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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Zur deutschen Verfassungsfrage.



Dieselbe Nummer der Frankfurter Oberpostamtszeituug brachte uns die octroyirte
Verfassung des neuen konstitutionellen östreichischen Kaiserstaates und den Entwurf,
welchen die Vertrauensmänner zur Vorlage an den constituirenden deutschen Reichs¬
tag ausgearbeitet hatte". In den nächsten Wochen haben wir einen ähnlichen Ent¬
wurf von Seiten der preußischen Regierung für die Berliner Stände zu erwarten.

Es ist keine Frage, daß die ständische Centralisation Oestreichs -- die sogar
Galizien in sich begreifen will -- eben so wie die Preußische der Errichtung eines
souveränen deutschen Parlaments entgegentritt. Mächtige Versammlungen, wie die
zu Wien und Berlin, werden sich nicht dazu hergeben, locale Fragen zu verhan¬
deln ; sie werden nothgedrungen mit dem Frankfurter Parlament in Conflict kommen,
wenn man nicht den Muth hat, sie zu integrirenden Theilen des neuen ständischen
Körpers zu erheben.

Aus diesem Bewußtsein ging die unvernünftige Forderung des Fünfziger-Aus¬
schusses an die preußische Regierung hervor, sie solle ihre constituirenden Stände
vorläufig nicht einberufen, d. h. sie solle die Anarchie prolongiren. So lauge man
die Volkssouveränität des gesäumten Deutschlands der Volkssouveränität in den
einzelnen Staaten als etwas Anderes gegenüberstellt, werden solche Absurditäten
haufenweise zum Vorschein kommen.

Die Aufgabe der gegenwärtigen -- gesetzlich-organischen, nicht mehr revolu¬
tionären Bewegungen -- geht, nachdem man sich gegen die Republik entschiede"
hat, offenbar dahin, die Souveränität der deutschen Staaten nur soweit zu be¬
schränken, als es die. öffentlichen Interessen erheischen. Wer es anders will, wer
Zu Gunsten einer Republik oder eiues Kaiserstaates diese Souveränität ausheben
will, der sage es offen heraus! Es ist eine neue Revolution, aber wir würden
uns vor einer neuen Revolution nicht scheuen, wenn wir nur Kraft und Vernunft
"l ihr fänden. Nur die Halbheit führt zu nichts.

Halbheit ist aber Alles, was bis jetzt für die Centralisation Deutschlands ge¬
schehen ist. So lange die deutschen Stände deu Stände" der einzelnen Staaten
entgegengesetzt werden -- was bei einer doppelten Wahl unvermeidlich ist so
lange heben sie sich gegenseitig in ihrer Wirksamkeit aus. Wie ist dem abzuhelfen?
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Zur deutschen Verfassungsfrage.



Dieselbe Nummer der Frankfurter Oberpostamtszeituug brachte uns die octroyirte
Verfassung des neuen konstitutionellen östreichischen Kaiserstaates und den Entwurf,
welchen die Vertrauensmänner zur Vorlage an den constituirenden deutschen Reichs¬
tag ausgearbeitet hatte». In den nächsten Wochen haben wir einen ähnlichen Ent¬
wurf von Seiten der preußischen Regierung für die Berliner Stände zu erwarten.

Es ist keine Frage, daß die ständische Centralisation Oestreichs — die sogar
Galizien in sich begreifen will — eben so wie die Preußische der Errichtung eines
souveränen deutschen Parlaments entgegentritt. Mächtige Versammlungen, wie die
zu Wien und Berlin, werden sich nicht dazu hergeben, locale Fragen zu verhan¬
deln ; sie werden nothgedrungen mit dem Frankfurter Parlament in Conflict kommen,
wenn man nicht den Muth hat, sie zu integrirenden Theilen des neuen ständischen
Körpers zu erheben.

Aus diesem Bewußtsein ging die unvernünftige Forderung des Fünfziger-Aus¬
schusses an die preußische Regierung hervor, sie solle ihre constituirenden Stände
vorläufig nicht einberufen, d. h. sie solle die Anarchie prolongiren. So lauge man
die Volkssouveränität des gesäumten Deutschlands der Volkssouveränität in den
einzelnen Staaten als etwas Anderes gegenüberstellt, werden solche Absurditäten
haufenweise zum Vorschein kommen.

Die Aufgabe der gegenwärtigen — gesetzlich-organischen, nicht mehr revolu¬
tionären Bewegungen — geht, nachdem man sich gegen die Republik entschiede»
hat, offenbar dahin, die Souveränität der deutschen Staaten nur soweit zu be¬
schränken, als es die. öffentlichen Interessen erheischen. Wer es anders will, wer
Zu Gunsten einer Republik oder eiues Kaiserstaates diese Souveränität ausheben
will, der sage es offen heraus! Es ist eine neue Revolution, aber wir würden
uns vor einer neuen Revolution nicht scheuen, wenn wir nur Kraft und Vernunft
"l ihr fänden. Nur die Halbheit führt zu nichts.

Halbheit ist aber Alles, was bis jetzt für die Centralisation Deutschlands ge¬
schehen ist. So lange die deutschen Stände deu Stände» der einzelnen Staaten
entgegengesetzt werden — was bei einer doppelten Wahl unvermeidlich ist so
lange heben sie sich gegenseitig in ihrer Wirksamkeit aus. Wie ist dem abzuhelfen?
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[0245] Zur deutschen Verfassungsfrage. Dieselbe Nummer der Frankfurter Oberpostamtszeituug brachte uns die octroyirte Verfassung des neuen konstitutionellen östreichischen Kaiserstaates und den Entwurf, welchen die Vertrauensmänner zur Vorlage an den constituirenden deutschen Reichs¬ tag ausgearbeitet hatte». In den nächsten Wochen haben wir einen ähnlichen Ent¬ wurf von Seiten der preußischen Regierung für die Berliner Stände zu erwarten. Es ist keine Frage, daß die ständische Centralisation Oestreichs — die sogar Galizien in sich begreifen will — eben so wie die Preußische der Errichtung eines souveränen deutschen Parlaments entgegentritt. Mächtige Versammlungen, wie die zu Wien und Berlin, werden sich nicht dazu hergeben, locale Fragen zu verhan¬ deln ; sie werden nothgedrungen mit dem Frankfurter Parlament in Conflict kommen, wenn man nicht den Muth hat, sie zu integrirenden Theilen des neuen ständischen Körpers zu erheben. Aus diesem Bewußtsein ging die unvernünftige Forderung des Fünfziger-Aus¬ schusses an die preußische Regierung hervor, sie solle ihre constituirenden Stände vorläufig nicht einberufen, d. h. sie solle die Anarchie prolongiren. So lauge man die Volkssouveränität des gesäumten Deutschlands der Volkssouveränität in den einzelnen Staaten als etwas Anderes gegenüberstellt, werden solche Absurditäten haufenweise zum Vorschein kommen. Die Aufgabe der gegenwärtigen — gesetzlich-organischen, nicht mehr revolu¬ tionären Bewegungen — geht, nachdem man sich gegen die Republik entschiede» hat, offenbar dahin, die Souveränität der deutschen Staaten nur soweit zu be¬ schränken, als es die. öffentlichen Interessen erheischen. Wer es anders will, wer Zu Gunsten einer Republik oder eiues Kaiserstaates diese Souveränität ausheben will, der sage es offen heraus! Es ist eine neue Revolution, aber wir würden uns vor einer neuen Revolution nicht scheuen, wenn wir nur Kraft und Vernunft "l ihr fänden. Nur die Halbheit führt zu nichts. Halbheit ist aber Alles, was bis jetzt für die Centralisation Deutschlands ge¬ schehen ist. So lange die deutschen Stände deu Stände» der einzelnen Staaten entgegengesetzt werden — was bei einer doppelten Wahl unvermeidlich ist so lange heben sie sich gegenseitig in ihrer Wirksamkeit aus. Wie ist dem abzuhelfen? * 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/245>, abgerufen am 06.05.2024.