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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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sind, abzuweisen. Dafür kämpften die Minister Duchatel und Hebert mit Macht-
gründcn. Dennoch erklärten die jungen Konservativen durch Herrn v. Castelan,
daß sie sür den Antrag stimmen würden; und thaten dies in einer Weise, die
ihren Ernst und ihre Ueberzeugung so offen bekundeten, daß sie den größten
Eindruck auf die Kammer machte. Und siehe - - jetzt trat Herr Guizot, der
sieggewohnte, stolze, gebieterische Kämpfer auf und sagte in kleinlauten Tone,
daß er zwar gegen den Vorschlag sei, daß er aber nichts dagegen habe, wenn er
später verhandelt werden sollte. Der Eindruck, den diese Erklärung machte, war
allgemein, ^ und mir scheint es mit Recht, denn in ihr liegt in gewisser Be¬
ziehung eine Sclbstverurthcilung. Der Stolz, die feste Ueberzeugung, das Selbst¬
vertrauen, das sonst Herrn Guizot beherrschte und ihm zum Herrscher über so
Viele machte, fehlte gestern vollkommen.

Auch in thatsächlicher Beziehung war der gestrige Sieg des Ministeriums
eine Niederlage. Bei der letzten Abstimmung über den Antrag des Herrn Dn-
vergne de Hauranc wegen einer Wahlreform zählte das Ministerium: W Stim¬
men Mehrzahl. Gestern schwand diese auf 49 zusammen. Fallen noch 25 Leute
ab, so ist das Ministerium geschlagen, und es ist zu befürchten sür Herrn Guizot,
daß dies bei nächster Gelegenheit geschehen wird.


A
II
Ans Frankfurt a. M.

Französische und deutsche Autoren. -- Gervinus und seine Honorarforderungen. -- Die
Brodverhältnisse von Frankfurt bis Strasiburg. -- Unzweckmäingkeit einer Brodtare.

Es ist bekannt, wie in Frankreich zuweilen bei einzelnen Werken der bnch-
händlerische Betrieb bis in's Grenzenlose geht, wie die Nachfrage, nicht des
Publikums, sondern der Nation, es den Verlegern möglich macht, die ungemes-
senen Forderungen beliebter Schriftsteller zu befriedigen. Man kennt den Um¬
fang, in welchen Sue's letzte Romane und die geschichtlichen Werke von Thiers
verbreitet worden sind. Wenn dergleichen in Deutschland nicht vorzukommen
pflegt, so liegt dies nicht, wie manche behaupten, an dem Mangel großer Schrift¬
steller, sondern daran, daß bei uns eine Begeisterung sür allgemeine Interessen,
-- Dank unserer staatlichen Zersplitterung-- so leicht nicht aufkommen kann. Die
Verbreitung einer Schrift hängt ab, nicht sowohl von der Gelehrtheit und Tiefe
des Verfassers, als von der Gunst, in der er beim Volke steht und von dem
Grade, in welchem sein Buch die Nation in Anspruch nimmt. --Z" diesen Betrach¬
tungen veranlaßt mich Gervinus Schrift über das preuß. Patent vom !!. Febr.
Kaum ist sie in ungeheuren Massen hieher gekommen, so ist sie auch schon ver¬
griffen; man liest sie mit wahrer Begierde, man macht Auszüge und führt sie
im Gespräche und in den Zeitungen jeden Augenblick als maßgebend an. Er
hat den Gefühlen seines Volkes Worte geliehen, doch steht der unVerhältniß-
mäßig höbe Preis dieser Brochüre ihrer Verbreitung einigermaßen im Wege, und


sind, abzuweisen. Dafür kämpften die Minister Duchatel und Hebert mit Macht-
gründcn. Dennoch erklärten die jungen Konservativen durch Herrn v. Castelan,
daß sie sür den Antrag stimmen würden; und thaten dies in einer Weise, die
ihren Ernst und ihre Ueberzeugung so offen bekundeten, daß sie den größten
Eindruck auf die Kammer machte. Und siehe - - jetzt trat Herr Guizot, der
sieggewohnte, stolze, gebieterische Kämpfer auf und sagte in kleinlauten Tone,
daß er zwar gegen den Vorschlag sei, daß er aber nichts dagegen habe, wenn er
später verhandelt werden sollte. Der Eindruck, den diese Erklärung machte, war
allgemein, ^ und mir scheint es mit Recht, denn in ihr liegt in gewisser Be¬
ziehung eine Sclbstverurthcilung. Der Stolz, die feste Ueberzeugung, das Selbst¬
vertrauen, das sonst Herrn Guizot beherrschte und ihm zum Herrscher über so
Viele machte, fehlte gestern vollkommen.

Auch in thatsächlicher Beziehung war der gestrige Sieg des Ministeriums
eine Niederlage. Bei der letzten Abstimmung über den Antrag des Herrn Dn-
vergne de Hauranc wegen einer Wahlreform zählte das Ministerium: W Stim¬
men Mehrzahl. Gestern schwand diese auf 49 zusammen. Fallen noch 25 Leute
ab, so ist das Ministerium geschlagen, und es ist zu befürchten sür Herrn Guizot,
daß dies bei nächster Gelegenheit geschehen wird.


A
II
Ans Frankfurt a. M.

Französische und deutsche Autoren. — Gervinus und seine Honorarforderungen. — Die
Brodverhältnisse von Frankfurt bis Strasiburg. — Unzweckmäingkeit einer Brodtare.

Es ist bekannt, wie in Frankreich zuweilen bei einzelnen Werken der bnch-
händlerische Betrieb bis in's Grenzenlose geht, wie die Nachfrage, nicht des
Publikums, sondern der Nation, es den Verlegern möglich macht, die ungemes-
senen Forderungen beliebter Schriftsteller zu befriedigen. Man kennt den Um¬
fang, in welchen Sue's letzte Romane und die geschichtlichen Werke von Thiers
verbreitet worden sind. Wenn dergleichen in Deutschland nicht vorzukommen
pflegt, so liegt dies nicht, wie manche behaupten, an dem Mangel großer Schrift¬
steller, sondern daran, daß bei uns eine Begeisterung sür allgemeine Interessen,
— Dank unserer staatlichen Zersplitterung— so leicht nicht aufkommen kann. Die
Verbreitung einer Schrift hängt ab, nicht sowohl von der Gelehrtheit und Tiefe
des Verfassers, als von der Gunst, in der er beim Volke steht und von dem
Grade, in welchem sein Buch die Nation in Anspruch nimmt. —Z" diesen Betrach¬
tungen veranlaßt mich Gervinus Schrift über das preuß. Patent vom !!. Febr.
Kaum ist sie in ungeheuren Massen hieher gekommen, so ist sie auch schon ver¬
griffen; man liest sie mit wahrer Begierde, man macht Auszüge und führt sie
im Gespräche und in den Zeitungen jeden Augenblick als maßgebend an. Er
hat den Gefühlen seines Volkes Worte geliehen, doch steht der unVerhältniß-
mäßig höbe Preis dieser Brochüre ihrer Verbreitung einigermaßen im Wege, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/179>, abgerufen am 05.05.2024.