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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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II.
Lupe et.

Dem Range nach die vornehmste, denn sie war früher das Haupt der alten
Hanse, welche den engern Ausschuß derselben leitete, sonst aber die unbedeutendste
ist Lübeck. Wie weichen in dieser alten Stadt Vergangenheit und Gegenwart,
Geschichte und Jetztzeit so unendlich weit von einander ab. Wo sind die Zeiten,
da ihre. Bürgermeister kühn der Krone Dänemark den Krieg erklären und glücklich
beenden konnten, seine Orlvgöschiffe die dänischen Flotten im offenen Seetreffen
besiegten, oder im Auftrage der Hause die englischen Küsten brandschatzten, um
den Uebermuth dieses Landes, womit es sich gegen den stolzen Hanse-Bund auf¬
lehnte, zu züchtigen? Damals war ihr Name genannt und geehrt weit über
Deutschlands Gauen hinaus, ihr Hafen vermochte die Fahrzeuge aller Nationen
kaum zu fassen, ihre weiten Gassen waren angefüllt mit Leben und Treiben aller
Art, zu ihrem Rathhause eilten die Gesandten der Städte und Völker der fern¬
sten Gegenden, dem mächtigen Senat daselbst Handelsbündnisse anzutragen oder
ihn um Schutz zu bitten. Und jetzt? Kaum gestattet Dänemark dem ohnmächtigen
Orte die nothwendigen Handelsverbindungen mit Hamburg, kaum ist sein Name
noch in weiteren Kreisen gekannt, obgleich die "Germanisten" aus beifallswürdigcr
Pietät diesmal ihre jährliche Versammlung daselbst abhielten. Auf den weiten
Gassen wächst ungestört das grüne Gras, im Hafen liegen oft nur einige schmutzige
"Finnen" mit ihre" werthlosen Holzladuugen, das Rathhaus wird höchstens aus
Neugierde uoch von einigen seltenen Fremden besucht. Es macht eiuen wehmüthi-
gen Eindruck, wenn man so in diese leblosen Gassen zwischen den hohen, spitzen
Giebelhäusern, unten mit den blanken Fensterscheiben, oben mit den geräumigen,
jetzt oft gewiß weit über die Hälfte leerstehenden Speichern hineinfährt. Man
wird so recht an die Vergänglichkeit aller irdischen Größe erinnert, so leicht da¬
durch zu trübe" Gedanken angeregt. Und doch liebe ich diese Stadt und ziehe sie
trotz ihrer Oede und Abgeschiedenheit mancher andern weit vor. Es liegt etwas
Festes, Ehrenhaftes in derselben, mau fühlt, daß, was sie von ihrer Höhe gebracht,
nnr die Ungunst der Zeiten, das Verhängnis; des Schicksals, nicht eigene Trägheit,
Sorglosigkeit oder gar Ueppigkeit war. Welch' liebes, kerniges Geschlecht wohnt
nicht noch daselbst, wie sind die Frauen so sittsam und lieblich, oft wohl bei erster
Begegnung etwas blöde nud schüchtern und nicht an große Kreise gewöhnt, dabei
aber voll tiefer gediegener Bildung, wohlbewandert in allen Künsten nud Wissen¬
schaften, die des Weibes Zierde sein sollen. Wie sind die Männer so strebsam, fleißig
und ehrenhaft, und fern von jener anmaßenden Grvßstädtcrei oder prahlenden
Geldstolz, wie man ihn in Hamburg und Bremen so oft findet. So habe ich
mir unser altes, festes Bürgerthum gedacht, wie ich es jetzt noch in Lübeck finde,
und wie ich es außer in Nürnberg nirgends der Art wieder in ganz Deutschland


II.
Lupe et.

Dem Range nach die vornehmste, denn sie war früher das Haupt der alten
Hanse, welche den engern Ausschuß derselben leitete, sonst aber die unbedeutendste
ist Lübeck. Wie weichen in dieser alten Stadt Vergangenheit und Gegenwart,
Geschichte und Jetztzeit so unendlich weit von einander ab. Wo sind die Zeiten,
da ihre. Bürgermeister kühn der Krone Dänemark den Krieg erklären und glücklich
beenden konnten, seine Orlvgöschiffe die dänischen Flotten im offenen Seetreffen
besiegten, oder im Auftrage der Hause die englischen Küsten brandschatzten, um
den Uebermuth dieses Landes, womit es sich gegen den stolzen Hanse-Bund auf¬
lehnte, zu züchtigen? Damals war ihr Name genannt und geehrt weit über
Deutschlands Gauen hinaus, ihr Hafen vermochte die Fahrzeuge aller Nationen
kaum zu fassen, ihre weiten Gassen waren angefüllt mit Leben und Treiben aller
Art, zu ihrem Rathhause eilten die Gesandten der Städte und Völker der fern¬
sten Gegenden, dem mächtigen Senat daselbst Handelsbündnisse anzutragen oder
ihn um Schutz zu bitten. Und jetzt? Kaum gestattet Dänemark dem ohnmächtigen
Orte die nothwendigen Handelsverbindungen mit Hamburg, kaum ist sein Name
noch in weiteren Kreisen gekannt, obgleich die „Germanisten" aus beifallswürdigcr
Pietät diesmal ihre jährliche Versammlung daselbst abhielten. Auf den weiten
Gassen wächst ungestört das grüne Gras, im Hafen liegen oft nur einige schmutzige
„Finnen" mit ihre» werthlosen Holzladuugen, das Rathhaus wird höchstens aus
Neugierde uoch von einigen seltenen Fremden besucht. Es macht eiuen wehmüthi-
gen Eindruck, wenn man so in diese leblosen Gassen zwischen den hohen, spitzen
Giebelhäusern, unten mit den blanken Fensterscheiben, oben mit den geräumigen,
jetzt oft gewiß weit über die Hälfte leerstehenden Speichern hineinfährt. Man
wird so recht an die Vergänglichkeit aller irdischen Größe erinnert, so leicht da¬
durch zu trübe» Gedanken angeregt. Und doch liebe ich diese Stadt und ziehe sie
trotz ihrer Oede und Abgeschiedenheit mancher andern weit vor. Es liegt etwas
Festes, Ehrenhaftes in derselben, mau fühlt, daß, was sie von ihrer Höhe gebracht,
nnr die Ungunst der Zeiten, das Verhängnis; des Schicksals, nicht eigene Trägheit,
Sorglosigkeit oder gar Ueppigkeit war. Welch' liebes, kerniges Geschlecht wohnt
nicht noch daselbst, wie sind die Frauen so sittsam und lieblich, oft wohl bei erster
Begegnung etwas blöde nud schüchtern und nicht an große Kreise gewöhnt, dabei
aber voll tiefer gediegener Bildung, wohlbewandert in allen Künsten nud Wissen¬
schaften, die des Weibes Zierde sein sollen. Wie sind die Männer so strebsam, fleißig
und ehrenhaft, und fern von jener anmaßenden Grvßstädtcrei oder prahlenden
Geldstolz, wie man ihn in Hamburg und Bremen so oft findet. So habe ich
mir unser altes, festes Bürgerthum gedacht, wie ich es jetzt noch in Lübeck finde,
und wie ich es außer in Nürnberg nirgends der Art wieder in ganz Deutschland


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[0373] II. Lupe et. Dem Range nach die vornehmste, denn sie war früher das Haupt der alten Hanse, welche den engern Ausschuß derselben leitete, sonst aber die unbedeutendste ist Lübeck. Wie weichen in dieser alten Stadt Vergangenheit und Gegenwart, Geschichte und Jetztzeit so unendlich weit von einander ab. Wo sind die Zeiten, da ihre. Bürgermeister kühn der Krone Dänemark den Krieg erklären und glücklich beenden konnten, seine Orlvgöschiffe die dänischen Flotten im offenen Seetreffen besiegten, oder im Auftrage der Hause die englischen Küsten brandschatzten, um den Uebermuth dieses Landes, womit es sich gegen den stolzen Hanse-Bund auf¬ lehnte, zu züchtigen? Damals war ihr Name genannt und geehrt weit über Deutschlands Gauen hinaus, ihr Hafen vermochte die Fahrzeuge aller Nationen kaum zu fassen, ihre weiten Gassen waren angefüllt mit Leben und Treiben aller Art, zu ihrem Rathhause eilten die Gesandten der Städte und Völker der fern¬ sten Gegenden, dem mächtigen Senat daselbst Handelsbündnisse anzutragen oder ihn um Schutz zu bitten. Und jetzt? Kaum gestattet Dänemark dem ohnmächtigen Orte die nothwendigen Handelsverbindungen mit Hamburg, kaum ist sein Name noch in weiteren Kreisen gekannt, obgleich die „Germanisten" aus beifallswürdigcr Pietät diesmal ihre jährliche Versammlung daselbst abhielten. Auf den weiten Gassen wächst ungestört das grüne Gras, im Hafen liegen oft nur einige schmutzige „Finnen" mit ihre» werthlosen Holzladuugen, das Rathhaus wird höchstens aus Neugierde uoch von einigen seltenen Fremden besucht. Es macht eiuen wehmüthi- gen Eindruck, wenn man so in diese leblosen Gassen zwischen den hohen, spitzen Giebelhäusern, unten mit den blanken Fensterscheiben, oben mit den geräumigen, jetzt oft gewiß weit über die Hälfte leerstehenden Speichern hineinfährt. Man wird so recht an die Vergänglichkeit aller irdischen Größe erinnert, so leicht da¬ durch zu trübe» Gedanken angeregt. Und doch liebe ich diese Stadt und ziehe sie trotz ihrer Oede und Abgeschiedenheit mancher andern weit vor. Es liegt etwas Festes, Ehrenhaftes in derselben, mau fühlt, daß, was sie von ihrer Höhe gebracht, nnr die Ungunst der Zeiten, das Verhängnis; des Schicksals, nicht eigene Trägheit, Sorglosigkeit oder gar Ueppigkeit war. Welch' liebes, kerniges Geschlecht wohnt nicht noch daselbst, wie sind die Frauen so sittsam und lieblich, oft wohl bei erster Begegnung etwas blöde nud schüchtern und nicht an große Kreise gewöhnt, dabei aber voll tiefer gediegener Bildung, wohlbewandert in allen Künsten nud Wissen¬ schaften, die des Weibes Zierde sein sollen. Wie sind die Männer so strebsam, fleißig und ehrenhaft, und fern von jener anmaßenden Grvßstädtcrei oder prahlenden Geldstolz, wie man ihn in Hamburg und Bremen so oft findet. So habe ich mir unser altes, festes Bürgerthum gedacht, wie ich es jetzt noch in Lübeck finde, und wie ich es außer in Nürnberg nirgends der Art wieder in ganz Deutschland

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/373>, abgerufen am 05.05.2024.