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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Zur Goethe-Literatur.



Es kann immerhin alö ein Beweis von unsers größten Dichters
fortdauernder und zunehmender Bedeutung für sein Volk angesehen
werden, daß dieses mit gerechtem Danke aufnimmt, was aus den ver¬
schiedenen Lebensaltern Goethe's die Gunst des Zufalles von seiner
Hand aufbewahrt hat und was man mit dankenswerther Aufmerksam¬
keit der erkenntlichen Nachwelt als glücklichen Fund darbietet. Scheint
doch für Goethe die Zeit der ächten Verehrung endlich auch gekom¬
men zu sein, welche weder die eigne Abgeschmacktheit auf ihn überträgt
und ihn dann gebraucht, um Götzendienst mit sich selbst zu treiben,
noch die Maßstäbe einer neuen Epoche an ihn legt und ihn nun haßt,
weil diese Maßstäbe nicht zu ihm passe" und er etwas Festes und
Eignes und nur aus sich und aus der Zeit, worin er geworden, zu
verstehen ist.

Ist auch nicht Alles, was uns an aufgefundenen Briefen und
dergleichen in den letzten Jahren geboten wurde, so werthvoll als die
"Briefe und Aufsätze", welche Hr. Schöll kürzlich veröffentlichte, so
trägt doch fast Alles dazu bei, den großen Mann dem großen Publi-
cum menschlich näher zu bringen, denn dieses will sich einmal schwarz
auf weiß überzeugen, ob der Seher, welcher alle Zustände der mensch¬
lichen Seele so wahr und ergreifend zu schildern wußte, auch selbst
menschlich empfunden habe. Für dieses Publicum, nicht für Diejeni¬
gen, welche ohnedies wissen, daß ein Goethe nicht möglich gewesen
wäre, wenn er nicht auch das Herz auf dem rechten Fleck ge¬
habt hätte, sind daher die von Schöll mitgetheilten Briefe an Kraft
von unschätzbarem Werthe, und sie und Aehnliches wird ebenso ge¬
wiß einmal zu Goethe'S Werken hinzugefügt, als Anderes von ihnen
hinweggenommen werden. In der alten Zeit versetzte man Diejenigen,
welche das gewöhnliche Maß menschlicher Begabung hoch überragten.


Zur Goethe-Literatur.



Es kann immerhin alö ein Beweis von unsers größten Dichters
fortdauernder und zunehmender Bedeutung für sein Volk angesehen
werden, daß dieses mit gerechtem Danke aufnimmt, was aus den ver¬
schiedenen Lebensaltern Goethe's die Gunst des Zufalles von seiner
Hand aufbewahrt hat und was man mit dankenswerther Aufmerksam¬
keit der erkenntlichen Nachwelt als glücklichen Fund darbietet. Scheint
doch für Goethe die Zeit der ächten Verehrung endlich auch gekom¬
men zu sein, welche weder die eigne Abgeschmacktheit auf ihn überträgt
und ihn dann gebraucht, um Götzendienst mit sich selbst zu treiben,
noch die Maßstäbe einer neuen Epoche an ihn legt und ihn nun haßt,
weil diese Maßstäbe nicht zu ihm passe» und er etwas Festes und
Eignes und nur aus sich und aus der Zeit, worin er geworden, zu
verstehen ist.

Ist auch nicht Alles, was uns an aufgefundenen Briefen und
dergleichen in den letzten Jahren geboten wurde, so werthvoll als die
„Briefe und Aufsätze", welche Hr. Schöll kürzlich veröffentlichte, so
trägt doch fast Alles dazu bei, den großen Mann dem großen Publi-
cum menschlich näher zu bringen, denn dieses will sich einmal schwarz
auf weiß überzeugen, ob der Seher, welcher alle Zustände der mensch¬
lichen Seele so wahr und ergreifend zu schildern wußte, auch selbst
menschlich empfunden habe. Für dieses Publicum, nicht für Diejeni¬
gen, welche ohnedies wissen, daß ein Goethe nicht möglich gewesen
wäre, wenn er nicht auch das Herz auf dem rechten Fleck ge¬
habt hätte, sind daher die von Schöll mitgetheilten Briefe an Kraft
von unschätzbarem Werthe, und sie und Aehnliches wird ebenso ge¬
wiß einmal zu Goethe'S Werken hinzugefügt, als Anderes von ihnen
hinweggenommen werden. In der alten Zeit versetzte man Diejenigen,
welche das gewöhnliche Maß menschlicher Begabung hoch überragten.


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[0035] Zur Goethe-Literatur. Es kann immerhin alö ein Beweis von unsers größten Dichters fortdauernder und zunehmender Bedeutung für sein Volk angesehen werden, daß dieses mit gerechtem Danke aufnimmt, was aus den ver¬ schiedenen Lebensaltern Goethe's die Gunst des Zufalles von seiner Hand aufbewahrt hat und was man mit dankenswerther Aufmerksam¬ keit der erkenntlichen Nachwelt als glücklichen Fund darbietet. Scheint doch für Goethe die Zeit der ächten Verehrung endlich auch gekom¬ men zu sein, welche weder die eigne Abgeschmacktheit auf ihn überträgt und ihn dann gebraucht, um Götzendienst mit sich selbst zu treiben, noch die Maßstäbe einer neuen Epoche an ihn legt und ihn nun haßt, weil diese Maßstäbe nicht zu ihm passe» und er etwas Festes und Eignes und nur aus sich und aus der Zeit, worin er geworden, zu verstehen ist. Ist auch nicht Alles, was uns an aufgefundenen Briefen und dergleichen in den letzten Jahren geboten wurde, so werthvoll als die „Briefe und Aufsätze", welche Hr. Schöll kürzlich veröffentlichte, so trägt doch fast Alles dazu bei, den großen Mann dem großen Publi- cum menschlich näher zu bringen, denn dieses will sich einmal schwarz auf weiß überzeugen, ob der Seher, welcher alle Zustände der mensch¬ lichen Seele so wahr und ergreifend zu schildern wußte, auch selbst menschlich empfunden habe. Für dieses Publicum, nicht für Diejeni¬ gen, welche ohnedies wissen, daß ein Goethe nicht möglich gewesen wäre, wenn er nicht auch das Herz auf dem rechten Fleck ge¬ habt hätte, sind daher die von Schöll mitgetheilten Briefe an Kraft von unschätzbarem Werthe, und sie und Aehnliches wird ebenso ge¬ wiß einmal zu Goethe'S Werken hinzugefügt, als Anderes von ihnen hinweggenommen werden. In der alten Zeit versetzte man Diejenigen, welche das gewöhnliche Maß menschlicher Begabung hoch überragten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/35>, abgerufen am 03.05.2024.