Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Spalten, preuß. Thaler kostet. So ist eben jetzt ein Gutsbesitzer
auf Schloß Tuetz im deutsch-kroner Kreise (Westpreußen), Herr Carl Gers¬
dorf, mit der tgi. Regierung zu Marienwerder in einen öffentlichen Mci-
nungskampf verwickelt, der in der vossischen Zeitung geführt wird. Die
tgi. Regierung bezahlt ihre Erwiderungen schwerlich, aber Herr Gersdorf
muß seine Erklärungen, obwohl sie für preuß. Kreisverhälmisse vom
größten Interesse sind, theuer bezahlen und machte bekannt, daß er seine
fernern Mittheilungen wegen dieser kostspieligen Jnftrtionsgebühren nicht
mehr in der vossischen Zeitung, sondern in der deutsch. Allgem. des Hrn.
Brockhaus (also im "Auslande") würde drucken lassen.


N.
2.
Schelling.

Der Kampf der religiösen Parteiinteressen hat auch den Philosophie
schen Einstedler unserer Hauptstadt, hat auch den schweigsamen Schelling
veranlaßt, zu reden. "Die Verhältnisse sind ernst genug; aus wissen¬
schaftlichen Fragen sind kirchliche, und damit unvermeidlich zugleich poli¬
tische geworden und die Sacken auf einen Punkt gelangt, wo der Fall
des bekannten solonischen Gesetzes eingetreten und es keinem gegen seine
Mitbürger Wohlgesinnten, der mit seiner Zeit leben und in ihr wirken
will, erlaubt ist, gleichgiltig zu bleiben, wo er zwar nicht gerade Partei
ergreifen (denn er könnte ja hoffen, aus allen Parteien zu bleiben) aber
doch seinen Standpunkt nehmen und mit ausdrücklichen, un¬
zweideutigen Worten erklären muß." So spricht sich Schelling an
der bescheidenen Stelle eines Vorwortes zu den nachgelassenen Schriften
von Steffens aus. Daß es unserem alten Philosophen keineswegs darum
zu thun war, auf die Leidenschaft des Tages, auf das Publicum
der Brochüren und der Zeitungsartikel zu wirken, das sieht man deutlich
darin, daß er "seinen Standpunkt," seine "ausdrücklichen, unzweideuti¬
gen Worte" vor diesem Publicum geradewegs versteckt und dieselben an
einem Orte niederlegt, wo man dieselben am allerwenigsten erwartet.
Zu welcher Wichtigkeit nun die kirchliche Bewegung in Preußen fortge¬
schritten, das beweiset jedenfalls, daß selbst ein Schelling gezwungen wird
zu reden. Schelling ist zu philosophisch, als daß er nicht den Kern des
Kampfes, den Streit um die freie Fortbewegung des menschlichen Gei¬
stes erkennen und anerkennen sollte, aber er ist andererseits auch wieder
zu sehr mit dem Bestehenden zusammengewachsen, als daß er die Berech¬
tigung desselben ganz und gar aufgeben möchte, zwischen diesen beiden
Elementen hin- und her schwankt sein Standpunkt: "Wenn die deutsche
protestantische Kirche die Umstände, in denen sie sich befindet und in de¬
nen jetzt so Viele sich ärgern, im Zusammenhang mit dem Ziele betrach¬
tet, so wird sie die gegenwärtige Schmach als die Schmach Christi selbst
"höher achten, denn die Schätze Egvpti," als die glänzendste äußere Ver¬
fassung, welche sie an der Erreichung jenes Zieles, daß die Kirche vom
Staate frei werde, welches Freiwerden nur ein Zeichen ihrer eigenen in¬
neren Vollendung sein wird, verhindert hätte." Was die protestantische


68"

Spalten, preuß. Thaler kostet. So ist eben jetzt ein Gutsbesitzer
auf Schloß Tuetz im deutsch-kroner Kreise (Westpreußen), Herr Carl Gers¬
dorf, mit der tgi. Regierung zu Marienwerder in einen öffentlichen Mci-
nungskampf verwickelt, der in der vossischen Zeitung geführt wird. Die
tgi. Regierung bezahlt ihre Erwiderungen schwerlich, aber Herr Gersdorf
muß seine Erklärungen, obwohl sie für preuß. Kreisverhälmisse vom
größten Interesse sind, theuer bezahlen und machte bekannt, daß er seine
fernern Mittheilungen wegen dieser kostspieligen Jnftrtionsgebühren nicht
mehr in der vossischen Zeitung, sondern in der deutsch. Allgem. des Hrn.
Brockhaus (also im „Auslande") würde drucken lassen.


N.
2.
Schelling.

Der Kampf der religiösen Parteiinteressen hat auch den Philosophie
schen Einstedler unserer Hauptstadt, hat auch den schweigsamen Schelling
veranlaßt, zu reden. „Die Verhältnisse sind ernst genug; aus wissen¬
schaftlichen Fragen sind kirchliche, und damit unvermeidlich zugleich poli¬
tische geworden und die Sacken auf einen Punkt gelangt, wo der Fall
des bekannten solonischen Gesetzes eingetreten und es keinem gegen seine
Mitbürger Wohlgesinnten, der mit seiner Zeit leben und in ihr wirken
will, erlaubt ist, gleichgiltig zu bleiben, wo er zwar nicht gerade Partei
ergreifen (denn er könnte ja hoffen, aus allen Parteien zu bleiben) aber
doch seinen Standpunkt nehmen und mit ausdrücklichen, un¬
zweideutigen Worten erklären muß." So spricht sich Schelling an
der bescheidenen Stelle eines Vorwortes zu den nachgelassenen Schriften
von Steffens aus. Daß es unserem alten Philosophen keineswegs darum
zu thun war, auf die Leidenschaft des Tages, auf das Publicum
der Brochüren und der Zeitungsartikel zu wirken, das sieht man deutlich
darin, daß er „seinen Standpunkt," seine „ausdrücklichen, unzweideuti¬
gen Worte" vor diesem Publicum geradewegs versteckt und dieselben an
einem Orte niederlegt, wo man dieselben am allerwenigsten erwartet.
Zu welcher Wichtigkeit nun die kirchliche Bewegung in Preußen fortge¬
schritten, das beweiset jedenfalls, daß selbst ein Schelling gezwungen wird
zu reden. Schelling ist zu philosophisch, als daß er nicht den Kern des
Kampfes, den Streit um die freie Fortbewegung des menschlichen Gei¬
stes erkennen und anerkennen sollte, aber er ist andererseits auch wieder
zu sehr mit dem Bestehenden zusammengewachsen, als daß er die Berech¬
tigung desselben ganz und gar aufgeben möchte, zwischen diesen beiden
Elementen hin- und her schwankt sein Standpunkt: „Wenn die deutsche
protestantische Kirche die Umstände, in denen sie sich befindet und in de¬
nen jetzt so Viele sich ärgern, im Zusammenhang mit dem Ziele betrach¬
tet, so wird sie die gegenwärtige Schmach als die Schmach Christi selbst
„höher achten, denn die Schätze Egvpti," als die glänzendste äußere Ver¬
fassung, welche sie an der Erreichung jenes Zieles, daß die Kirche vom
Staate frei werde, welches Freiwerden nur ein Zeichen ihrer eigenen in¬
neren Vollendung sein wird, verhindert hätte." Was die protestantische


68»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0543" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182966"/>
              <p xml:id="ID_1670" prev="#ID_1669"> Spalten, preuß. Thaler kostet. So ist eben jetzt ein Gutsbesitzer<lb/>
auf Schloß Tuetz im deutsch-kroner Kreise (Westpreußen), Herr Carl Gers¬<lb/>
dorf, mit der tgi. Regierung zu Marienwerder in einen öffentlichen Mci-<lb/>
nungskampf verwickelt, der in der vossischen Zeitung geführt wird. Die<lb/>
tgi. Regierung bezahlt ihre Erwiderungen schwerlich, aber Herr Gersdorf<lb/>
muß seine Erklärungen, obwohl sie für preuß. Kreisverhälmisse vom<lb/>
größten Interesse sind, theuer bezahlen und machte bekannt, daß er seine<lb/>
fernern Mittheilungen wegen dieser kostspieligen Jnftrtionsgebühren nicht<lb/>
mehr in der vossischen Zeitung, sondern in der deutsch. Allgem. des Hrn.<lb/>
Brockhaus (also im &#x201E;Auslande") würde drucken lassen.</p><lb/>
              <note type="byline"> N.</note><lb/>
            </div>
            <div n="3">
              <head> 2.<lb/>
Schelling.</head><lb/>
              <p xml:id="ID_1671" next="#ID_1672"> Der Kampf der religiösen Parteiinteressen hat auch den Philosophie<lb/>
schen Einstedler unserer Hauptstadt, hat auch den schweigsamen Schelling<lb/>
veranlaßt, zu reden. &#x201E;Die Verhältnisse sind ernst genug; aus wissen¬<lb/>
schaftlichen Fragen sind kirchliche, und damit unvermeidlich zugleich poli¬<lb/>
tische geworden und die Sacken auf einen Punkt gelangt, wo der Fall<lb/>
des bekannten solonischen Gesetzes eingetreten und es keinem gegen seine<lb/>
Mitbürger Wohlgesinnten, der mit seiner Zeit leben und in ihr wirken<lb/>
will, erlaubt ist, gleichgiltig zu bleiben, wo er zwar nicht gerade Partei<lb/>
ergreifen (denn er könnte ja hoffen, aus allen Parteien zu bleiben) aber<lb/>
doch seinen Standpunkt nehmen und mit ausdrücklichen, un¬<lb/>
zweideutigen Worten erklären muß." So spricht sich Schelling an<lb/>
der bescheidenen Stelle eines Vorwortes zu den nachgelassenen Schriften<lb/>
von Steffens aus. Daß es unserem alten Philosophen keineswegs darum<lb/>
zu thun war, auf die Leidenschaft des Tages, auf das Publicum<lb/>
der Brochüren und der Zeitungsartikel zu wirken, das sieht man deutlich<lb/>
darin, daß er &#x201E;seinen Standpunkt," seine &#x201E;ausdrücklichen, unzweideuti¬<lb/>
gen Worte" vor diesem Publicum geradewegs versteckt und dieselben an<lb/>
einem Orte niederlegt, wo man dieselben am allerwenigsten erwartet.<lb/>
Zu welcher Wichtigkeit nun die kirchliche Bewegung in Preußen fortge¬<lb/>
schritten, das beweiset jedenfalls, daß selbst ein Schelling gezwungen wird<lb/>
zu reden. Schelling ist zu philosophisch, als daß er nicht den Kern des<lb/>
Kampfes, den Streit um die freie Fortbewegung des menschlichen Gei¬<lb/>
stes erkennen und anerkennen sollte, aber er ist andererseits auch wieder<lb/>
zu sehr mit dem Bestehenden zusammengewachsen, als daß er die Berech¬<lb/>
tigung desselben ganz und gar aufgeben möchte, zwischen diesen beiden<lb/>
Elementen hin- und her schwankt sein Standpunkt: &#x201E;Wenn die deutsche<lb/>
protestantische Kirche die Umstände, in denen sie sich befindet und in de¬<lb/>
nen jetzt so Viele sich ärgern, im Zusammenhang mit dem Ziele betrach¬<lb/>
tet, so wird sie die gegenwärtige Schmach als die Schmach Christi selbst<lb/>
&#x201E;höher achten, denn die Schätze Egvpti," als die glänzendste äußere Ver¬<lb/>
fassung, welche sie an der Erreichung jenes Zieles, daß die Kirche vom<lb/>
Staate frei werde, welches Freiwerden nur ein Zeichen ihrer eigenen in¬<lb/>
neren Vollendung sein wird, verhindert hätte." Was die protestantische</p><lb/>
              <fw type="sig" place="bottom"> 68»</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0543] Spalten, preuß. Thaler kostet. So ist eben jetzt ein Gutsbesitzer auf Schloß Tuetz im deutsch-kroner Kreise (Westpreußen), Herr Carl Gers¬ dorf, mit der tgi. Regierung zu Marienwerder in einen öffentlichen Mci- nungskampf verwickelt, der in der vossischen Zeitung geführt wird. Die tgi. Regierung bezahlt ihre Erwiderungen schwerlich, aber Herr Gersdorf muß seine Erklärungen, obwohl sie für preuß. Kreisverhälmisse vom größten Interesse sind, theuer bezahlen und machte bekannt, daß er seine fernern Mittheilungen wegen dieser kostspieligen Jnftrtionsgebühren nicht mehr in der vossischen Zeitung, sondern in der deutsch. Allgem. des Hrn. Brockhaus (also im „Auslande") würde drucken lassen. N. 2. Schelling. Der Kampf der religiösen Parteiinteressen hat auch den Philosophie schen Einstedler unserer Hauptstadt, hat auch den schweigsamen Schelling veranlaßt, zu reden. „Die Verhältnisse sind ernst genug; aus wissen¬ schaftlichen Fragen sind kirchliche, und damit unvermeidlich zugleich poli¬ tische geworden und die Sacken auf einen Punkt gelangt, wo der Fall des bekannten solonischen Gesetzes eingetreten und es keinem gegen seine Mitbürger Wohlgesinnten, der mit seiner Zeit leben und in ihr wirken will, erlaubt ist, gleichgiltig zu bleiben, wo er zwar nicht gerade Partei ergreifen (denn er könnte ja hoffen, aus allen Parteien zu bleiben) aber doch seinen Standpunkt nehmen und mit ausdrücklichen, un¬ zweideutigen Worten erklären muß." So spricht sich Schelling an der bescheidenen Stelle eines Vorwortes zu den nachgelassenen Schriften von Steffens aus. Daß es unserem alten Philosophen keineswegs darum zu thun war, auf die Leidenschaft des Tages, auf das Publicum der Brochüren und der Zeitungsartikel zu wirken, das sieht man deutlich darin, daß er „seinen Standpunkt," seine „ausdrücklichen, unzweideuti¬ gen Worte" vor diesem Publicum geradewegs versteckt und dieselben an einem Orte niederlegt, wo man dieselben am allerwenigsten erwartet. Zu welcher Wichtigkeit nun die kirchliche Bewegung in Preußen fortge¬ schritten, das beweiset jedenfalls, daß selbst ein Schelling gezwungen wird zu reden. Schelling ist zu philosophisch, als daß er nicht den Kern des Kampfes, den Streit um die freie Fortbewegung des menschlichen Gei¬ stes erkennen und anerkennen sollte, aber er ist andererseits auch wieder zu sehr mit dem Bestehenden zusammengewachsen, als daß er die Berech¬ tigung desselben ganz und gar aufgeben möchte, zwischen diesen beiden Elementen hin- und her schwankt sein Standpunkt: „Wenn die deutsche protestantische Kirche die Umstände, in denen sie sich befindet und in de¬ nen jetzt so Viele sich ärgern, im Zusammenhang mit dem Ziele betrach¬ tet, so wird sie die gegenwärtige Schmach als die Schmach Christi selbst „höher achten, denn die Schätze Egvpti," als die glänzendste äußere Ver¬ fassung, welche sie an der Erreichung jenes Zieles, daß die Kirche vom Staate frei werde, welches Freiwerden nur ein Zeichen ihrer eigenen in¬ neren Vollendung sein wird, verhindert hätte." Was die protestantische 68»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/543
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/543>, abgerufen am 24.04.2024.