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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Das k. k. slavische Bewußtsein in Oestreich.



Wenn jetzt ein Oestreicher aus 'der Ferne auf das Land seiner Geburt und
Jugend zurückblickt, muß ihm zuweilen weh und bange werden um die Zukunft
der Völker in seiner Heimath. Wie lange hat man diese Erbvölker des Hauses
Habsburg glücklich gepriesen, während sie in aller Stille und Gemüthlichkeit ge¬
preßt, getreten und erniedrigt wurden. Wie lange hat man, den pfäffischen,
Apologeten der "väterlichen Regierung" nachsprechend, jedes offene Wort über
das namenlose moralische Elend in Oestreich Uebertreibung oder Verleumdung
gescholten! Nun, da die Stunde der Nemesis schlägt, nun wird man sehen,
welche Verderbnis; unter der Mvderdecke des Konservatismus dort eigentlich
conservirt wurde. Die Nemesis ist keine christliche Göttin, die zwischen Schwachen
und Starken barmherzig richtet und schlichtet; sie ist ein blindes Naturgesetz und
pflegt den Stecken des Treibers zu zerbrechen -- auf dem Rücken des Getriebener.
Sie ruft wehe über den Unterdrücker und eben so wehe über den Unmännlichen,
der sich unterdrücken ließ. Der bittere Nachgeschmack der Sklaverei verliert sich
nicht so schnell von dem Gaumen des Emancipirten. Die Völker Oestreichs --
zum Ersatz oder zur Strafe für ihre lauge Mißhandlung durch ,den gottlosesten
Jesuitismus in hunderterlei Gestalten -- die Völker Oestreichs stehen jetzt auf
dem Punkte, in einen Strudel der furchtbarsten Zerrüttung, vielleicht des grim¬
migsten Racen- und Bürgerkrieges geschlendert zu werden, -- durch die blinde
Herscherangst jener väterlichen Regierung, an der sie so treu und ehrlich gehangen
haben. Das ganze Ländergebiet zwischen der save und der Weichselquelle droht
in einen großen Brand verwickelt zu werden durch jenes selbe Cabinet, das in
greisenhafter Ohnmacht nur nach dein Schatten der alten Souveränetät hascht;
das bei dem unerhörtesten Umschwunge von ganz Europa zuerst an den legitimen
Glanz der Dynastie und dann erst oder gar nicht an das Heil der Völker dachte;
das Merternich's System in der Theorie aufgab und in der Praxis von den alten
metternichschen Handgriffen nicht lassen kann, -- da in Wirklichkeit der ganze Schatz
seiner politischen Weisheit und Erfahrung eben nur in solchen Reminiscenzen besteht.

Es wäre ungerecht, das Cabinet allein anzuklagen; denn leider gibt es noch
liberale Oestreicher, die eben so wenig die neue Zeit begreifen, wie die alte;
die blindes Vertrauen zur bestehenden Regierung und warme Unterstützung der¬
selben predigen, wo noch keine Regierung vorhanden ist. Denn wo ist der Ver¬
mittler zwischen den Instinkten der Haus- und Familienpolitik mit der Nothwen¬
digkeit des drängenden Augenblicks und den Anforderungen der Zukunft? Kennt


Das k. k. slavische Bewußtsein in Oestreich.



Wenn jetzt ein Oestreicher aus 'der Ferne auf das Land seiner Geburt und
Jugend zurückblickt, muß ihm zuweilen weh und bange werden um die Zukunft
der Völker in seiner Heimath. Wie lange hat man diese Erbvölker des Hauses
Habsburg glücklich gepriesen, während sie in aller Stille und Gemüthlichkeit ge¬
preßt, getreten und erniedrigt wurden. Wie lange hat man, den pfäffischen,
Apologeten der „väterlichen Regierung" nachsprechend, jedes offene Wort über
das namenlose moralische Elend in Oestreich Uebertreibung oder Verleumdung
gescholten! Nun, da die Stunde der Nemesis schlägt, nun wird man sehen,
welche Verderbnis; unter der Mvderdecke des Konservatismus dort eigentlich
conservirt wurde. Die Nemesis ist keine christliche Göttin, die zwischen Schwachen
und Starken barmherzig richtet und schlichtet; sie ist ein blindes Naturgesetz und
pflegt den Stecken des Treibers zu zerbrechen — auf dem Rücken des Getriebener.
Sie ruft wehe über den Unterdrücker und eben so wehe über den Unmännlichen,
der sich unterdrücken ließ. Der bittere Nachgeschmack der Sklaverei verliert sich
nicht so schnell von dem Gaumen des Emancipirten. Die Völker Oestreichs —
zum Ersatz oder zur Strafe für ihre lauge Mißhandlung durch ,den gottlosesten
Jesuitismus in hunderterlei Gestalten — die Völker Oestreichs stehen jetzt auf
dem Punkte, in einen Strudel der furchtbarsten Zerrüttung, vielleicht des grim¬
migsten Racen- und Bürgerkrieges geschlendert zu werden, — durch die blinde
Herscherangst jener väterlichen Regierung, an der sie so treu und ehrlich gehangen
haben. Das ganze Ländergebiet zwischen der save und der Weichselquelle droht
in einen großen Brand verwickelt zu werden durch jenes selbe Cabinet, das in
greisenhafter Ohnmacht nur nach dein Schatten der alten Souveränetät hascht;
das bei dem unerhörtesten Umschwunge von ganz Europa zuerst an den legitimen
Glanz der Dynastie und dann erst oder gar nicht an das Heil der Völker dachte;
das Merternich's System in der Theorie aufgab und in der Praxis von den alten
metternichschen Handgriffen nicht lassen kann, — da in Wirklichkeit der ganze Schatz
seiner politischen Weisheit und Erfahrung eben nur in solchen Reminiscenzen besteht.

Es wäre ungerecht, das Cabinet allein anzuklagen; denn leider gibt es noch
liberale Oestreicher, die eben so wenig die neue Zeit begreifen, wie die alte;
die blindes Vertrauen zur bestehenden Regierung und warme Unterstützung der¬
selben predigen, wo noch keine Regierung vorhanden ist. Denn wo ist der Ver¬
mittler zwischen den Instinkten der Haus- und Familienpolitik mit der Nothwen¬
digkeit des drängenden Augenblicks und den Anforderungen der Zukunft? Kennt


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[0277] Das k. k. slavische Bewußtsein in Oestreich. Wenn jetzt ein Oestreicher aus 'der Ferne auf das Land seiner Geburt und Jugend zurückblickt, muß ihm zuweilen weh und bange werden um die Zukunft der Völker in seiner Heimath. Wie lange hat man diese Erbvölker des Hauses Habsburg glücklich gepriesen, während sie in aller Stille und Gemüthlichkeit ge¬ preßt, getreten und erniedrigt wurden. Wie lange hat man, den pfäffischen, Apologeten der „väterlichen Regierung" nachsprechend, jedes offene Wort über das namenlose moralische Elend in Oestreich Uebertreibung oder Verleumdung gescholten! Nun, da die Stunde der Nemesis schlägt, nun wird man sehen, welche Verderbnis; unter der Mvderdecke des Konservatismus dort eigentlich conservirt wurde. Die Nemesis ist keine christliche Göttin, die zwischen Schwachen und Starken barmherzig richtet und schlichtet; sie ist ein blindes Naturgesetz und pflegt den Stecken des Treibers zu zerbrechen — auf dem Rücken des Getriebener. Sie ruft wehe über den Unterdrücker und eben so wehe über den Unmännlichen, der sich unterdrücken ließ. Der bittere Nachgeschmack der Sklaverei verliert sich nicht so schnell von dem Gaumen des Emancipirten. Die Völker Oestreichs — zum Ersatz oder zur Strafe für ihre lauge Mißhandlung durch ,den gottlosesten Jesuitismus in hunderterlei Gestalten — die Völker Oestreichs stehen jetzt auf dem Punkte, in einen Strudel der furchtbarsten Zerrüttung, vielleicht des grim¬ migsten Racen- und Bürgerkrieges geschlendert zu werden, — durch die blinde Herscherangst jener väterlichen Regierung, an der sie so treu und ehrlich gehangen haben. Das ganze Ländergebiet zwischen der save und der Weichselquelle droht in einen großen Brand verwickelt zu werden durch jenes selbe Cabinet, das in greisenhafter Ohnmacht nur nach dein Schatten der alten Souveränetät hascht; das bei dem unerhörtesten Umschwunge von ganz Europa zuerst an den legitimen Glanz der Dynastie und dann erst oder gar nicht an das Heil der Völker dachte; das Merternich's System in der Theorie aufgab und in der Praxis von den alten metternichschen Handgriffen nicht lassen kann, — da in Wirklichkeit der ganze Schatz seiner politischen Weisheit und Erfahrung eben nur in solchen Reminiscenzen besteht. Es wäre ungerecht, das Cabinet allein anzuklagen; denn leider gibt es noch liberale Oestreicher, die eben so wenig die neue Zeit begreifen, wie die alte; die blindes Vertrauen zur bestehenden Regierung und warme Unterstützung der¬ selben predigen, wo noch keine Regierung vorhanden ist. Denn wo ist der Ver¬ mittler zwischen den Instinkten der Haus- und Familienpolitik mit der Nothwen¬ digkeit des drängenden Augenblicks und den Anforderungen der Zukunft? Kennt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/277>, abgerufen am 06.05.2024.