes wurde. In der Einsamkeit, in der ich lebe, und mit den schwer- müthigen Ideen, die Du an mir kennst, war mir die Gesellschaft eines geistvollen, unterrichteten, liebenswürdigen Mannes äußerst schätzbar. Wahrscheinlich habe ich ihn merken lassen, daß er mich interessirte, und nach sehr kurzer Zeit war er bei uns wie ein alter Freund. Es war mir, ich gestehe es, ein ganz neues Vergnügen, mit einem so begabten Manne zu plaudern, dessen Unkenntnis) der Welt seiner geistigen Ueber- legenheit einen höhern Werth gab. Vielleicht auch, denn ich muß Dir Alles sagen und mag Dir keinen Fehler meines Charakters verbergen, vielleicht hat sich auch meine „naive Koketterie", - wie Du es nennst, ohne mein Wissen geltend gemacht. Ich gefalle gern den Leuten, die mir gefallen, ich will von Denen, die ich liebe, geliebt fein. — Bei die¬ sem Anfang sehe ich Dich große Augen machen . . . Beruhige Dich, Sophie, in meinem Alter fängt man nicht an Thorheiten zu begehen. Es hat sich eine Art Intimität zwischen uns gebildet, ohne daß er je etwas gesagt oder gethan, was dem heiligen Charakter, mit dem er bekleidet ist, nicht geziemte. Er gefiel sich bei mir. Wir plauderten oft von seiner Jugend, und mehr als ein Mal war ich so unbesonnen, jene romantische Leidenschaft auf das Tapet zu bringen, die ihm ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/468>, abgerufen am 28.03.2024.