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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Gin toller Dichter.



Duschnik ist ein kleines, wcildumsäumtes Dorf im südlichen
Böhmen, das fernab liegt von allem Weltverkehr. Dort verlebte ich
träumend meine Knabenjahre; unbekannt mit dem Werth oder Un¬
wert!) der Figuren und der kleinen Ereignisse, die die stille Dorf¬
welt in Bewegung setzten, und die wohl werth wären, daß man
sie aufzeichnete. Dazu rechne ich auch folgende etwas phantastische
und mir nie cnträthselte Erscheinung, die sich meiner Phantasie leb¬
haft eingeprägt und die ich mit gewissenhaftester Wahrhaftigkeit
hier erzählen will.

In stillen Dörfern kommen überhaupt oft Erscheinungen vor
und gehen unbeachtet und bald vergessen vorüber, die in großen
Städten Aufsehen und Epoche machen würden. Da gibt es keine
Polizei, die ihnen nachspürt, keine Zeitungsschreiber, die über das
Phänomen in alle Welt berichten, keine Dichter, die es in ihren
Schöpfungen verewigen. Wer kann mir sagen, wem der goldbe¬
schlagene Wagen gehörte, der einst durch unser weltvergessenes
Dorf, von fünf kleinen rabenschwarzen Pferden gezogen, wie ein
flüchtiges Mährchen vorüberbrauste? Ein eisgrauer Mann, mit lan¬
gen Locken, im weißen Mantel mit goldenem Gürtel, saß darin; be¬
waffnete Männer und eine reitende Frau, alle in der sonderbarsten
Tracht, umgaben ihn; Gold und edle Steine waren über sie aus¬
gegossen. In fünf Minuten waren Alle, als ob sie der Boden ver¬
schlungen hätte, in die Schlucht vor dem Dorfe verschwunden
und die Bauern sagten: Es war der Berggeist des nahen Berg¬
werkes. Nach Jahren fiel uns ein, eS könne ein flüchtiger Polen¬
held gewesen sein; aber es war vor der Polenrevolution. Wer
kann mir sagen, wer die beiden Männer waren, die einst schwei¬
gend, ernst und blaß, auf herrlichen Pferden durch das Dorf in


"rtnzbottn, es"", II. 8
Gin toller Dichter.



Duschnik ist ein kleines, wcildumsäumtes Dorf im südlichen
Böhmen, das fernab liegt von allem Weltverkehr. Dort verlebte ich
träumend meine Knabenjahre; unbekannt mit dem Werth oder Un¬
wert!) der Figuren und der kleinen Ereignisse, die die stille Dorf¬
welt in Bewegung setzten, und die wohl werth wären, daß man
sie aufzeichnete. Dazu rechne ich auch folgende etwas phantastische
und mir nie cnträthselte Erscheinung, die sich meiner Phantasie leb¬
haft eingeprägt und die ich mit gewissenhaftester Wahrhaftigkeit
hier erzählen will.

In stillen Dörfern kommen überhaupt oft Erscheinungen vor
und gehen unbeachtet und bald vergessen vorüber, die in großen
Städten Aufsehen und Epoche machen würden. Da gibt es keine
Polizei, die ihnen nachspürt, keine Zeitungsschreiber, die über das
Phänomen in alle Welt berichten, keine Dichter, die es in ihren
Schöpfungen verewigen. Wer kann mir sagen, wem der goldbe¬
schlagene Wagen gehörte, der einst durch unser weltvergessenes
Dorf, von fünf kleinen rabenschwarzen Pferden gezogen, wie ein
flüchtiges Mährchen vorüberbrauste? Ein eisgrauer Mann, mit lan¬
gen Locken, im weißen Mantel mit goldenem Gürtel, saß darin; be¬
waffnete Männer und eine reitende Frau, alle in der sonderbarsten
Tracht, umgaben ihn; Gold und edle Steine waren über sie aus¬
gegossen. In fünf Minuten waren Alle, als ob sie der Boden ver¬
schlungen hätte, in die Schlucht vor dem Dorfe verschwunden
und die Bauern sagten: Es war der Berggeist des nahen Berg¬
werkes. Nach Jahren fiel uns ein, eS könne ein flüchtiger Polen¬
held gewesen sein; aber es war vor der Polenrevolution. Wer
kann mir sagen, wer die beiden Männer waren, die einst schwei¬
gend, ernst und blaß, auf herrlichen Pferden durch das Dorf in


«rtnzbottn, es««, II. 8
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[0069] Gin toller Dichter. Duschnik ist ein kleines, wcildumsäumtes Dorf im südlichen Böhmen, das fernab liegt von allem Weltverkehr. Dort verlebte ich träumend meine Knabenjahre; unbekannt mit dem Werth oder Un¬ wert!) der Figuren und der kleinen Ereignisse, die die stille Dorf¬ welt in Bewegung setzten, und die wohl werth wären, daß man sie aufzeichnete. Dazu rechne ich auch folgende etwas phantastische und mir nie cnträthselte Erscheinung, die sich meiner Phantasie leb¬ haft eingeprägt und die ich mit gewissenhaftester Wahrhaftigkeit hier erzählen will. In stillen Dörfern kommen überhaupt oft Erscheinungen vor und gehen unbeachtet und bald vergessen vorüber, die in großen Städten Aufsehen und Epoche machen würden. Da gibt es keine Polizei, die ihnen nachspürt, keine Zeitungsschreiber, die über das Phänomen in alle Welt berichten, keine Dichter, die es in ihren Schöpfungen verewigen. Wer kann mir sagen, wem der goldbe¬ schlagene Wagen gehörte, der einst durch unser weltvergessenes Dorf, von fünf kleinen rabenschwarzen Pferden gezogen, wie ein flüchtiges Mährchen vorüberbrauste? Ein eisgrauer Mann, mit lan¬ gen Locken, im weißen Mantel mit goldenem Gürtel, saß darin; be¬ waffnete Männer und eine reitende Frau, alle in der sonderbarsten Tracht, umgaben ihn; Gold und edle Steine waren über sie aus¬ gegossen. In fünf Minuten waren Alle, als ob sie der Boden ver¬ schlungen hätte, in die Schlucht vor dem Dorfe verschwunden und die Bauern sagten: Es war der Berggeist des nahen Berg¬ werkes. Nach Jahren fiel uns ein, eS könne ein flüchtiger Polen¬ held gewesen sein; aber es war vor der Polenrevolution. Wer kann mir sagen, wer die beiden Männer waren, die einst schwei¬ gend, ernst und blaß, auf herrlichen Pferden durch das Dorf in «rtnzbottn, es««, II. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/69>, abgerufen am 24.04.2024.