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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Gin Ausflug nach Dresden"
Von D. E. Gshring.
^1-

Wenn man Dresden das Florenz an der Elbe nennt, so ist das ebenso wenig
genau zu nehmen, als wenn man Athen an den sandigen Ufern der Spree sucht.
Wenn auch die Anreicherung von Kunstschätzen aller Art Dresden zum Wall-
fahrtsort aller teutonischen Kunstjünger erhebt, die Dresdner sind immer keine
Florentiner, und der sächsische Himmel will sich nicht in hesperischen Tinten färben,
ebenso wenig als Sokrates in der Metropole der deutschen Intelligenz eine Stätte
finden würde für sein Streben, die preußische Jugend über Gott und seine eigene
Pflicht aufzuklären; in dem modernen Criminalcodex ist die Strafe des Schierlings¬
bechers nicht aufgezeichnet, dafür würde mau aber keinen Anstand nehmen, den
unbequemen Frager von der einen hellenischen Nation zur audern aufzuweisen,
und auch die Sophisten würden nicht ermangeln, ihm das Untergeordnete seines
Standpunktes begreiflich zu macheu, der noch ans Gesinnung und ähnlichen Zopf-
begriffen basirt sei.

Mau muß unwillkürlich an die Stadt der dentschen Philosophie denken, die
nächste und verwandteste Residenz der deutschen Nation, wenn man in Dresden
verweilt; nicht als ob ein besonders philosophischer Hauch von der Elbe aus über
die Brühlsche Terrasse hinwehte, oder als ob auf den Stirnen der lustwandelnder
Dresdner der Gedanke seine bedeutenden, gramvollen Furchen eingegraben hätte;
im Gegentheil, wer dir auch unter den Orangen des Zwingers oder in den Wein¬
bergen begegnen mag, dn konnst versichert sein, daß es wenigstens nicht Prinz
Hamlet in Jncognito ist; denn Wittenberg, das Zion des theologischen Titanis-
mns, ist längst nicht mehr in den Händen des sächsischen Fürstenhauses; die Preu¬
ßen haben ein Prediger-Seminar an der Stätte errichtet, wo einst der flammeu-
äugige Augustiner seine Blitze gegen den Vatican schleuderte; Hamlet würde heut
zu Tage nicht mehr in Wittenberg studiren, und Dresden's Söhne werdeu über die
Frage: sein oder Nichtsein? ihre Haare nicht gran werden lassen. Die Gedanken-
Zerrissenheit des Publikums steht in umgekehrtem Verhältniß mit dem Weltschmerz
seiner Poeten; man nehme es nicht für eine Weltopserung, wenn in zierlichen


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Gin Ausflug nach Dresden»
Von D. E. Gshring.
^1-

Wenn man Dresden das Florenz an der Elbe nennt, so ist das ebenso wenig
genau zu nehmen, als wenn man Athen an den sandigen Ufern der Spree sucht.
Wenn auch die Anreicherung von Kunstschätzen aller Art Dresden zum Wall-
fahrtsort aller teutonischen Kunstjünger erhebt, die Dresdner sind immer keine
Florentiner, und der sächsische Himmel will sich nicht in hesperischen Tinten färben,
ebenso wenig als Sokrates in der Metropole der deutschen Intelligenz eine Stätte
finden würde für sein Streben, die preußische Jugend über Gott und seine eigene
Pflicht aufzuklären; in dem modernen Criminalcodex ist die Strafe des Schierlings¬
bechers nicht aufgezeichnet, dafür würde mau aber keinen Anstand nehmen, den
unbequemen Frager von der einen hellenischen Nation zur audern aufzuweisen,
und auch die Sophisten würden nicht ermangeln, ihm das Untergeordnete seines
Standpunktes begreiflich zu macheu, der noch ans Gesinnung und ähnlichen Zopf-
begriffen basirt sei.

Mau muß unwillkürlich an die Stadt der dentschen Philosophie denken, die
nächste und verwandteste Residenz der deutschen Nation, wenn man in Dresden
verweilt; nicht als ob ein besonders philosophischer Hauch von der Elbe aus über
die Brühlsche Terrasse hinwehte, oder als ob auf den Stirnen der lustwandelnder
Dresdner der Gedanke seine bedeutenden, gramvollen Furchen eingegraben hätte;
im Gegentheil, wer dir auch unter den Orangen des Zwingers oder in den Wein¬
bergen begegnen mag, dn konnst versichert sein, daß es wenigstens nicht Prinz
Hamlet in Jncognito ist; denn Wittenberg, das Zion des theologischen Titanis-
mns, ist längst nicht mehr in den Händen des sächsischen Fürstenhauses; die Preu¬
ßen haben ein Prediger-Seminar an der Stätte errichtet, wo einst der flammeu-
äugige Augustiner seine Blitze gegen den Vatican schleuderte; Hamlet würde heut
zu Tage nicht mehr in Wittenberg studiren, und Dresden's Söhne werdeu über die
Frage: sein oder Nichtsein? ihre Haare nicht gran werden lassen. Die Gedanken-
Zerrissenheit des Publikums steht in umgekehrtem Verhältniß mit dem Weltschmerz
seiner Poeten; man nehme es nicht für eine Weltopserung, wenn in zierlichen


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[0521] Gin Ausflug nach Dresden» Von D. E. Gshring. ^1- Wenn man Dresden das Florenz an der Elbe nennt, so ist das ebenso wenig genau zu nehmen, als wenn man Athen an den sandigen Ufern der Spree sucht. Wenn auch die Anreicherung von Kunstschätzen aller Art Dresden zum Wall- fahrtsort aller teutonischen Kunstjünger erhebt, die Dresdner sind immer keine Florentiner, und der sächsische Himmel will sich nicht in hesperischen Tinten färben, ebenso wenig als Sokrates in der Metropole der deutschen Intelligenz eine Stätte finden würde für sein Streben, die preußische Jugend über Gott und seine eigene Pflicht aufzuklären; in dem modernen Criminalcodex ist die Strafe des Schierlings¬ bechers nicht aufgezeichnet, dafür würde mau aber keinen Anstand nehmen, den unbequemen Frager von der einen hellenischen Nation zur audern aufzuweisen, und auch die Sophisten würden nicht ermangeln, ihm das Untergeordnete seines Standpunktes begreiflich zu macheu, der noch ans Gesinnung und ähnlichen Zopf- begriffen basirt sei. Mau muß unwillkürlich an die Stadt der dentschen Philosophie denken, die nächste und verwandteste Residenz der deutschen Nation, wenn man in Dresden verweilt; nicht als ob ein besonders philosophischer Hauch von der Elbe aus über die Brühlsche Terrasse hinwehte, oder als ob auf den Stirnen der lustwandelnder Dresdner der Gedanke seine bedeutenden, gramvollen Furchen eingegraben hätte; im Gegentheil, wer dir auch unter den Orangen des Zwingers oder in den Wein¬ bergen begegnen mag, dn konnst versichert sein, daß es wenigstens nicht Prinz Hamlet in Jncognito ist; denn Wittenberg, das Zion des theologischen Titanis- mns, ist längst nicht mehr in den Händen des sächsischen Fürstenhauses; die Preu¬ ßen haben ein Prediger-Seminar an der Stätte errichtet, wo einst der flammeu- äugige Augustiner seine Blitze gegen den Vatican schleuderte; Hamlet würde heut zu Tage nicht mehr in Wittenberg studiren, und Dresden's Söhne werdeu über die Frage: sein oder Nichtsein? ihre Haare nicht gran werden lassen. Die Gedanken- Zerrissenheit des Publikums steht in umgekehrtem Verhältniß mit dem Weltschmerz seiner Poeten; man nehme es nicht für eine Weltopserung, wenn in zierlichen 58*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/521>, abgerufen am 08.05.2024.