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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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sich befreien, nicht durch Auflehnung, sondern durch Erwachen der innern
Selbständigkeit, welcher von selbst die äußere folgt. Und auch nicht
frei lassen wird sie der Staat, sondern sie wird frei sein von dem
Augenblick, wo sie den Inhalt ihres Glaubens nicht mehr als einen be¬
sondern, sondern als den wahrhaften und durch sie selbst allgemeinen hat."
Alsdann "kann der Staat die Kirche nur sich gleich achten, d. h. sie als
freiere sich erkennen, wenn sie innerlich dieselbe allgemeine Macht gewor¬
den, die er äußerlich ist." Dem ruhigen Beobachter kann es nicht ent¬
gehen, daß Schelling nach beiden Seiten unseres kirchlichen Kampfes
Concessionen macht; aber stärker hangt er doch noch mit dem bestehen¬
den Zustande zusammen, als mit der freien philosophischen Bewegung.
Die Gegenwart der Kirche läßt er der staatlichen Bevormundung noth¬
wendig angehören und ihre Freiheit weiset er nur auf ein ganz fernes
zukünftiges Utopien hinaus. Mit den gegenwärtigen Kämpfen für die
Freiheit der gegenwärtigen Kirche steht er in directen Widerspruche. Am
"ausdrücklichsten" und "unzweideutigsten" sind seine Worte noch über
die Bekenntnißfrage. Aber auch hier hat er nicht den Muth, vorwärts
zu dringen, sondern nur die diplomatische Absicht, den Bruch des moder¬
nen Bewußtseins mit den todten Formen der Vergangenheit zu vermit¬
teln. So bedeutsam Schelling's Worte in der kirchlichen Angelegenheit
immerhin sein mögen, geht man ihnen auf den Grund, so sehen sie doch
mehr rückwärts als vorwärts und sie wollen nicht die wahre, die wirk¬
liche Freiheit, sondern sie wissen nur von einem Scheine der Freiheit
schöne Worte zu machen. --


UI
Aus Wien.
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Das Franzensdenkmal.

Die für den !6. Juni anberaumte feierliche Enthüllung des Fran¬
zensmonuments hat nun wirklich gestern stattgefunden, ohne daß der
Hofraum, in dem die Ceremonie vor sich ging, so gefüllt gewesen wäre,
als Viele befürchteten und Alle erwarteten. Das gesammte Bürgermilitär
und die Truppen der Garnison standen unter Waffen und wurden nach
Beendigung der Feier unter klingendem Spiel und mit fliegenden Fah¬
nen von dem commandirenden General Erzherzog Albrecht an dem Denk¬
mal vorübergeführt, ^ wobei der Bürqermiliz der Vorrang eingeräumt
ward. Der Fürst Staatskanzler hielt eine kurze Rede über die Bedeu¬
tung des verstorbenen Monarchen, "der nie um den vergänglichen Beifall
der Tagesmeinung gebuhlt", welche Sie im Beobachter nachlesen können,
und S. M. der Kaiser erwiderte mit wenigen Worten. Bei dem Ent-
Küllungsact entstand eine unliebsame Verzögerung, indem die Leinwand
sich an den Fingern der ausgestreckten Hand spießte und nicht völlig
abgezogen werden konnte, so daß ein Arbeiter auf einer Leiter hinanstei¬
gen und ti>, Verhüllung gewaltsam ablösen mußte. Vielleicht war dies
die Ursache, daß der Jubelruf in diesim Augenblicke ziemlich schwach


sich befreien, nicht durch Auflehnung, sondern durch Erwachen der innern
Selbständigkeit, welcher von selbst die äußere folgt. Und auch nicht
frei lassen wird sie der Staat, sondern sie wird frei sein von dem
Augenblick, wo sie den Inhalt ihres Glaubens nicht mehr als einen be¬
sondern, sondern als den wahrhaften und durch sie selbst allgemeinen hat."
Alsdann „kann der Staat die Kirche nur sich gleich achten, d. h. sie als
freiere sich erkennen, wenn sie innerlich dieselbe allgemeine Macht gewor¬
den, die er äußerlich ist." Dem ruhigen Beobachter kann es nicht ent¬
gehen, daß Schelling nach beiden Seiten unseres kirchlichen Kampfes
Concessionen macht; aber stärker hangt er doch noch mit dem bestehen¬
den Zustande zusammen, als mit der freien philosophischen Bewegung.
Die Gegenwart der Kirche läßt er der staatlichen Bevormundung noth¬
wendig angehören und ihre Freiheit weiset er nur auf ein ganz fernes
zukünftiges Utopien hinaus. Mit den gegenwärtigen Kämpfen für die
Freiheit der gegenwärtigen Kirche steht er in directen Widerspruche. Am
„ausdrücklichsten" und „unzweideutigsten" sind seine Worte noch über
die Bekenntnißfrage. Aber auch hier hat er nicht den Muth, vorwärts
zu dringen, sondern nur die diplomatische Absicht, den Bruch des moder¬
nen Bewußtseins mit den todten Formen der Vergangenheit zu vermit¬
teln. So bedeutsam Schelling's Worte in der kirchlichen Angelegenheit
immerhin sein mögen, geht man ihnen auf den Grund, so sehen sie doch
mehr rückwärts als vorwärts und sie wollen nicht die wahre, die wirk¬
liche Freiheit, sondern sie wissen nur von einem Scheine der Freiheit
schöne Worte zu machen. —


UI
Aus Wien.
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Das Franzensdenkmal.

Die für den !6. Juni anberaumte feierliche Enthüllung des Fran¬
zensmonuments hat nun wirklich gestern stattgefunden, ohne daß der
Hofraum, in dem die Ceremonie vor sich ging, so gefüllt gewesen wäre,
als Viele befürchteten und Alle erwarteten. Das gesammte Bürgermilitär
und die Truppen der Garnison standen unter Waffen und wurden nach
Beendigung der Feier unter klingendem Spiel und mit fliegenden Fah¬
nen von dem commandirenden General Erzherzog Albrecht an dem Denk¬
mal vorübergeführt, ^ wobei der Bürqermiliz der Vorrang eingeräumt
ward. Der Fürst Staatskanzler hielt eine kurze Rede über die Bedeu¬
tung des verstorbenen Monarchen, „der nie um den vergänglichen Beifall
der Tagesmeinung gebuhlt", welche Sie im Beobachter nachlesen können,
und S. M. der Kaiser erwiderte mit wenigen Worten. Bei dem Ent-
Küllungsact entstand eine unliebsame Verzögerung, indem die Leinwand
sich an den Fingern der ausgestreckten Hand spießte und nicht völlig
abgezogen werden konnte, so daß ein Arbeiter auf einer Leiter hinanstei¬
gen und ti>, Verhüllung gewaltsam ablösen mußte. Vielleicht war dies
die Ursache, daß der Jubelruf in diesim Augenblicke ziemlich schwach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/545>, abgerufen am 24.04.2024.