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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Die Schuldender in Tirol.

Vor einiger Zeit ist der verehrlichen Redaction der "Grenzboten" aus
Tirol eine Schilderung des herabgekommenen Zustandes unseres Volksschul¬
wesens zugesendet worden. Als Nachtrag und Beleg des damals Gesagten
möge das Folgende dienen.

Die Geistlichkeit begnügt sich mit dem überwiegenden Einflüsse nicht
mehr, den ihr die politische Verfassung der deutscheu Schulen und die
Schwäche der Verwaltungsbehörden ans die Kinder der tirolischen Landleute
und Bürger eingeräumt; sie will der ausgedehntesten Gewalt über die her¬
anwachsende Generation sich bemächtigen. Hier und dort trat ihrer Willkür
und selbstsüchtigen Tendenz ein charakterfester Lehrer in den Weg, die von
der Mitte des Landvolks ausgegangenen Schullehrer von schlichtem aber
tüchtigem Volkssinne, meistens mit den Aeltern und der Gemeinde im freund¬
lichen Verband, sind der starrfrommen Priesterpartei nachgerade unbequem,
und so wie unter dem militärischen Jmperatorenthum Napoleon's alle An¬
stalten einen soldatischen Geist und Zuschnitt annehmen mußten, strebt nun
jene ultramontane Klerisei in Tirol mehr und mehr, durch geistliches Orden¬
wesen und mönchische Verbrüderungen eine wohlgegliederte Organisation
ihrer Macht zu schaffen. Alle die Ihrigen müssen sich in geistliche Gesell¬
schaften und geordnete Corps zusammenthun, man gewinnt damit eben so
viele Bataillone für seine Sache, umzingelt uach und nach die fremdartigen
Kräfte und so erliegen sie einer allmäligen schleichenden Umstrickung. Eine
Partei in Wien, dem Streben unserer rückwärts drängenden Jesuiten und
scheinheiligen wohlgewogcn, fördert in Verbindung mit dem von ihr ge¬
schaffenen Gouverneur der Provinz bei den höchsten Stellen jegliche Ma߬
regel zur geistigen Verkümmerung unseres Landvolkes, und hilft es in einem
wahren Helotenstand mit Seele und Leib hineinarbeiten. Um das Geschäft
vom Grnnde aus zu beginnen, sollen die naturkräftigen tirolischen Bauern-
kinder unter die ausschließende Leitung einer mönchischen Genossenschaft ge-


Die Schuldender in Tirol.

Vor einiger Zeit ist der verehrlichen Redaction der „Grenzboten" aus
Tirol eine Schilderung des herabgekommenen Zustandes unseres Volksschul¬
wesens zugesendet worden. Als Nachtrag und Beleg des damals Gesagten
möge das Folgende dienen.

Die Geistlichkeit begnügt sich mit dem überwiegenden Einflüsse nicht
mehr, den ihr die politische Verfassung der deutscheu Schulen und die
Schwäche der Verwaltungsbehörden ans die Kinder der tirolischen Landleute
und Bürger eingeräumt; sie will der ausgedehntesten Gewalt über die her¬
anwachsende Generation sich bemächtigen. Hier und dort trat ihrer Willkür
und selbstsüchtigen Tendenz ein charakterfester Lehrer in den Weg, die von
der Mitte des Landvolks ausgegangenen Schullehrer von schlichtem aber
tüchtigem Volkssinne, meistens mit den Aeltern und der Gemeinde im freund¬
lichen Verband, sind der starrfrommen Priesterpartei nachgerade unbequem,
und so wie unter dem militärischen Jmperatorenthum Napoleon's alle An¬
stalten einen soldatischen Geist und Zuschnitt annehmen mußten, strebt nun
jene ultramontane Klerisei in Tirol mehr und mehr, durch geistliches Orden¬
wesen und mönchische Verbrüderungen eine wohlgegliederte Organisation
ihrer Macht zu schaffen. Alle die Ihrigen müssen sich in geistliche Gesell¬
schaften und geordnete Corps zusammenthun, man gewinnt damit eben so
viele Bataillone für seine Sache, umzingelt uach und nach die fremdartigen
Kräfte und so erliegen sie einer allmäligen schleichenden Umstrickung. Eine
Partei in Wien, dem Streben unserer rückwärts drängenden Jesuiten und
scheinheiligen wohlgewogcn, fördert in Verbindung mit dem von ihr ge¬
schaffenen Gouverneur der Provinz bei den höchsten Stellen jegliche Ma߬
regel zur geistigen Verkümmerung unseres Landvolkes, und hilft es in einem
wahren Helotenstand mit Seele und Leib hineinarbeiten. Um das Geschäft
vom Grnnde aus zu beginnen, sollen die naturkräftigen tirolischen Bauern-
kinder unter die ausschließende Leitung einer mönchischen Genossenschaft ge-


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[0198] Die Schuldender in Tirol. Vor einiger Zeit ist der verehrlichen Redaction der „Grenzboten" aus Tirol eine Schilderung des herabgekommenen Zustandes unseres Volksschul¬ wesens zugesendet worden. Als Nachtrag und Beleg des damals Gesagten möge das Folgende dienen. Die Geistlichkeit begnügt sich mit dem überwiegenden Einflüsse nicht mehr, den ihr die politische Verfassung der deutscheu Schulen und die Schwäche der Verwaltungsbehörden ans die Kinder der tirolischen Landleute und Bürger eingeräumt; sie will der ausgedehntesten Gewalt über die her¬ anwachsende Generation sich bemächtigen. Hier und dort trat ihrer Willkür und selbstsüchtigen Tendenz ein charakterfester Lehrer in den Weg, die von der Mitte des Landvolks ausgegangenen Schullehrer von schlichtem aber tüchtigem Volkssinne, meistens mit den Aeltern und der Gemeinde im freund¬ lichen Verband, sind der starrfrommen Priesterpartei nachgerade unbequem, und so wie unter dem militärischen Jmperatorenthum Napoleon's alle An¬ stalten einen soldatischen Geist und Zuschnitt annehmen mußten, strebt nun jene ultramontane Klerisei in Tirol mehr und mehr, durch geistliches Orden¬ wesen und mönchische Verbrüderungen eine wohlgegliederte Organisation ihrer Macht zu schaffen. Alle die Ihrigen müssen sich in geistliche Gesell¬ schaften und geordnete Corps zusammenthun, man gewinnt damit eben so viele Bataillone für seine Sache, umzingelt uach und nach die fremdartigen Kräfte und so erliegen sie einer allmäligen schleichenden Umstrickung. Eine Partei in Wien, dem Streben unserer rückwärts drängenden Jesuiten und scheinheiligen wohlgewogcn, fördert in Verbindung mit dem von ihr ge¬ schaffenen Gouverneur der Provinz bei den höchsten Stellen jegliche Ma߬ regel zur geistigen Verkümmerung unseres Landvolkes, und hilft es in einem wahren Helotenstand mit Seele und Leib hineinarbeiten. Um das Geschäft vom Grnnde aus zu beginnen, sollen die naturkräftigen tirolischen Bauern- kinder unter die ausschließende Leitung einer mönchischen Genossenschaft ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/198>, abgerufen am 07.05.2024.