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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Paare für einander bestimmt und in dem eingeengten geselligen
Leben, wie es durch die Verhältnisse bedingt ist, gewöhnen sie sich
hinlänglich aneinander, um sich später in der Ehe grade dulden zu
können. Versuchung ist denn auch, wie erklärlich, nur in den aller-
seltensten Fällen geboten und so wäre es denn nichts weniger als ein
blaues Meerwunder, wenn das eheliche Leben nicht in gottseliger
Friedfertigkeit hinginge.' Außerdem heirathet man hier sehr früh.
Ein Schwein, ein Fuder Mist und ein Stückchen Feld, reichen zur
Ausstattung hin. Und nun muß man sie renommi'ren hören, sich brü¬
sten und spreizen mit ihrer Anhänglichkeit an Weib und Kind, mit
ihren schweren Sorgen um das Gedeihen der Familie. Man muß sie
hören, wie jedes dritte Wort ihres Gesprächs "Erfahrung" ist, die sie
auch nur an ihren meist listigen Schlingeln und dem lieben Vieh ge¬
sammelt haben können. Stundenlang sitzen sie da mit ihren ellenlan¬
gen Kleidern und wissen von weiter nichts zu schwatzen, als von ihren
Kindern. Jeder Nuthenstreich wird da als Muster pädagogischer Weis¬
heit sämmtlicher Herren Gevattern und Frauen Muhmen noch ein Mal
applicirt, die nur kein so gar dickes Fell haben sollten, jede Dumm¬
heit der werthen Sprossen mit juridischer Genauigkeit referirt und daraus
seine Befähigung zum spätern einsichtsvollen Bürger und Rathmanne
ermessen. So ist denn die Familie Alles in Allem, -- das """ n"?
das nie genug zur Schau getragen werden kann. Was in die stillen
vier Wände gehört, das wird auf den offenen Markt übertragen, die
Innerlichkeit des Gefühles und der Pietät auf's Schamloseste unbe¬
fugten aber gewünschten Geistern Preis gegeben. Wenn ein russischer
Kaiser mit seiner allerhöchsten Gemahlin öffentlich Beweise ehelicher
Liebe zum Besten gibt und vor der ganzen Welt sie zärtlich umarmend
küßt, el so ist das eben der russische Kaiser und seine allerhöchste Ge¬
mahlin, und vermöge des göttlichen Rechtes der Gewalthaber hat Nie¬
mand die Befugniß, dies anders als erhebend zu finden, aber wenn
unser ehrlicher Kanzleiinspector Kerzl den ihn nach dem Mittagsschläf¬
chen zum Rathhaus begleitenden Sohn erst inbrünstig im Angesicht des
ganzen Marktes abküßt, ehe er ihn wieder nach Hause entläßt -- und
der Bube ist beiläufig an die siebenzehn Jahre -- so ist das mehr als
abgeschmackt. Um mit dem Lateiner zu reden: 8i alio taeiuot nten,
ne"u est iäem. --


VI.

Was man hier nicht Alles zu Koren bekommt I Da hätte ein An¬
derer sich tausend Jahre abquälen können, um einen ähnlichen genia-


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Paare für einander bestimmt und in dem eingeengten geselligen
Leben, wie es durch die Verhältnisse bedingt ist, gewöhnen sie sich
hinlänglich aneinander, um sich später in der Ehe grade dulden zu
können. Versuchung ist denn auch, wie erklärlich, nur in den aller-
seltensten Fällen geboten und so wäre es denn nichts weniger als ein
blaues Meerwunder, wenn das eheliche Leben nicht in gottseliger
Friedfertigkeit hinginge.' Außerdem heirathet man hier sehr früh.
Ein Schwein, ein Fuder Mist und ein Stückchen Feld, reichen zur
Ausstattung hin. Und nun muß man sie renommi'ren hören, sich brü¬
sten und spreizen mit ihrer Anhänglichkeit an Weib und Kind, mit
ihren schweren Sorgen um das Gedeihen der Familie. Man muß sie
hören, wie jedes dritte Wort ihres Gesprächs „Erfahrung" ist, die sie
auch nur an ihren meist listigen Schlingeln und dem lieben Vieh ge¬
sammelt haben können. Stundenlang sitzen sie da mit ihren ellenlan¬
gen Kleidern und wissen von weiter nichts zu schwatzen, als von ihren
Kindern. Jeder Nuthenstreich wird da als Muster pädagogischer Weis¬
heit sämmtlicher Herren Gevattern und Frauen Muhmen noch ein Mal
applicirt, die nur kein so gar dickes Fell haben sollten, jede Dumm¬
heit der werthen Sprossen mit juridischer Genauigkeit referirt und daraus
seine Befähigung zum spätern einsichtsvollen Bürger und Rathmanne
ermessen. So ist denn die Familie Alles in Allem, — das ««« n«?
das nie genug zur Schau getragen werden kann. Was in die stillen
vier Wände gehört, das wird auf den offenen Markt übertragen, die
Innerlichkeit des Gefühles und der Pietät auf's Schamloseste unbe¬
fugten aber gewünschten Geistern Preis gegeben. Wenn ein russischer
Kaiser mit seiner allerhöchsten Gemahlin öffentlich Beweise ehelicher
Liebe zum Besten gibt und vor der ganzen Welt sie zärtlich umarmend
küßt, el so ist das eben der russische Kaiser und seine allerhöchste Ge¬
mahlin, und vermöge des göttlichen Rechtes der Gewalthaber hat Nie¬
mand die Befugniß, dies anders als erhebend zu finden, aber wenn
unser ehrlicher Kanzleiinspector Kerzl den ihn nach dem Mittagsschläf¬
chen zum Rathhaus begleitenden Sohn erst inbrünstig im Angesicht des
ganzen Marktes abküßt, ehe er ihn wieder nach Hause entläßt — und
der Bube ist beiläufig an die siebenzehn Jahre — so ist das mehr als
abgeschmackt. Um mit dem Lateiner zu reden: 8i alio taeiuot nten,
ne»u est iäem. —


VI.

Was man hier nicht Alles zu Koren bekommt I Da hätte ein An¬
derer sich tausend Jahre abquälen können, um einen ähnlichen genia-


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[0493] Paare für einander bestimmt und in dem eingeengten geselligen Leben, wie es durch die Verhältnisse bedingt ist, gewöhnen sie sich hinlänglich aneinander, um sich später in der Ehe grade dulden zu können. Versuchung ist denn auch, wie erklärlich, nur in den aller- seltensten Fällen geboten und so wäre es denn nichts weniger als ein blaues Meerwunder, wenn das eheliche Leben nicht in gottseliger Friedfertigkeit hinginge.' Außerdem heirathet man hier sehr früh. Ein Schwein, ein Fuder Mist und ein Stückchen Feld, reichen zur Ausstattung hin. Und nun muß man sie renommi'ren hören, sich brü¬ sten und spreizen mit ihrer Anhänglichkeit an Weib und Kind, mit ihren schweren Sorgen um das Gedeihen der Familie. Man muß sie hören, wie jedes dritte Wort ihres Gesprächs „Erfahrung" ist, die sie auch nur an ihren meist listigen Schlingeln und dem lieben Vieh ge¬ sammelt haben können. Stundenlang sitzen sie da mit ihren ellenlan¬ gen Kleidern und wissen von weiter nichts zu schwatzen, als von ihren Kindern. Jeder Nuthenstreich wird da als Muster pädagogischer Weis¬ heit sämmtlicher Herren Gevattern und Frauen Muhmen noch ein Mal applicirt, die nur kein so gar dickes Fell haben sollten, jede Dumm¬ heit der werthen Sprossen mit juridischer Genauigkeit referirt und daraus seine Befähigung zum spätern einsichtsvollen Bürger und Rathmanne ermessen. So ist denn die Familie Alles in Allem, — das ««« n«? das nie genug zur Schau getragen werden kann. Was in die stillen vier Wände gehört, das wird auf den offenen Markt übertragen, die Innerlichkeit des Gefühles und der Pietät auf's Schamloseste unbe¬ fugten aber gewünschten Geistern Preis gegeben. Wenn ein russischer Kaiser mit seiner allerhöchsten Gemahlin öffentlich Beweise ehelicher Liebe zum Besten gibt und vor der ganzen Welt sie zärtlich umarmend küßt, el so ist das eben der russische Kaiser und seine allerhöchste Ge¬ mahlin, und vermöge des göttlichen Rechtes der Gewalthaber hat Nie¬ mand die Befugniß, dies anders als erhebend zu finden, aber wenn unser ehrlicher Kanzleiinspector Kerzl den ihn nach dem Mittagsschläf¬ chen zum Rathhaus begleitenden Sohn erst inbrünstig im Angesicht des ganzen Marktes abküßt, ehe er ihn wieder nach Hause entläßt — und der Bube ist beiläufig an die siebenzehn Jahre — so ist das mehr als abgeschmackt. Um mit dem Lateiner zu reden: 8i alio taeiuot nten, ne»u est iäem. — VI. Was man hier nicht Alles zu Koren bekommt I Da hätte ein An¬ derer sich tausend Jahre abquälen können, um einen ähnlichen genia- Gnnzboten. n. 1S40. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/493>, abgerufen am 16.04.2024.