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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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i.
Die Herzogin von Prasum.

Durch die Veröffentlichung der Actenstücke, Aussagen, Briefe und Tagebücher des
Prasum'sehen Drama'S ist es endlich erlaubt, die innern Fäden des Geschickes, das
über diese unglückliche Familie gekommen ist, klarer zu erfassen. "Ein grauenhaftes
Geschick und ein furchtbares Unglück!" -- ist das stille Urtheil, das sich uns
bei jedem Schritte weiter an diesen neuen Fäden, die endlich zu dem nächtlichen Mord
führen, aufdrang.

Der Mörder hat sich selbst gerichtet, und mir sagen ruhig: von Rechtswegen!
Wir würden ihn unbedingt verurtheilt haben, wenn uns der Beruf zugefallen wäre,
sein Richter zu sein. Und dennoch drängte sich uns mit jeder Zeile weiter in den
Briefen und Tagebüchern der unglücklichen Herzogin unabweisbar ein Gefühl des tief¬
sten Mitleidens für den Mörder auf. Wir sehen den dunkeln Geist, der diese un¬
glückliche Frau beherrschte, und der zuletzt zum großen Theile all' ihr schreckliches Ge¬
schick auf sie und die Ihrigen hcrabbcschwor.

Wir mochten hier nicht mißverstanden sein. Die arme, so tief unglückliche, so
hart gestrafte Frau war eine edle Natur im vollen Sinne des Wortes. Sie liebte
mit der höchsten Leidenschaft, sie betete zu Gott mit der höchsten Inbrunst, sie suchte
Wohl zu thun mit der höchsten Zartheit. Und dennoch -- und dennoch, es thut uns
wehe, daß dies möglich ist -- war sie eine Gattin, eine Mutter, die bei den guten
und schlechten Eigenschaften eines schwachen und doch trotzigen, eines guten und doch
heftigen, eines vom Geschicke, von seiner Familie, von seiner eignen Frau verwöhnten
Mannes, das Unglück ihrer ganzen Familie veranlassen mußte. Das ist die Ueberzeu¬
gung, die sich uns bei der Durchlcsnug ihrer Herzenscrgießuug unabwendbar aufdrängte.

Die Herzogin v. Prasum war ein Fraucutyp unserer Zeit, sie war eine "unver¬
standene" Seele, und zwar, weil es unmöglich war, sie zu verstehen. Sie
hatte die innere Unruhe, die leider in der Erziehung der meisten Frauen unserer Zeit
liegt. Sie suchte ein Unmögliches auf Erden, ein Alltägliches in Romanen -- die
vollkommene Auflösung des geliebten Mannes in ihrer Liebe. Sie suchte und fand es
"icht; sie glaubte es gefunden und verscherzt zu haben, so oft sie den Geliebten halb¬
wegs verloren hatte; sie ahnte, daß sie sich selbst getäuscht, so oft sie ihn besaß.


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i.
Die Herzogin von Prasum.

Durch die Veröffentlichung der Actenstücke, Aussagen, Briefe und Tagebücher des
Prasum'sehen Drama'S ist es endlich erlaubt, die innern Fäden des Geschickes, das
über diese unglückliche Familie gekommen ist, klarer zu erfassen. „Ein grauenhaftes
Geschick und ein furchtbares Unglück!" — ist das stille Urtheil, das sich uns
bei jedem Schritte weiter an diesen neuen Fäden, die endlich zu dem nächtlichen Mord
führen, aufdrang.

Der Mörder hat sich selbst gerichtet, und mir sagen ruhig: von Rechtswegen!
Wir würden ihn unbedingt verurtheilt haben, wenn uns der Beruf zugefallen wäre,
sein Richter zu sein. Und dennoch drängte sich uns mit jeder Zeile weiter in den
Briefen und Tagebüchern der unglücklichen Herzogin unabweisbar ein Gefühl des tief¬
sten Mitleidens für den Mörder auf. Wir sehen den dunkeln Geist, der diese un¬
glückliche Frau beherrschte, und der zuletzt zum großen Theile all' ihr schreckliches Ge¬
schick auf sie und die Ihrigen hcrabbcschwor.

Wir mochten hier nicht mißverstanden sein. Die arme, so tief unglückliche, so
hart gestrafte Frau war eine edle Natur im vollen Sinne des Wortes. Sie liebte
mit der höchsten Leidenschaft, sie betete zu Gott mit der höchsten Inbrunst, sie suchte
Wohl zu thun mit der höchsten Zartheit. Und dennoch — und dennoch, es thut uns
wehe, daß dies möglich ist — war sie eine Gattin, eine Mutter, die bei den guten
und schlechten Eigenschaften eines schwachen und doch trotzigen, eines guten und doch
heftigen, eines vom Geschicke, von seiner Familie, von seiner eignen Frau verwöhnten
Mannes, das Unglück ihrer ganzen Familie veranlassen mußte. Das ist die Ueberzeu¬
gung, die sich uns bei der Durchlcsnug ihrer Herzenscrgießuug unabwendbar aufdrängte.

Die Herzogin v. Prasum war ein Fraucutyp unserer Zeit, sie war eine „unver¬
standene" Seele, und zwar, weil es unmöglich war, sie zu verstehen. Sie
hatte die innere Unruhe, die leider in der Erziehung der meisten Frauen unserer Zeit
liegt. Sie suchte ein Unmögliches auf Erden, ein Alltägliches in Romanen — die
vollkommene Auflösung des geliebten Mannes in ihrer Liebe. Sie suchte und fand es
«icht; sie glaubte es gefunden und verscherzt zu haben, so oft sie den Geliebten halb¬
wegs verloren hatte; sie ahnte, daß sie sich selbst getäuscht, so oft sie ihn besaß.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/427>, abgerufen am 08.05.2024.