Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Mal genossen werden, die Volksschrift aber muß ihrem innersten
Wesen nach oft und oft gelesen werden können.

Im Volke wird eine ruhige logisch gehaltene Darlegung noch
nicht so leicht von einem feingespitzten Bonmot ausgestochen; man
will sich noch überzeugen lassen und findet das noch gar nicht
langweilig und uninteressant.

Die ganze abgezehrte Jnteressantheit hat Gottlob im Volke
noch keinen Raum. Das Laster ist noch ganz , tiefgewaltig, noch
nicht raffinirt, parfumirt und anziehend. Gestank bleibt Gestank.
Und vor Allem: im Volke ist noch nicht wie in der Welt der Jn¬
teressantheit das Bewußtsein der Pflicht abhanden gekommen; das
Leben ist noch nicht blos Genuß, sondern auch eine Pflicht, das
Nachdenken ist eine Pflicht, die zur That führen soll.

Tugend und Rechtschaffenheit sind hier noch keine langweiligen
altväterischen Worte und Sachen, und sollen es, will's Gott, nie
werden.

Die Geilheit der bloßen Genußsucht, auch in geistigen Dingen,
die keinerlei Anstrengung, keinerlei emsiges Thun mehr will, die
dilettantische Topfguckerei kann und soll nicht in's Volk dringen.

Auch ist das nicht so leicht zu fürchten, da man hier noch
weiß, daß, wer ernten will, auch pflügen und säen muß. In und
aus der Arbeit muß der Genuß kommen.

Es versteht sich dabei von selbst, daß auch der Volksschrift
-die rechte Würze nicht abgehen darf; nur ist Gewürz keine Speise.
Die Volksschnft muß mehr wollen als anregen und reizen, ihre
Aufnahme muß ein Thun sein und zum Thun hinführen.


2.
Einzelnes über die volkstümliche Sprache, ihre Hindernisse
und ihre Förderung.

Durch die Vermischung von Volks- und 'Kinderschriften ist
man auch vielfach zu dem falschen Verfahren gelangt, sich im Aus¬
drucke herabzustimmen und ganz die Redeweise seiner gedachten Le¬
ser zu wählen. Wie aber schon diejenige Kjnderschrift die Kleinen
anwidert, die sich auf läppische Weise in ihre "tznbehülfliche Sprache
hinein zwängt, so noch weit mehr und mit größerem Rechte das


Mal genossen werden, die Volksschrift aber muß ihrem innersten
Wesen nach oft und oft gelesen werden können.

Im Volke wird eine ruhige logisch gehaltene Darlegung noch
nicht so leicht von einem feingespitzten Bonmot ausgestochen; man
will sich noch überzeugen lassen und findet das noch gar nicht
langweilig und uninteressant.

Die ganze abgezehrte Jnteressantheit hat Gottlob im Volke
noch keinen Raum. Das Laster ist noch ganz , tiefgewaltig, noch
nicht raffinirt, parfumirt und anziehend. Gestank bleibt Gestank.
Und vor Allem: im Volke ist noch nicht wie in der Welt der Jn¬
teressantheit das Bewußtsein der Pflicht abhanden gekommen; das
Leben ist noch nicht blos Genuß, sondern auch eine Pflicht, das
Nachdenken ist eine Pflicht, die zur That führen soll.

Tugend und Rechtschaffenheit sind hier noch keine langweiligen
altväterischen Worte und Sachen, und sollen es, will's Gott, nie
werden.

Die Geilheit der bloßen Genußsucht, auch in geistigen Dingen,
die keinerlei Anstrengung, keinerlei emsiges Thun mehr will, die
dilettantische Topfguckerei kann und soll nicht in's Volk dringen.

Auch ist das nicht so leicht zu fürchten, da man hier noch
weiß, daß, wer ernten will, auch pflügen und säen muß. In und
aus der Arbeit muß der Genuß kommen.

Es versteht sich dabei von selbst, daß auch der Volksschrift
-die rechte Würze nicht abgehen darf; nur ist Gewürz keine Speise.
Die Volksschnft muß mehr wollen als anregen und reizen, ihre
Aufnahme muß ein Thun sein und zum Thun hinführen.


2.
Einzelnes über die volkstümliche Sprache, ihre Hindernisse
und ihre Förderung.

Durch die Vermischung von Volks- und 'Kinderschriften ist
man auch vielfach zu dem falschen Verfahren gelangt, sich im Aus¬
drucke herabzustimmen und ganz die Redeweise seiner gedachten Le¬
ser zu wählen. Wie aber schon diejenige Kjnderschrift die Kleinen
anwidert, die sich auf läppische Weise in ihre «tznbehülfliche Sprache
hinein zwängt, so noch weit mehr und mit größerem Rechte das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182519"/>
            <p xml:id="ID_244" prev="#ID_243"> Mal genossen werden, die Volksschrift aber muß ihrem innersten<lb/>
Wesen nach oft und oft gelesen werden können.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_245"> Im Volke wird eine ruhige logisch gehaltene Darlegung noch<lb/>
nicht so leicht von einem feingespitzten Bonmot ausgestochen; man<lb/>
will sich noch überzeugen lassen und findet das noch gar nicht<lb/>
langweilig und uninteressant.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_246"> Die ganze abgezehrte Jnteressantheit hat Gottlob im Volke<lb/>
noch keinen Raum. Das Laster ist noch ganz , tiefgewaltig, noch<lb/>
nicht raffinirt, parfumirt und anziehend. Gestank bleibt Gestank.<lb/>
Und vor Allem: im Volke ist noch nicht wie in der Welt der Jn¬<lb/>
teressantheit das Bewußtsein der Pflicht abhanden gekommen; das<lb/>
Leben ist noch nicht blos Genuß, sondern auch eine Pflicht, das<lb/>
Nachdenken ist eine Pflicht, die zur That führen soll.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_247"> Tugend und Rechtschaffenheit sind hier noch keine langweiligen<lb/>
altväterischen Worte und Sachen, und sollen es, will's Gott, nie<lb/>
werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_248"> Die Geilheit der bloßen Genußsucht, auch in geistigen Dingen,<lb/>
die keinerlei Anstrengung, keinerlei emsiges Thun mehr will, die<lb/>
dilettantische Topfguckerei kann und soll nicht in's Volk dringen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_249"> Auch ist das nicht so leicht zu fürchten, da man hier noch<lb/>
weiß, daß, wer ernten will, auch pflügen und säen muß. In und<lb/>
aus der Arbeit muß der Genuß kommen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_250"> Es versteht sich dabei von selbst, daß auch der Volksschrift<lb/>
-die rechte Würze nicht abgehen darf; nur ist Gewürz keine Speise.<lb/>
Die Volksschnft muß mehr wollen als anregen und reizen, ihre<lb/>
Aufnahme muß ein Thun sein und zum Thun hinführen.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 2.<lb/>
Einzelnes über die volkstümliche Sprache, ihre Hindernisse<lb/>
und ihre Förderung.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_251" next="#ID_252"> Durch die Vermischung von Volks- und 'Kinderschriften ist<lb/>
man auch vielfach zu dem falschen Verfahren gelangt, sich im Aus¬<lb/>
drucke herabzustimmen und ganz die Redeweise seiner gedachten Le¬<lb/>
ser zu wählen. Wie aber schon diejenige Kjnderschrift die Kleinen<lb/>
anwidert, die sich auf läppische Weise in ihre «tznbehülfliche Sprache<lb/>
hinein zwängt, so noch weit mehr und mit größerem Rechte das</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0096] Mal genossen werden, die Volksschrift aber muß ihrem innersten Wesen nach oft und oft gelesen werden können. Im Volke wird eine ruhige logisch gehaltene Darlegung noch nicht so leicht von einem feingespitzten Bonmot ausgestochen; man will sich noch überzeugen lassen und findet das noch gar nicht langweilig und uninteressant. Die ganze abgezehrte Jnteressantheit hat Gottlob im Volke noch keinen Raum. Das Laster ist noch ganz , tiefgewaltig, noch nicht raffinirt, parfumirt und anziehend. Gestank bleibt Gestank. Und vor Allem: im Volke ist noch nicht wie in der Welt der Jn¬ teressantheit das Bewußtsein der Pflicht abhanden gekommen; das Leben ist noch nicht blos Genuß, sondern auch eine Pflicht, das Nachdenken ist eine Pflicht, die zur That führen soll. Tugend und Rechtschaffenheit sind hier noch keine langweiligen altväterischen Worte und Sachen, und sollen es, will's Gott, nie werden. Die Geilheit der bloßen Genußsucht, auch in geistigen Dingen, die keinerlei Anstrengung, keinerlei emsiges Thun mehr will, die dilettantische Topfguckerei kann und soll nicht in's Volk dringen. Auch ist das nicht so leicht zu fürchten, da man hier noch weiß, daß, wer ernten will, auch pflügen und säen muß. In und aus der Arbeit muß der Genuß kommen. Es versteht sich dabei von selbst, daß auch der Volksschrift -die rechte Würze nicht abgehen darf; nur ist Gewürz keine Speise. Die Volksschnft muß mehr wollen als anregen und reizen, ihre Aufnahme muß ein Thun sein und zum Thun hinführen. 2. Einzelnes über die volkstümliche Sprache, ihre Hindernisse und ihre Förderung. Durch die Vermischung von Volks- und 'Kinderschriften ist man auch vielfach zu dem falschen Verfahren gelangt, sich im Aus¬ drucke herabzustimmen und ganz die Redeweise seiner gedachten Le¬ ser zu wählen. Wie aber schon diejenige Kjnderschrift die Kleinen anwidert, die sich auf läppische Weise in ihre «tznbehülfliche Sprache hinein zwängt, so noch weit mehr und mit größerem Rechte das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/96
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/96>, abgerufen am 26.04.2024.