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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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her war Herr von Kraus als Chef der Kamcralgefällenverwaltnng zu Lemberg
in der Lage, sich mit den Bedürfnissen der Provinz bekannt zu machen, und als
er später als Referent zur allgemeinen Hoskammer versetzt wurde, war er es,
welcher die Errichtung der Finanzwachc bewerkstelligte und das jetzige Zollsystem
organisirte. Dieser Staatsmann ist somit, alle Blutsverwandtschaft bei Seite ge¬
setzt, jedenfalls ein Mann von Verdienst.

Eine hiesige Buchhandlung bereitet die Herausgabe einer Galerie von Bild¬
nissen der Mitglieder der neuen Akademie der Wissenschaften vor, mit biographi¬
schen Skizzen begleitet. Wie kommt es aber, daß Meißner, der erste Chemiker
Oesterreichs und ein Name von europäischem Ruf, in den Reihen der Akademiker
fehlt? Es liegt hierin eine grobe Beleidigung der ganzen Akademie, welche da¬
durch als ein Institut erklärt wird, wo die Bedingniß zur Aufnahme weder Be¬
rühmtheit noch Tüchtigkeit sei, sondern persönliche Gunst.

In Wiener Neustadt hat man einige malte, hebräische Grabsteine aufgefun-
den, die von dem Dasein einer ehemaligen jüdischen Gemeinde daselbst Zeugniß
ablegt, während gegenwärtig an diesem Ort einem mittelalterlichen Gesetz zu
Folge kein Jude ansässig sein darf, so zwar, daß jene Jsraeliten, welche den
Tag über in Geschäftsangelegenheiten in der Stadt verweilen, mit Einbruch der
Nacht diese verlassen müssen, um jenseits der Grenze in den ungarischen Dörfern
sich eine Schlafstätte zu suchen. Der älteste, der in Wiener Neustadt aufgefun¬
denen Grabsteine, welche ans den Vorschlag des Predigers Morhcimer von dem
hiesigen Bcgräbnißvercin angekauft wurden, trägt die Jahreszahl 1262 an der
Stirn, ein anderer bezeichnet die Grabstätte eines 127" verstorbenen Gelehrten,
von dessen Wissen viel Rühmens gemacht wird, und noch ein anderer war einem
1313 erschlagenen Juden gesetzt worden.

Alle Hypochondristen Wiens werden jetzt Tag und Nacht von den entsetz¬
lichsten Vorstellungen gemartert, seitdem sie erfuhren, daß einige Verschlcißcr der
Krüge von Mineralwässern, welche ihnen von den Aerzten so dringend anempfoh¬
len werden, den Inhalt mit einer Dosis Arsenik vermischen (?), um das Wasser
vor dem Absterben zu bewahre". neuerliche Vorfälle haben die Sanitätsbehörde
gezwungen, diesen Gegenstand in ernste Erwägung zu ziehen, wozu sofort eine
strenge Untersuchung der reichen Niederlagen dieser versendeten Mineralwässer an¬
geordnet worden ist, deren Resultat abgewartet werden muß, um ein allgemeines
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- . §. rtheil fällen zu können.
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III.

Der Nothstand und die Maßregeln der Regierung. -- Milde der hohen Beamten. --
Straft eines Pamphlctärö. -- Censur.

Das im Mai erlassene Ausfuhrverbot für alle Getreide- und Mchlsorten
ward seiner Zeit vom großen Publikum mit Jubel begrüßt, während die wenigen
höher stehenden Politiker diesen Akt als eine staatswirthschaftliche Mißgeburt be¬
trachteten. Oesterreich setzte sich hierdurch bei seinen Nachbarstaaten in kein guil-


her war Herr von Kraus als Chef der Kamcralgefällenverwaltnng zu Lemberg
in der Lage, sich mit den Bedürfnissen der Provinz bekannt zu machen, und als
er später als Referent zur allgemeinen Hoskammer versetzt wurde, war er es,
welcher die Errichtung der Finanzwachc bewerkstelligte und das jetzige Zollsystem
organisirte. Dieser Staatsmann ist somit, alle Blutsverwandtschaft bei Seite ge¬
setzt, jedenfalls ein Mann von Verdienst.

Eine hiesige Buchhandlung bereitet die Herausgabe einer Galerie von Bild¬
nissen der Mitglieder der neuen Akademie der Wissenschaften vor, mit biographi¬
schen Skizzen begleitet. Wie kommt es aber, daß Meißner, der erste Chemiker
Oesterreichs und ein Name von europäischem Ruf, in den Reihen der Akademiker
fehlt? Es liegt hierin eine grobe Beleidigung der ganzen Akademie, welche da¬
durch als ein Institut erklärt wird, wo die Bedingniß zur Aufnahme weder Be¬
rühmtheit noch Tüchtigkeit sei, sondern persönliche Gunst.

In Wiener Neustadt hat man einige malte, hebräische Grabsteine aufgefun-
den, die von dem Dasein einer ehemaligen jüdischen Gemeinde daselbst Zeugniß
ablegt, während gegenwärtig an diesem Ort einem mittelalterlichen Gesetz zu
Folge kein Jude ansässig sein darf, so zwar, daß jene Jsraeliten, welche den
Tag über in Geschäftsangelegenheiten in der Stadt verweilen, mit Einbruch der
Nacht diese verlassen müssen, um jenseits der Grenze in den ungarischen Dörfern
sich eine Schlafstätte zu suchen. Der älteste, der in Wiener Neustadt aufgefun¬
denen Grabsteine, welche ans den Vorschlag des Predigers Morhcimer von dem
hiesigen Bcgräbnißvercin angekauft wurden, trägt die Jahreszahl 1262 an der
Stirn, ein anderer bezeichnet die Grabstätte eines 127» verstorbenen Gelehrten,
von dessen Wissen viel Rühmens gemacht wird, und noch ein anderer war einem
1313 erschlagenen Juden gesetzt worden.

Alle Hypochondristen Wiens werden jetzt Tag und Nacht von den entsetz¬
lichsten Vorstellungen gemartert, seitdem sie erfuhren, daß einige Verschlcißcr der
Krüge von Mineralwässern, welche ihnen von den Aerzten so dringend anempfoh¬
len werden, den Inhalt mit einer Dosis Arsenik vermischen (?), um das Wasser
vor dem Absterben zu bewahre». neuerliche Vorfälle haben die Sanitätsbehörde
gezwungen, diesen Gegenstand in ernste Erwägung zu ziehen, wozu sofort eine
strenge Untersuchung der reichen Niederlagen dieser versendeten Mineralwässer an¬
geordnet worden ist, deren Resultat abgewartet werden muß, um ein allgemeines
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- . §. rtheil fällen zu können.
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III.

Der Nothstand und die Maßregeln der Regierung. — Milde der hohen Beamten. —
Straft eines Pamphlctärö. — Censur.

Das im Mai erlassene Ausfuhrverbot für alle Getreide- und Mchlsorten
ward seiner Zeit vom großen Publikum mit Jubel begrüßt, während die wenigen
höher stehenden Politiker diesen Akt als eine staatswirthschaftliche Mißgeburt be¬
trachteten. Oesterreich setzte sich hierdurch bei seinen Nachbarstaaten in kein guil-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/174>, abgerufen am 07.05.2024.