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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Tempel gegründet, so ward es den Nachkommen auch sogleich wieder
zu warm und zu wohl in den wind- und luftdichten Häusern. Die
Rohheit und Niedrigkeit, welche sich jetzt entwickelte, hatte nichts ge¬
mein mit der früheren, und die Gesellschaft zog sich abermals zurück
von der wilden Jagd der geheimen, verschlossenen Coulissenwelt. Das
frühere Schauspielerleben lag offen da wie die Welt, frei wie die
Lust, welche es durchzog. So lange man das Treiben der Schau¬
spieler durch alle Ritzen der Breterbuden beobachten konnte, trennte
nur der Wahn den Schauspieler von der Gesellschaft; jetzt aber, wo
alle Fugen kosmetisch verschlossen wurden, wuchs mit der verborge--
nen Liederlichkeit, mit der Abschließung, auch das Mißtrauen und die
Aufgebung von Seiten der Gesellschaft. Aus der Rohheit wurde
Verdorbenheit, aus dem physischen Schmuz moralischer Pesthauch.

Die Stellung des Schauspielers zur Gesellschaft hat gleichsam
drei Entwicklungsphasen durchgemacht, oder jetzt noch in jedem In¬
dividuum durchzumachen. In der ersten Phase röthete die freie,
rauhe Luft, welche durch die Brctcrbude strich, seine Wangen; in
der zweiten, wo man das "Haus" noch gerne traditionell eine "Bude"
nennen möchte, that es die Schminke, sowohl in materieller als in
moralischer Beziehung. In der dritten thut es allein das reine, poe¬
tische Feuer der kunstsittlichcn Begeisterung. Wenn der wahre talent¬
volle, ideenreiche Schauspieler seinen Beruf und seine Würde erkennt,
wenn er sein Verhältniß zur Gesellschaft begreifen und behaupten
will, so wird er immer eingedenk sein, daß das achte Kunstfeuer ein
rein sittliches ist.

Der Schauspieler der Gegenwart ist mit der Gesellschaft und
rein bürgerlich geselligen Verhältnissen noch nicht überall verschmolzen,
er wird mit dem Bürgerthum erst dann tiefer und enger verwachsen,
er wird sich socialer organistren, wenn er sich der alten unbändigen
Wanderlaune, der sprichwörtlichen Jntriguensucht entschlage und seine
Eitelkeit und seinen Egoismus zu Gunsten der Kunst und der Dich¬
tung Schranken setzt. Bis dahin aber ist der Weg für manchen
no sehr weit.


Ehr.
IV
Aus Wien.

Der Liguorianer Prior. -- Prostitution. -- Die Regierung und die Auf¬
rührer. -- Verlegenheiten.

Daß die Faden der polnischen Verschwörung auch in die Haupt¬
stadt des Kaiserreiches hineingesponnen worden, das erhellt nicht blos
aus der Entweichung der Artillcriezöglinge, welche, wie jetzt durch die
Aussagen verhafteter Kameraden zu Tage tritt, lange fortgesetzte Ver-


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Tempel gegründet, so ward es den Nachkommen auch sogleich wieder
zu warm und zu wohl in den wind- und luftdichten Häusern. Die
Rohheit und Niedrigkeit, welche sich jetzt entwickelte, hatte nichts ge¬
mein mit der früheren, und die Gesellschaft zog sich abermals zurück
von der wilden Jagd der geheimen, verschlossenen Coulissenwelt. Das
frühere Schauspielerleben lag offen da wie die Welt, frei wie die
Lust, welche es durchzog. So lange man das Treiben der Schau¬
spieler durch alle Ritzen der Breterbuden beobachten konnte, trennte
nur der Wahn den Schauspieler von der Gesellschaft; jetzt aber, wo
alle Fugen kosmetisch verschlossen wurden, wuchs mit der verborge--
nen Liederlichkeit, mit der Abschließung, auch das Mißtrauen und die
Aufgebung von Seiten der Gesellschaft. Aus der Rohheit wurde
Verdorbenheit, aus dem physischen Schmuz moralischer Pesthauch.

Die Stellung des Schauspielers zur Gesellschaft hat gleichsam
drei Entwicklungsphasen durchgemacht, oder jetzt noch in jedem In¬
dividuum durchzumachen. In der ersten Phase röthete die freie,
rauhe Luft, welche durch die Brctcrbude strich, seine Wangen; in
der zweiten, wo man das „Haus" noch gerne traditionell eine „Bude"
nennen möchte, that es die Schminke, sowohl in materieller als in
moralischer Beziehung. In der dritten thut es allein das reine, poe¬
tische Feuer der kunstsittlichcn Begeisterung. Wenn der wahre talent¬
volle, ideenreiche Schauspieler seinen Beruf und seine Würde erkennt,
wenn er sein Verhältniß zur Gesellschaft begreifen und behaupten
will, so wird er immer eingedenk sein, daß das achte Kunstfeuer ein
rein sittliches ist.

Der Schauspieler der Gegenwart ist mit der Gesellschaft und
rein bürgerlich geselligen Verhältnissen noch nicht überall verschmolzen,
er wird mit dem Bürgerthum erst dann tiefer und enger verwachsen,
er wird sich socialer organistren, wenn er sich der alten unbändigen
Wanderlaune, der sprichwörtlichen Jntriguensucht entschlage und seine
Eitelkeit und seinen Egoismus zu Gunsten der Kunst und der Dich¬
tung Schranken setzt. Bis dahin aber ist der Weg für manchen
no sehr weit.


Ehr.
IV
Aus Wien.

Der Liguorianer Prior. — Prostitution. — Die Regierung und die Auf¬
rührer. — Verlegenheiten.

Daß die Faden der polnischen Verschwörung auch in die Haupt¬
stadt des Kaiserreiches hineingesponnen worden, das erhellt nicht blos
aus der Entweichung der Artillcriezöglinge, welche, wie jetzt durch die
Aussagen verhafteter Kameraden zu Tage tritt, lange fortgesetzte Ver-


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[0087] Tempel gegründet, so ward es den Nachkommen auch sogleich wieder zu warm und zu wohl in den wind- und luftdichten Häusern. Die Rohheit und Niedrigkeit, welche sich jetzt entwickelte, hatte nichts ge¬ mein mit der früheren, und die Gesellschaft zog sich abermals zurück von der wilden Jagd der geheimen, verschlossenen Coulissenwelt. Das frühere Schauspielerleben lag offen da wie die Welt, frei wie die Lust, welche es durchzog. So lange man das Treiben der Schau¬ spieler durch alle Ritzen der Breterbuden beobachten konnte, trennte nur der Wahn den Schauspieler von der Gesellschaft; jetzt aber, wo alle Fugen kosmetisch verschlossen wurden, wuchs mit der verborge-- nen Liederlichkeit, mit der Abschließung, auch das Mißtrauen und die Aufgebung von Seiten der Gesellschaft. Aus der Rohheit wurde Verdorbenheit, aus dem physischen Schmuz moralischer Pesthauch. Die Stellung des Schauspielers zur Gesellschaft hat gleichsam drei Entwicklungsphasen durchgemacht, oder jetzt noch in jedem In¬ dividuum durchzumachen. In der ersten Phase röthete die freie, rauhe Luft, welche durch die Brctcrbude strich, seine Wangen; in der zweiten, wo man das „Haus" noch gerne traditionell eine „Bude" nennen möchte, that es die Schminke, sowohl in materieller als in moralischer Beziehung. In der dritten thut es allein das reine, poe¬ tische Feuer der kunstsittlichcn Begeisterung. Wenn der wahre talent¬ volle, ideenreiche Schauspieler seinen Beruf und seine Würde erkennt, wenn er sein Verhältniß zur Gesellschaft begreifen und behaupten will, so wird er immer eingedenk sein, daß das achte Kunstfeuer ein rein sittliches ist. Der Schauspieler der Gegenwart ist mit der Gesellschaft und rein bürgerlich geselligen Verhältnissen noch nicht überall verschmolzen, er wird mit dem Bürgerthum erst dann tiefer und enger verwachsen, er wird sich socialer organistren, wenn er sich der alten unbändigen Wanderlaune, der sprichwörtlichen Jntriguensucht entschlage und seine Eitelkeit und seinen Egoismus zu Gunsten der Kunst und der Dich¬ tung Schranken setzt. Bis dahin aber ist der Weg für manchen no sehr weit. Ehr. IV Aus Wien. Der Liguorianer Prior. — Prostitution. — Die Regierung und die Auf¬ rührer. — Verlegenheiten. Daß die Faden der polnischen Verschwörung auch in die Haupt¬ stadt des Kaiserreiches hineingesponnen worden, das erhellt nicht blos aus der Entweichung der Artillcriezöglinge, welche, wie jetzt durch die Aussagen verhafteter Kameraden zu Tage tritt, lange fortgesetzte Ver- 10 -i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/87>, abgerufen am 24.04.2024.