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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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ludion; aber die Emeute, die ihr den Sieg erringen half, ist dennoch die Ur¬
sache, daß dieser hundert andere Emeuten folgten, die denn Frankreich in die
Lage hineinzuwerfen erlaubte", in der es sich heute befindet. Die Masse der
Franzosen fühlt sich aufs Höchste unbehaglich, ist gedemüthigt in ihren heiligsten
Eitelkeiten. Aber sie hofft Nichts von einer noch so siegreichen Emeute, und des¬
wegen hoffen wir, daß keine Emeute stattfinden werde, weil sie besiegt, die Re¬
gierung in ihrer jetzigen Stellung und Richtung wieder befestigen, siegreich die
öffentlichen Verhältnisse aus eine Weise verwirren würde, die Frankreich Zustanden
wie denen Spaniens und Südamerika's entgegenführen konnte.

Eines ist heute gewonnen. Das ganze denkende Frankreich hat die Lehren
der letzten Session, wenn auch nicht vollkommen begriffen, doch sich tief zu Ge¬
müthe genommen. Diese Session ist der Anfang einer andern Epoche für Frank¬
reich. Es werden sicher in Kurzem Leute aufstehen, die die Bedürfnisse der
Gegenwart begreifen und die auch diesen Bedürfnissen gewachsen sind. Und die
letzte Session hat auch gelehrt, daß dazu mehr gehört, als die Ungeduld sich
vorzudrängen und Talent seine Minen spielen zu lassen. Die jungen conserva-
tiven Progressisten wissen jetzt, daß eS nicht genügt, ein Ministerium verdrängen
zu wollen und daß es gefährlich, zernichtend ist, sich Bundesgenossen zu suchen,
wo sie die gerade Ehrlichkeit nicht holen mag.

Wollen hoffen, daß diese Lehren zu guten Samen für die Zukunft werden!


I. -v.
II.
I.

Neue Verordnung über die Dienstzeit. -- Musik und Theater. -- Die Vortheile
der Censur.

Die neue Verordnung, wodurch die Herabsetzung der Militärdienstzeit eine
noch weitere Ausdehnung erhält, ist eine höchst segensreiche Ergänzung derselben.
Alle in den Jahren 1836-1839 gestellten Soldaten werden entlassen und dieser
Begünstigung werden noch viele andere theilhaft, die entweder freiwillig oder, zur
Strafe für Selbstverstümmlnng oder Desertion eine viel längere Dienstzeit hätten
vollenden müssen; unter gewissen Bedingungen selbst diejenigen, die zur Strafe
für die obenangeführten Vergehen lebenslänglich hätten dienen müssen; eine Ma߬
regel, deren Härte in den meisten Fällen, wo psychologischer Zwang eintritt, ohne¬
hin nicht zu entschuldigen sein dürfte.

In unserm sozialen Leben herrscht die vvllkommendstc Windstille. Die Hö¬
hen, Schichten der Gesellschaft sind auf dem Lande oder in den Bädern, die
mittleren Klassen erfreuen sich an den Festen, deren jede Woche mehrere gegeben
werden. Die barocksten, lächerlichsten Anlässe werden dazu gewählt, Strauß's
Geige, das schöne Wetter, die Langeweile ziehen das Publikum in Massen hinein.
Einen höchst komischen Eindruck macht aber der forcirte Patriotismus, den man


ludion; aber die Emeute, die ihr den Sieg erringen half, ist dennoch die Ur¬
sache, daß dieser hundert andere Emeuten folgten, die denn Frankreich in die
Lage hineinzuwerfen erlaubte», in der es sich heute befindet. Die Masse der
Franzosen fühlt sich aufs Höchste unbehaglich, ist gedemüthigt in ihren heiligsten
Eitelkeiten. Aber sie hofft Nichts von einer noch so siegreichen Emeute, und des¬
wegen hoffen wir, daß keine Emeute stattfinden werde, weil sie besiegt, die Re¬
gierung in ihrer jetzigen Stellung und Richtung wieder befestigen, siegreich die
öffentlichen Verhältnisse aus eine Weise verwirren würde, die Frankreich Zustanden
wie denen Spaniens und Südamerika's entgegenführen konnte.

Eines ist heute gewonnen. Das ganze denkende Frankreich hat die Lehren
der letzten Session, wenn auch nicht vollkommen begriffen, doch sich tief zu Ge¬
müthe genommen. Diese Session ist der Anfang einer andern Epoche für Frank¬
reich. Es werden sicher in Kurzem Leute aufstehen, die die Bedürfnisse der
Gegenwart begreifen und die auch diesen Bedürfnissen gewachsen sind. Und die
letzte Session hat auch gelehrt, daß dazu mehr gehört, als die Ungeduld sich
vorzudrängen und Talent seine Minen spielen zu lassen. Die jungen conserva-
tiven Progressisten wissen jetzt, daß eS nicht genügt, ein Ministerium verdrängen
zu wollen und daß es gefährlich, zernichtend ist, sich Bundesgenossen zu suchen,
wo sie die gerade Ehrlichkeit nicht holen mag.

Wollen hoffen, daß diese Lehren zu guten Samen für die Zukunft werden!


I. -v.
II.
I.

Neue Verordnung über die Dienstzeit. — Musik und Theater. — Die Vortheile
der Censur.

Die neue Verordnung, wodurch die Herabsetzung der Militärdienstzeit eine
noch weitere Ausdehnung erhält, ist eine höchst segensreiche Ergänzung derselben.
Alle in den Jahren 1836-1839 gestellten Soldaten werden entlassen und dieser
Begünstigung werden noch viele andere theilhaft, die entweder freiwillig oder, zur
Strafe für Selbstverstümmlnng oder Desertion eine viel längere Dienstzeit hätten
vollenden müssen; unter gewissen Bedingungen selbst diejenigen, die zur Strafe
für die obenangeführten Vergehen lebenslänglich hätten dienen müssen; eine Ma߬
regel, deren Härte in den meisten Fällen, wo psychologischer Zwang eintritt, ohne¬
hin nicht zu entschuldigen sein dürfte.

In unserm sozialen Leben herrscht die vvllkommendstc Windstille. Die Hö¬
hen, Schichten der Gesellschaft sind auf dem Lande oder in den Bädern, die
mittleren Klassen erfreuen sich an den Festen, deren jede Woche mehrere gegeben
werden. Die barocksten, lächerlichsten Anlässe werden dazu gewählt, Strauß's
Geige, das schöne Wetter, die Langeweile ziehen das Publikum in Massen hinein.
Einen höchst komischen Eindruck macht aber der forcirte Patriotismus, den man


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[0219] ludion; aber die Emeute, die ihr den Sieg erringen half, ist dennoch die Ur¬ sache, daß dieser hundert andere Emeuten folgten, die denn Frankreich in die Lage hineinzuwerfen erlaubte», in der es sich heute befindet. Die Masse der Franzosen fühlt sich aufs Höchste unbehaglich, ist gedemüthigt in ihren heiligsten Eitelkeiten. Aber sie hofft Nichts von einer noch so siegreichen Emeute, und des¬ wegen hoffen wir, daß keine Emeute stattfinden werde, weil sie besiegt, die Re¬ gierung in ihrer jetzigen Stellung und Richtung wieder befestigen, siegreich die öffentlichen Verhältnisse aus eine Weise verwirren würde, die Frankreich Zustanden wie denen Spaniens und Südamerika's entgegenführen konnte. Eines ist heute gewonnen. Das ganze denkende Frankreich hat die Lehren der letzten Session, wenn auch nicht vollkommen begriffen, doch sich tief zu Ge¬ müthe genommen. Diese Session ist der Anfang einer andern Epoche für Frank¬ reich. Es werden sicher in Kurzem Leute aufstehen, die die Bedürfnisse der Gegenwart begreifen und die auch diesen Bedürfnissen gewachsen sind. Und die letzte Session hat auch gelehrt, daß dazu mehr gehört, als die Ungeduld sich vorzudrängen und Talent seine Minen spielen zu lassen. Die jungen conserva- tiven Progressisten wissen jetzt, daß eS nicht genügt, ein Ministerium verdrängen zu wollen und daß es gefährlich, zernichtend ist, sich Bundesgenossen zu suchen, wo sie die gerade Ehrlichkeit nicht holen mag. Wollen hoffen, daß diese Lehren zu guten Samen für die Zukunft werden! I. -v. II. I. Neue Verordnung über die Dienstzeit. — Musik und Theater. — Die Vortheile der Censur. Die neue Verordnung, wodurch die Herabsetzung der Militärdienstzeit eine noch weitere Ausdehnung erhält, ist eine höchst segensreiche Ergänzung derselben. Alle in den Jahren 1836-1839 gestellten Soldaten werden entlassen und dieser Begünstigung werden noch viele andere theilhaft, die entweder freiwillig oder, zur Strafe für Selbstverstümmlnng oder Desertion eine viel längere Dienstzeit hätten vollenden müssen; unter gewissen Bedingungen selbst diejenigen, die zur Strafe für die obenangeführten Vergehen lebenslänglich hätten dienen müssen; eine Ma߬ regel, deren Härte in den meisten Fällen, wo psychologischer Zwang eintritt, ohne¬ hin nicht zu entschuldigen sein dürfte. In unserm sozialen Leben herrscht die vvllkommendstc Windstille. Die Hö¬ hen, Schichten der Gesellschaft sind auf dem Lande oder in den Bädern, die mittleren Klassen erfreuen sich an den Festen, deren jede Woche mehrere gegeben werden. Die barocksten, lächerlichsten Anlässe werden dazu gewählt, Strauß's Geige, das schöne Wetter, die Langeweile ziehen das Publikum in Massen hinein. Einen höchst komischen Eindruck macht aber der forcirte Patriotismus, den man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/219>, abgerufen am 07.05.2024.