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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Äus London.

Die Chartist-" und da" Parlament. -- O'Connor und O'Brio".--Die englisch-n Frauen im Unterhaus. --
Ritter Bunsen und der Prinz von Preußen. -- Die deutsche" Coniniunisten und Republikaner. -- Schad-
pcr, Freiligrath, H-inzcn. -- Metternich und literarische Neuigkeiten.

Eine helle Morgensonne begrüßte den Tag, an welchem 500,000 Chartisten sich
versprachen, in der Metropolis Englands zusammenzutreffen, ein Tag. der für das
Reich, ja für die bewohnte Welt von unberechenbaren Folgen hatte sein können! Aber
es war ein Apriltag; und im Momente, wo der große Zielpunkt lang gehegter und
sorgsam vorbereiteter Erwartung erreicht werden sollte, trat O'Connor, bleich, zitternd,
mit einem großen -- Senfpflaster auf der Brust, unter die Chartisten und sprach:
"Meine Kinder, ich bitte Euch, keine Gewaltthat! Ich habe mein Testament gestern
gemacht; das sei Euch ein Beweis, daß ich mein Leben für Eure gute Sache einzusetzen
bereit bin. Laßt uns aber doch lieber mit Güte erreichen, was wir mit Gewalt schwer¬
lich erzwingen würden -- (denn ganz London ist unter Waffen und ich habe wenigstens
hundert anonyme Briefe erhalten, die mich warnten, auf meiner Hut zu sein, weil der
erste Schuß aus mich fallen würde;) -- laßt uns ruhig unsern Weg nach "Kennington-
Grceu" fortsetzen, uns dort mit unsern Gefährten zu vereinigen, und dann wollen wir
unsere Bittschrift übergeben, ohne daß auch nur ein Hund auf seinem Pfade gestört
werde. Versprecht mir das, geliebte Kinder! Bei Allem, was Euch heilig ist, flehe
ich darum! Schießt nicht, schlagt nicht, stehlt nicht, -- ja brecht selbst in keinen Bäcker¬
laden ein; denn die aristokratischen Kinder des Landes nennen Euch "uicknoekets,"
(Taschendiebe) und Unruhestifter; darum beweist ihnen, daß Ihr beides nicht seid, son¬
dern ruhige, betriebsame Proletarier, die nichts als Recht und Gerechtigkeit wünschen
gegen Alle und sür Alle." -- Dies war ungefähr der langen Rede kurzer Sinn, und
obwohl die guten Leute sich ein wenig wunderten, daß sie mit einem Male so friedlich
sein sollten, da ihnen vorher immer eingeschärft worden, für ihre gute Sache Alles zu
wagen, wenn es gälte, sogar das Leben, so ließen sie sich doch auch gerne den Weg
der Güte gefallen, wenn ihres theuren Vaters, Herrn O'Connor's Leben, dadurch
gerettet werden konnte. Ein ungeheurer Karren fuhr nun vor, in welchem 50 Per¬
sonen bequem Platz finden konnten. Sechs Pferde zogen die Maschine. In diesem
"mitAmtieent van" -- wie die Journale es nennen -- nahm Herr O'Connor Platz,
seine Gefährten -- die ersten des Reiches -- neben ihm, der Rest ging zu Fuß. --
Ein zweiter Karren folgte mit der "Nonster-Petition;" die man ihrem Aussehen
nach sür fünf ungeheure Leinwandballen nehmen konnte. Sie war von 2,000,000 Per¬
sonen überzeichnet. Die Chartistsarben, roth, weiß und grün zierten den "in.^-
Meere van," und auf der Fahne fanden sich unter eben diesen Farben allerlei sinnige
Motto's, wie z.B. "Die Stimme der Weisheit wird den Kanonen Schweigen gebieten."-
volo, no muskst." "Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes" ze. --


Äus London.

Die Chartist-» und da« Parlament. — O'Connor und O'Brio».—Die englisch-n Frauen im Unterhaus. —
Ritter Bunsen und der Prinz von Preußen. — Die deutsche» Coniniunisten und Republikaner. — Schad-
pcr, Freiligrath, H-inzcn. — Metternich und literarische Neuigkeiten.

Eine helle Morgensonne begrüßte den Tag, an welchem 500,000 Chartisten sich
versprachen, in der Metropolis Englands zusammenzutreffen, ein Tag. der für das
Reich, ja für die bewohnte Welt von unberechenbaren Folgen hatte sein können! Aber
es war ein Apriltag; und im Momente, wo der große Zielpunkt lang gehegter und
sorgsam vorbereiteter Erwartung erreicht werden sollte, trat O'Connor, bleich, zitternd,
mit einem großen — Senfpflaster auf der Brust, unter die Chartisten und sprach:
„Meine Kinder, ich bitte Euch, keine Gewaltthat! Ich habe mein Testament gestern
gemacht; das sei Euch ein Beweis, daß ich mein Leben für Eure gute Sache einzusetzen
bereit bin. Laßt uns aber doch lieber mit Güte erreichen, was wir mit Gewalt schwer¬
lich erzwingen würden — (denn ganz London ist unter Waffen und ich habe wenigstens
hundert anonyme Briefe erhalten, die mich warnten, auf meiner Hut zu sein, weil der
erste Schuß aus mich fallen würde;) — laßt uns ruhig unsern Weg nach „Kennington-
Grceu" fortsetzen, uns dort mit unsern Gefährten zu vereinigen, und dann wollen wir
unsere Bittschrift übergeben, ohne daß auch nur ein Hund auf seinem Pfade gestört
werde. Versprecht mir das, geliebte Kinder! Bei Allem, was Euch heilig ist, flehe
ich darum! Schießt nicht, schlagt nicht, stehlt nicht, — ja brecht selbst in keinen Bäcker¬
laden ein; denn die aristokratischen Kinder des Landes nennen Euch „uicknoekets,"
(Taschendiebe) und Unruhestifter; darum beweist ihnen, daß Ihr beides nicht seid, son¬
dern ruhige, betriebsame Proletarier, die nichts als Recht und Gerechtigkeit wünschen
gegen Alle und sür Alle." — Dies war ungefähr der langen Rede kurzer Sinn, und
obwohl die guten Leute sich ein wenig wunderten, daß sie mit einem Male so friedlich
sein sollten, da ihnen vorher immer eingeschärft worden, für ihre gute Sache Alles zu
wagen, wenn es gälte, sogar das Leben, so ließen sie sich doch auch gerne den Weg
der Güte gefallen, wenn ihres theuren Vaters, Herrn O'Connor's Leben, dadurch
gerettet werden konnte. Ein ungeheurer Karren fuhr nun vor, in welchem 50 Per¬
sonen bequem Platz finden konnten. Sechs Pferde zogen die Maschine. In diesem
„mitAmtieent van" — wie die Journale es nennen — nahm Herr O'Connor Platz,
seine Gefährten — die ersten des Reiches — neben ihm, der Rest ging zu Fuß. —
Ein zweiter Karren folgte mit der „Nonster-Petition;" die man ihrem Aussehen
nach sür fünf ungeheure Leinwandballen nehmen konnte. Sie war von 2,000,000 Per¬
sonen überzeichnet. Die Chartistsarben, roth, weiß und grün zierten den „in.^-
Meere van," und auf der Fahne fanden sich unter eben diesen Farben allerlei sinnige
Motto's, wie z.B. „Die Stimme der Weisheit wird den Kanonen Schweigen gebieten."-
volo, no muskst." „Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes" ze. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/110>, abgerufen am 06.05.2024.