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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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beehrt, daß er aus Princip und nicht etwa aus Sparsamkeit für seine
ganze zahlreiche Familie mir eine Portion Kaffee consumire und daß
er nirgends das Brod so gut finde, als bei sich zu Hause, weswegen
er solches nach der Ressource sich immer mitbringe und was dergleichen
unschuldige Täuschungen mehr sind, die keinen Andern mehr betrügen,
denn den Täuschenden selber. Wenn ich nur wenigstens einmal ein wahr¬
haft fröhliches und erheitertes Gesicht gesehen hätte. Aber das Ver¬
gnügen ist ihnen eine Arbeit. Sie sind in ihren alten Adam so ver¬
sessen und befangen, daß sie ihn auch keinen Augenblick lang an den
Nagel hängen können lind einen neuen Menschen anziehen. Ich be¬
greife eine solche Enstenz nicht. --


IV.

Seit einer Woche haben wir Theater hier. Eine wandernde
Schattspielergesellschaft hat uns mit ihrem Talente beglückt und ver¬
spricht uns, wie es auch sei, einige langweilige Abende wegzuwischen.
R. sieht zum ersten Mal innerhalb seiner Thore eine Bühne, die bei¬
läufig in einer alten, nicht mehr benutzten Brauerei ausgeschlagen
worden. Wie tief ein solches Ereignis) in das hiesige Leben eingrei¬
fen muß, wirst Du Dir selber sagen. Für ein halbes Jahrhundert we¬
nigstens ist ein neuer Unterhaltungsstoff erobert. Ich war bet der er¬
sten Aufführung zugegen, die grade so viel leistete, als man erwarten
durste, nicht so viel, um auch nur mäßigen Anforderungen zu genü¬
gen, aber doch auch nicht so wenig, um als unfreiwillige Cari-
catur Interesse zu erregen. Aber das war auch das Geringste:
die wahre Schaubühne war vor dem Vorhang. Ich hätte ein Ma¬
ler sein mögen, um Dir dieses einzige Gemisch von kindischem
Stamm und spießbürgerlichen nil mirnr! auf den Gesichtern dar¬
zustellen. Ein lustigerer Gegensatz ist mir noch kaum vor die
Augen gekommen. Wie sie anfangs so stumm dasaßen und sich dann
wieder darüber schämten und neue Versuche machten, geistreiche Re¬
flexionen anzustellen, die das traurige Schicksal hatten, über alle
Maßen dumm zu sein, und dann wieder verstummten, es war mehr als
lächerlich, es war wahrhaft rührend. Hätte ich mir eS hier nicht
abgewöhnt, verlegen zu werden, die ziemliche Schwüle, die dein Auf¬
ziehen des Vorhangs voranging und als er dann endlich in die Höhe
stieg, in einem ""willkürlichen allgemeinen Ach sich erklärte, hätte mich
zu Boden drücken müssen. Nachher wollte man freilich auf dem vor¬
dersten Range jenes Ach nicht zugeben und schob es auf zweiten,


beehrt, daß er aus Princip und nicht etwa aus Sparsamkeit für seine
ganze zahlreiche Familie mir eine Portion Kaffee consumire und daß
er nirgends das Brod so gut finde, als bei sich zu Hause, weswegen
er solches nach der Ressource sich immer mitbringe und was dergleichen
unschuldige Täuschungen mehr sind, die keinen Andern mehr betrügen,
denn den Täuschenden selber. Wenn ich nur wenigstens einmal ein wahr¬
haft fröhliches und erheitertes Gesicht gesehen hätte. Aber das Ver¬
gnügen ist ihnen eine Arbeit. Sie sind in ihren alten Adam so ver¬
sessen und befangen, daß sie ihn auch keinen Augenblick lang an den
Nagel hängen können lind einen neuen Menschen anziehen. Ich be¬
greife eine solche Enstenz nicht. —


IV.

Seit einer Woche haben wir Theater hier. Eine wandernde
Schattspielergesellschaft hat uns mit ihrem Talente beglückt und ver¬
spricht uns, wie es auch sei, einige langweilige Abende wegzuwischen.
R. sieht zum ersten Mal innerhalb seiner Thore eine Bühne, die bei¬
läufig in einer alten, nicht mehr benutzten Brauerei ausgeschlagen
worden. Wie tief ein solches Ereignis) in das hiesige Leben eingrei¬
fen muß, wirst Du Dir selber sagen. Für ein halbes Jahrhundert we¬
nigstens ist ein neuer Unterhaltungsstoff erobert. Ich war bet der er¬
sten Aufführung zugegen, die grade so viel leistete, als man erwarten
durste, nicht so viel, um auch nur mäßigen Anforderungen zu genü¬
gen, aber doch auch nicht so wenig, um als unfreiwillige Cari-
catur Interesse zu erregen. Aber das war auch das Geringste:
die wahre Schaubühne war vor dem Vorhang. Ich hätte ein Ma¬
ler sein mögen, um Dir dieses einzige Gemisch von kindischem
Stamm und spießbürgerlichen nil mirnr! auf den Gesichtern dar¬
zustellen. Ein lustigerer Gegensatz ist mir noch kaum vor die
Augen gekommen. Wie sie anfangs so stumm dasaßen und sich dann
wieder darüber schämten und neue Versuche machten, geistreiche Re¬
flexionen anzustellen, die das traurige Schicksal hatten, über alle
Maßen dumm zu sein, und dann wieder verstummten, es war mehr als
lächerlich, es war wahrhaft rührend. Hätte ich mir eS hier nicht
abgewöhnt, verlegen zu werden, die ziemliche Schwüle, die dein Auf¬
ziehen des Vorhangs voranging und als er dann endlich in die Höhe
stieg, in einem «»willkürlichen allgemeinen Ach sich erklärte, hätte mich
zu Boden drücken müssen. Nachher wollte man freilich auf dem vor¬
dersten Range jenes Ach nicht zugeben und schob es auf zweiten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/491>, abgerufen am 19.04.2024.