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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Das prächtige Dampfschiff "der Ercolano" lag im Hafen von
Neapel zur Abfahrt bereit. Die Glocke war schon zum zweiten Male
gezogen worden, und immer mehr füllte sich pas breite Verdeck, wel¬
ches die Masse kaum noch zu fassen vermochte; bei der großen Hitze
eine wenig erfreuliche Aussicht. -- Bald beruhigte uns indeß
ein Blick auf den ansehnlichen Kreis der uns das Abschiedsgeleit ge¬
benden Landsleute, welcher uns hoffen ließ, daß noch viele in ähn¬
licher Absicht zugegen sein möchten. -- Der bewegliche Italiener ist
bei solchen Gelegenheiten besonders auf den Beinen. Sich im Wirths¬
haus, beim Glase Wein zu treffen, um Abschied zu nehme", ist ihm un¬
bekannt. Wo können wir uns morgen sprechen? -- Im Theater heißt
es, auf der Promenade, höchstens im Cafe, und auf ähnliche Weise
wird das Dampfschiff ein Ort des allgemeinen i-emlox-on"i8. Sie
sprudeln überall, zu jeder Zeit, auch ohne Wein - und Speise-Karte. --
Wir sahen voll Wehmuth hinüber nach der im Osten dämmernden
Küste von Sorrent. Warum denn verließen wir die Villa mit der
Veranda von Weinlaub und blühenden Oleander? Warum den Oran¬
genhain , durch dessen Stämme der selig ruhige, blaue Meeresspiegel
erglänzte? -- Ach man kann noch so sehr Kosmopolit sein, man fährt
nicht aus der Haut, in der man geboren ist. Die geschichtliche Auf¬
gabe eines Volkes ist jedes Einzelnen Bedürfniß, mag der Theil, den
er daran nimmt, noch so unmerkbar, ja unbewußt sein. Erst wenn
die Entwicklung der Menschheit so weit vorangeschritten sein wird, daß
sie der Abtrennung ihrer Phasen in einzelne Völkerschaften nicht mehr
bedarf, kann man überall derselbe Mensch sein. --

In dem Gedränge ließen sich bald außer der unsrigen noch zwei
Hauptgruppen unterscheiden. --- Die eine bestand aus sehr elegan¬
ten, zum Theil sehr schönen Damen, und ebenso eleganten Herren. --


(55«» Maestro.



Das prächtige Dampfschiff „der Ercolano" lag im Hafen von
Neapel zur Abfahrt bereit. Die Glocke war schon zum zweiten Male
gezogen worden, und immer mehr füllte sich pas breite Verdeck, wel¬
ches die Masse kaum noch zu fassen vermochte; bei der großen Hitze
eine wenig erfreuliche Aussicht. — Bald beruhigte uns indeß
ein Blick auf den ansehnlichen Kreis der uns das Abschiedsgeleit ge¬
benden Landsleute, welcher uns hoffen ließ, daß noch viele in ähn¬
licher Absicht zugegen sein möchten. — Der bewegliche Italiener ist
bei solchen Gelegenheiten besonders auf den Beinen. Sich im Wirths¬
haus, beim Glase Wein zu treffen, um Abschied zu nehme», ist ihm un¬
bekannt. Wo können wir uns morgen sprechen? — Im Theater heißt
es, auf der Promenade, höchstens im Cafe, und auf ähnliche Weise
wird das Dampfschiff ein Ort des allgemeinen i-emlox-on»i8. Sie
sprudeln überall, zu jeder Zeit, auch ohne Wein - und Speise-Karte. —
Wir sahen voll Wehmuth hinüber nach der im Osten dämmernden
Küste von Sorrent. Warum denn verließen wir die Villa mit der
Veranda von Weinlaub und blühenden Oleander? Warum den Oran¬
genhain , durch dessen Stämme der selig ruhige, blaue Meeresspiegel
erglänzte? — Ach man kann noch so sehr Kosmopolit sein, man fährt
nicht aus der Haut, in der man geboren ist. Die geschichtliche Auf¬
gabe eines Volkes ist jedes Einzelnen Bedürfniß, mag der Theil, den
er daran nimmt, noch so unmerkbar, ja unbewußt sein. Erst wenn
die Entwicklung der Menschheit so weit vorangeschritten sein wird, daß
sie der Abtrennung ihrer Phasen in einzelne Völkerschaften nicht mehr
bedarf, kann man überall derselbe Mensch sein. —

In dem Gedränge ließen sich bald außer der unsrigen noch zwei
Hauptgruppen unterscheiden. -— Die eine bestand aus sehr elegan¬
ten, zum Theil sehr schönen Damen, und ebenso eleganten Herren. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/20>, abgerufen am 03.05.2024.