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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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i.
Denkwürdigkeiten der österreichischen Censur.

Eine der gediegensten Schriften über österreichische Zustände sind die so eben erschie¬
nenen Denkwürdigkeiten der österreichischen Censur von Dr. Adolf Wiesn er
(Stuttgart, bei Adolf Krabbe). Der Titel ist keineswegs erschöpfend für die inhaltreiche
Schrift, in der ein geschichtlicher und belehrender Stoff aufgehäuft ist, zu dem der
Versasser nur durch jahrelangen eisernen Fleiß und Studien gelangen konnte. Unter
Denkwürdigkeiten vermuthet man allenfalls Anecdoten, Erlebnisse aus der an Scanda-
len so reichen Tagesgeschichte einer der finstersten Ccnsurbchvrden unserer Zeit. Aber
der Verfasser gibt Höheres und Wichtigeres. In der ersten Hälfte seines Werkes gibt
er eine aus Quellen geschöpfte Geschichte der Censur in Oesterreich por dem Beginne
der Reformation bis auf Joseph II. und von da ab durch die Rcaktivnsepoche bis auf
unsere Zeit. Was dieser Abtheilung des Buches, außer dem vielen Neuen und klar
Uebersichtlichcn, das es enthält, noch einen allgemeinen Werth gibt, ist der stete organi¬
sche Zusammenhang mit dem übrigen Deutschland, die reichen Parallelen zwischen die^
und jenseits der schwarzgelben Schranken, die fast auf jeder Seite zu finden sind, ab
die das Buch nicht blos zu einem specifisch österreichischen, sondern zu einem der Ge-
sammtgeschichte deutscher Preßverhältnisse angehörigen machen. Die zweite Hälfte hin¬
gegen tritt aus dem Bereiche der Geschichtschreibung heraus und schildert die beseelende
Gesetzgebung, Einrichtung und Handhabung des österreichischen Ccnsurwesens, ein.' Zu¬
sammenstellung sämmtlicher Verordnungen, Bräuche, Mißbräuche, Willkürlichkeiten. Tra-
cassericn und Rechtsverletzungen, denen der Schriftsteller, der Buchhändler ab das
Publicum ip Oesterreich ausgesetzt siud, sobald es Nahrung für seinen Gest sucht.
Eine solche Uebersicht, eine so prägnante und organische Zusammenstellung der Einzeln¬
heiten hat bisher vollständig gefehlt, und nicht blos der Nichtösterreicher, sondern
19 Zwanzigstel der Oesterreicher selbst erfahren aus diesem Buche Dinge, die bei der
Heimlichkeit unseres Amtswescns, bei der Zerstreutheit der einzelnen Gesetze und Zusätze,
bei den Mysterien der Polizeiinstructionen, ihnen bisher ganz unbekannt /ehlichem sind.
Wollten wir uns auf Details einlassen, so geriethen wir in die Gefalr, das ganze
Buch abzuschreiben. Hier heißt es: Greift nur hinein ins düstre Ccnftrleben und wo
ihrs faßt, da ist es interessant! Interessant, wie einer jener großen Pozesse, die der
Pitaval uns schildert, interessant wie das Hospital der Geisteskranken, interessant wie
ein herzzerreißendes Trauerspiel, dem der versöhnende Schluß fehl- Dennoch hat
der Verfasser sich möglichst frei von Leidenschaftlichkeit, möglichst obectiv zu hqlten ge-


Tage b u et).



i.
Denkwürdigkeiten der österreichischen Censur.

Eine der gediegensten Schriften über österreichische Zustände sind die so eben erschie¬
nenen Denkwürdigkeiten der österreichischen Censur von Dr. Adolf Wiesn er
(Stuttgart, bei Adolf Krabbe). Der Titel ist keineswegs erschöpfend für die inhaltreiche
Schrift, in der ein geschichtlicher und belehrender Stoff aufgehäuft ist, zu dem der
Versasser nur durch jahrelangen eisernen Fleiß und Studien gelangen konnte. Unter
Denkwürdigkeiten vermuthet man allenfalls Anecdoten, Erlebnisse aus der an Scanda-
len so reichen Tagesgeschichte einer der finstersten Ccnsurbchvrden unserer Zeit. Aber
der Verfasser gibt Höheres und Wichtigeres. In der ersten Hälfte seines Werkes gibt
er eine aus Quellen geschöpfte Geschichte der Censur in Oesterreich por dem Beginne
der Reformation bis auf Joseph II. und von da ab durch die Rcaktivnsepoche bis auf
unsere Zeit. Was dieser Abtheilung des Buches, außer dem vielen Neuen und klar
Uebersichtlichcn, das es enthält, noch einen allgemeinen Werth gibt, ist der stete organi¬
sche Zusammenhang mit dem übrigen Deutschland, die reichen Parallelen zwischen die^
und jenseits der schwarzgelben Schranken, die fast auf jeder Seite zu finden sind, ab
die das Buch nicht blos zu einem specifisch österreichischen, sondern zu einem der Ge-
sammtgeschichte deutscher Preßverhältnisse angehörigen machen. Die zweite Hälfte hin¬
gegen tritt aus dem Bereiche der Geschichtschreibung heraus und schildert die beseelende
Gesetzgebung, Einrichtung und Handhabung des österreichischen Ccnsurwesens, ein.' Zu¬
sammenstellung sämmtlicher Verordnungen, Bräuche, Mißbräuche, Willkürlichkeiten. Tra-
cassericn und Rechtsverletzungen, denen der Schriftsteller, der Buchhändler ab das
Publicum ip Oesterreich ausgesetzt siud, sobald es Nahrung für seinen Gest sucht.
Eine solche Uebersicht, eine so prägnante und organische Zusammenstellung der Einzeln¬
heiten hat bisher vollständig gefehlt, und nicht blos der Nichtösterreicher, sondern
19 Zwanzigstel der Oesterreicher selbst erfahren aus diesem Buche Dinge, die bei der
Heimlichkeit unseres Amtswescns, bei der Zerstreutheit der einzelnen Gesetze und Zusätze,
bei den Mysterien der Polizeiinstructionen, ihnen bisher ganz unbekannt /ehlichem sind.
Wollten wir uns auf Details einlassen, so geriethen wir in die Gefalr, das ganze
Buch abzuschreiben. Hier heißt es: Greift nur hinein ins düstre Ccnftrleben und wo
ihrs faßt, da ist es interessant! Interessant, wie einer jener großen Pozesse, die der
Pitaval uns schildert, interessant wie das Hospital der Geisteskranken, interessant wie
ein herzzerreißendes Trauerspiel, dem der versöhnende Schluß fehl- Dennoch hat
der Verfasser sich möglichst frei von Leidenschaftlichkeit, möglichst obectiv zu hqlten ge-


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[0486] Tage b u et). i. Denkwürdigkeiten der österreichischen Censur. Eine der gediegensten Schriften über österreichische Zustände sind die so eben erschie¬ nenen Denkwürdigkeiten der österreichischen Censur von Dr. Adolf Wiesn er (Stuttgart, bei Adolf Krabbe). Der Titel ist keineswegs erschöpfend für die inhaltreiche Schrift, in der ein geschichtlicher und belehrender Stoff aufgehäuft ist, zu dem der Versasser nur durch jahrelangen eisernen Fleiß und Studien gelangen konnte. Unter Denkwürdigkeiten vermuthet man allenfalls Anecdoten, Erlebnisse aus der an Scanda- len so reichen Tagesgeschichte einer der finstersten Ccnsurbchvrden unserer Zeit. Aber der Verfasser gibt Höheres und Wichtigeres. In der ersten Hälfte seines Werkes gibt er eine aus Quellen geschöpfte Geschichte der Censur in Oesterreich por dem Beginne der Reformation bis auf Joseph II. und von da ab durch die Rcaktivnsepoche bis auf unsere Zeit. Was dieser Abtheilung des Buches, außer dem vielen Neuen und klar Uebersichtlichcn, das es enthält, noch einen allgemeinen Werth gibt, ist der stete organi¬ sche Zusammenhang mit dem übrigen Deutschland, die reichen Parallelen zwischen die^ und jenseits der schwarzgelben Schranken, die fast auf jeder Seite zu finden sind, ab die das Buch nicht blos zu einem specifisch österreichischen, sondern zu einem der Ge- sammtgeschichte deutscher Preßverhältnisse angehörigen machen. Die zweite Hälfte hin¬ gegen tritt aus dem Bereiche der Geschichtschreibung heraus und schildert die beseelende Gesetzgebung, Einrichtung und Handhabung des österreichischen Ccnsurwesens, ein.' Zu¬ sammenstellung sämmtlicher Verordnungen, Bräuche, Mißbräuche, Willkürlichkeiten. Tra- cassericn und Rechtsverletzungen, denen der Schriftsteller, der Buchhändler ab das Publicum ip Oesterreich ausgesetzt siud, sobald es Nahrung für seinen Gest sucht. Eine solche Uebersicht, eine so prägnante und organische Zusammenstellung der Einzeln¬ heiten hat bisher vollständig gefehlt, und nicht blos der Nichtösterreicher, sondern 19 Zwanzigstel der Oesterreicher selbst erfahren aus diesem Buche Dinge, die bei der Heimlichkeit unseres Amtswescns, bei der Zerstreutheit der einzelnen Gesetze und Zusätze, bei den Mysterien der Polizeiinstructionen, ihnen bisher ganz unbekannt /ehlichem sind. Wollten wir uns auf Details einlassen, so geriethen wir in die Gefalr, das ganze Buch abzuschreiben. Hier heißt es: Greift nur hinein ins düstre Ccnftrleben und wo ihrs faßt, da ist es interessant! Interessant, wie einer jener großen Pozesse, die der Pitaval uns schildert, interessant wie das Hospital der Geisteskranken, interessant wie ein herzzerreißendes Trauerspiel, dem der versöhnende Schluß fehl- Dennoch hat der Verfasser sich möglichst frei von Leidenschaftlichkeit, möglichst obectiv zu hqlten ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/486>, abgerufen am 07.05.2024.