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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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III.
Aus Breslau.

Polnische Nachklänge. - Ueberflüssiger DenuntiationSeistr. - Ein Fest in
Fürstenstcin. -- Volksversammlung. -- Dampf und Preßfreiheit.

Noch immer ruft sich uns die unglückselige polnische Erhebung durch
keineswegs erfreuliche Einzelnheiten in's Gedächtniß zurück. Wenn man
zu all' diesem unsäglichen Jammer, den die preußischen Festungen beher¬
bergen, die Verzweiflung und das bleiche Elend legte, das in den krcckauer
Gefängnissen wohnt, und wenn man die zähneknirschende Wuth, welche
unter der russischen Knute ihren letzten Athemzug mit dem letzten Fluche
ausstöhnt, als Drittes hinzu sich denkt, so sollte man glauben, daß ein
Herz, das noch Halbweg des Mitleids fähig, Angesichts dieses dreieinigen
Jammers, zu leben und zu lieben aufhören müßte. Die Zeitungen be¬
richten so litt: Heute wurden wiederum SO Insurgenten ausgeliefert.
Wiederum vor die Schlachtbank geführt -- sollten sie sagen. Aber unser
Gefühl hat nicht Zeit und nicht Lust zu solcher anpreisenden Beschäfti¬
gung, es lauscht lieber dem Nachtigallengesang und kokettirt mit roth-
angehauchten Mädchengesichtern, oder gießt noch sogar einen Tropfen Ol
in den großen Scheiterhaufen, wie die lederne Seele jenes Magdeburger
Wirthes, welcher selber den flüchtigen Masaraki der Polizei übergibt.
Letzterer sitzt noch in Cosel und soll in diesen Tagen an Rußland ausge¬
liefert werden. Es steht factisch fest, und es kann auch nicht anders
sein, daß die höhern preußischen Beamten und Offiziere gegen dieses
Jagdmachen aus flüchtige Insurgenten sind. Ein hoher Staatsbeamter
in Berlin hat es gegen einen Breslauer gradezu ausgesprochen, daß man
an dem Viertel der Gefangenen genug habe. Der "Diensteifer" der
Unterbeamten sei ihnen gar nicht angenehm, sie wüßten jedoch nicht, wie
sie diesen das Unliebsame solcher Thätigkeit beizubringen im Stande wären.
Hierdurch kommt eine große Wahrheit wiederum einmal an den Tag.
Es darf eine Maßregel der obern Region gar nicht als Consequenz eines
Princips an's Licht treten, es kann sogar die Absicht vorwalten, jeder
Eonsequenzmacherei den Weg zu versperren, dort unten, wo die Staats--
Weisheit in dem bornirtcsten Bureaukraten Fleisch geworden, wird man
das Princip schon auffinden. Der Faden, den man von oben her erhält,
verzweigt sich in tausend und aber tausend Fädchen, die auf und nieder
fliegen und sich zu einem großen polizeilichen Fangsacke verweben. Die
Eabinetsordre, welche in Folge der Entweichung der Polen die Unter¬
suchung gegen den Commandanten in Reiße und überhaupt die Gefan¬
genen in strengere Haft zu nehmen befiehlt, wird hier zwar nur als eine
Demonstration für Rußland angesehen, aber auch als solche gibt sie zu
vielen Bemerkungen Anlaß. Doch ich will dies Thema nicht länger mehr
ausbeuten, ich will Ihnen, damit Sie zu diesem Schwarz auch das Weiß,
also eine ächt preußische Correspondenz haben, von einem Bürzerfest"
erzählen, das voraussichtlich viel von sich reden machen wird. Sieben¬
hundert Breslauer fuhren am 14. Juni nach dem reizend gelegenen Für--
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""zbot-n. II. 184". 74
III.
Aus Breslau.

Polnische Nachklänge. - Ueberflüssiger DenuntiationSeistr. - Ein Fest in
Fürstenstcin. — Volksversammlung. — Dampf und Preßfreiheit.

Noch immer ruft sich uns die unglückselige polnische Erhebung durch
keineswegs erfreuliche Einzelnheiten in's Gedächtniß zurück. Wenn man
zu all' diesem unsäglichen Jammer, den die preußischen Festungen beher¬
bergen, die Verzweiflung und das bleiche Elend legte, das in den krcckauer
Gefängnissen wohnt, und wenn man die zähneknirschende Wuth, welche
unter der russischen Knute ihren letzten Athemzug mit dem letzten Fluche
ausstöhnt, als Drittes hinzu sich denkt, so sollte man glauben, daß ein
Herz, das noch Halbweg des Mitleids fähig, Angesichts dieses dreieinigen
Jammers, zu leben und zu lieben aufhören müßte. Die Zeitungen be¬
richten so litt: Heute wurden wiederum SO Insurgenten ausgeliefert.
Wiederum vor die Schlachtbank geführt — sollten sie sagen. Aber unser
Gefühl hat nicht Zeit und nicht Lust zu solcher anpreisenden Beschäfti¬
gung, es lauscht lieber dem Nachtigallengesang und kokettirt mit roth-
angehauchten Mädchengesichtern, oder gießt noch sogar einen Tropfen Ol
in den großen Scheiterhaufen, wie die lederne Seele jenes Magdeburger
Wirthes, welcher selber den flüchtigen Masaraki der Polizei übergibt.
Letzterer sitzt noch in Cosel und soll in diesen Tagen an Rußland ausge¬
liefert werden. Es steht factisch fest, und es kann auch nicht anders
sein, daß die höhern preußischen Beamten und Offiziere gegen dieses
Jagdmachen aus flüchtige Insurgenten sind. Ein hoher Staatsbeamter
in Berlin hat es gegen einen Breslauer gradezu ausgesprochen, daß man
an dem Viertel der Gefangenen genug habe. Der „Diensteifer" der
Unterbeamten sei ihnen gar nicht angenehm, sie wüßten jedoch nicht, wie
sie diesen das Unliebsame solcher Thätigkeit beizubringen im Stande wären.
Hierdurch kommt eine große Wahrheit wiederum einmal an den Tag.
Es darf eine Maßregel der obern Region gar nicht als Consequenz eines
Princips an's Licht treten, es kann sogar die Absicht vorwalten, jeder
Eonsequenzmacherei den Weg zu versperren, dort unten, wo die Staats--
Weisheit in dem bornirtcsten Bureaukraten Fleisch geworden, wird man
das Princip schon auffinden. Der Faden, den man von oben her erhält,
verzweigt sich in tausend und aber tausend Fädchen, die auf und nieder
fliegen und sich zu einem großen polizeilichen Fangsacke verweben. Die
Eabinetsordre, welche in Folge der Entweichung der Polen die Unter¬
suchung gegen den Commandanten in Reiße und überhaupt die Gefan¬
genen in strengere Haft zu nehmen befiehlt, wird hier zwar nur als eine
Demonstration für Rußland angesehen, aber auch als solche gibt sie zu
vielen Bemerkungen Anlaß. Doch ich will dies Thema nicht länger mehr
ausbeuten, ich will Ihnen, damit Sie zu diesem Schwarz auch das Weiß,
also eine ächt preußische Correspondenz haben, von einem Bürzerfest«
erzählen, das voraussichtlich viel von sich reden machen wird. Sieben¬
hundert Breslauer fuhren am 14. Juni nach dem reizend gelegenen Für--
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[0585] III. Aus Breslau. Polnische Nachklänge. - Ueberflüssiger DenuntiationSeistr. - Ein Fest in Fürstenstcin. — Volksversammlung. — Dampf und Preßfreiheit. Noch immer ruft sich uns die unglückselige polnische Erhebung durch keineswegs erfreuliche Einzelnheiten in's Gedächtniß zurück. Wenn man zu all' diesem unsäglichen Jammer, den die preußischen Festungen beher¬ bergen, die Verzweiflung und das bleiche Elend legte, das in den krcckauer Gefängnissen wohnt, und wenn man die zähneknirschende Wuth, welche unter der russischen Knute ihren letzten Athemzug mit dem letzten Fluche ausstöhnt, als Drittes hinzu sich denkt, so sollte man glauben, daß ein Herz, das noch Halbweg des Mitleids fähig, Angesichts dieses dreieinigen Jammers, zu leben und zu lieben aufhören müßte. Die Zeitungen be¬ richten so litt: Heute wurden wiederum SO Insurgenten ausgeliefert. Wiederum vor die Schlachtbank geführt — sollten sie sagen. Aber unser Gefühl hat nicht Zeit und nicht Lust zu solcher anpreisenden Beschäfti¬ gung, es lauscht lieber dem Nachtigallengesang und kokettirt mit roth- angehauchten Mädchengesichtern, oder gießt noch sogar einen Tropfen Ol in den großen Scheiterhaufen, wie die lederne Seele jenes Magdeburger Wirthes, welcher selber den flüchtigen Masaraki der Polizei übergibt. Letzterer sitzt noch in Cosel und soll in diesen Tagen an Rußland ausge¬ liefert werden. Es steht factisch fest, und es kann auch nicht anders sein, daß die höhern preußischen Beamten und Offiziere gegen dieses Jagdmachen aus flüchtige Insurgenten sind. Ein hoher Staatsbeamter in Berlin hat es gegen einen Breslauer gradezu ausgesprochen, daß man an dem Viertel der Gefangenen genug habe. Der „Diensteifer" der Unterbeamten sei ihnen gar nicht angenehm, sie wüßten jedoch nicht, wie sie diesen das Unliebsame solcher Thätigkeit beizubringen im Stande wären. Hierdurch kommt eine große Wahrheit wiederum einmal an den Tag. Es darf eine Maßregel der obern Region gar nicht als Consequenz eines Princips an's Licht treten, es kann sogar die Absicht vorwalten, jeder Eonsequenzmacherei den Weg zu versperren, dort unten, wo die Staats-- Weisheit in dem bornirtcsten Bureaukraten Fleisch geworden, wird man das Princip schon auffinden. Der Faden, den man von oben her erhält, verzweigt sich in tausend und aber tausend Fädchen, die auf und nieder fliegen und sich zu einem großen polizeilichen Fangsacke verweben. Die Eabinetsordre, welche in Folge der Entweichung der Polen die Unter¬ suchung gegen den Commandanten in Reiße und überhaupt die Gefan¬ genen in strengere Haft zu nehmen befiehlt, wird hier zwar nur als eine Demonstration für Rußland angesehen, aber auch als solche gibt sie zu vielen Bemerkungen Anlaß. Doch ich will dies Thema nicht länger mehr ausbeuten, ich will Ihnen, damit Sie zu diesem Schwarz auch das Weiß, also eine ächt preußische Correspondenz haben, von einem Bürzerfest« erzählen, das voraussichtlich viel von sich reden machen wird. Sieben¬ hundert Breslauer fuhren am 14. Juni nach dem reizend gelegenen Für-- ^ «»zbot-n. II. 184«. 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/585>, abgerufen am 24.04.2024.