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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Tirol und die östreichische Gesammtmonarchie



Der große Staatsbäu, die östreichische Monarchie wie er hieß, an dem un¬
serem Lande der bescheidene Nang eines Wehrsteines zugewiesen war, ist erschüt¬
tert bis zum Sturze. Stück um Stück löset sich, bald liegen die Trümmer ein¬
zeln neben einander und der Grund, auf dem sie ruhen sollten, wird Niemand
finden. Es hat sich herausgestellt, daß man ohne einen solchen gebaut hatte.
Eine Dynastie und ein System, an andern Orten die Spitze des Gebäudes, nahm
man zum Fundamente; Völker der verschiedensten Abstammung, Länder der ent¬
gegengesetztesten Stellung klammerte man aneinander dnrch eine centralisircnde
Polizei und Monopole und überkleistcrte die Spalten mit der Tünche einer östrei¬
chischen Staatsgeschichte. Das Eisen der Klammern war rostig und der Anwurf
ohne chemisches Gesetz gemischt. In wie weit die einzelnen Bestandtheile der Mo¬
narchie auf die Idee eines organischen Zusammenhanges eingegangen sind, zeigen
uns die Begebnisse der letzten Monate. Italien stränbt sich mit jeder Faser gegen
"Oestreich," ...... Ungarn regiert sich selbst in Pesth, der Czeche will seinen König
nur als Slaven gelten, lassen, Jllyrien macht für sich Fronte, der Galizier zwei¬
felt am alten I^mis I'minimo. .....- Nur in Wien begehren noch einige Tausende
nach dem Kaiserstaat, damit die "Kaiserstadt" im alten Liede nicht gestrichen werde;
das Backhnhn des Praters muß gerettet werden statt des Doppeladlers. Wie
viele der obgenannten Völkerschaften geneigt sind, die Nationalitäten der Dynastie
willen aufzugeben, ist wohl nimmer die Frage. -- Sie dürfte sich jetzt so stellen:
Wie viele wollen noch die Dynastie trotz der erkannten, festcrfaßten Nationalität?
und mit der Hand am Herzen sind es etwa noch allein die Deutschen. Czechen
und Magyaren haben neben der octroyirten Geschichte Oestreichs eine ältere Edi¬
tion, ans der sie Haß und Rache lesen gegen das Haus -- das sich Oestreich
nennt. Dein System getreu hat man zwar auch in der Herrscherfamilie die Misch¬
lingsnatur des" Staates darzustellen versucht, man berief sich auf die Deutschheit
Habsburgs so gut als auf die toskanisch - welsche Geburt der heutigen Regenten-
linic, man zwängte die Kaisersprossen im Czismen und lehrte sie böhmisch, und
behält sich dabei noch die Franzosenschast der Lothringer bevor, nicht zu gedenke"
des spanischen Blutes der Mütter. Hiedurch gab man jedem Volke wohl seine


Tirol und die östreichische Gesammtmonarchie



Der große Staatsbäu, die östreichische Monarchie wie er hieß, an dem un¬
serem Lande der bescheidene Nang eines Wehrsteines zugewiesen war, ist erschüt¬
tert bis zum Sturze. Stück um Stück löset sich, bald liegen die Trümmer ein¬
zeln neben einander und der Grund, auf dem sie ruhen sollten, wird Niemand
finden. Es hat sich herausgestellt, daß man ohne einen solchen gebaut hatte.
Eine Dynastie und ein System, an andern Orten die Spitze des Gebäudes, nahm
man zum Fundamente; Völker der verschiedensten Abstammung, Länder der ent¬
gegengesetztesten Stellung klammerte man aneinander dnrch eine centralisircnde
Polizei und Monopole und überkleistcrte die Spalten mit der Tünche einer östrei¬
chischen Staatsgeschichte. Das Eisen der Klammern war rostig und der Anwurf
ohne chemisches Gesetz gemischt. In wie weit die einzelnen Bestandtheile der Mo¬
narchie auf die Idee eines organischen Zusammenhanges eingegangen sind, zeigen
uns die Begebnisse der letzten Monate. Italien stränbt sich mit jeder Faser gegen
„Oestreich," ...... Ungarn regiert sich selbst in Pesth, der Czeche will seinen König
nur als Slaven gelten, lassen, Jllyrien macht für sich Fronte, der Galizier zwei¬
felt am alten I^mis I'minimo. .....- Nur in Wien begehren noch einige Tausende
nach dem Kaiserstaat, damit die „Kaiserstadt" im alten Liede nicht gestrichen werde;
das Backhnhn des Praters muß gerettet werden statt des Doppeladlers. Wie
viele der obgenannten Völkerschaften geneigt sind, die Nationalitäten der Dynastie
willen aufzugeben, ist wohl nimmer die Frage. — Sie dürfte sich jetzt so stellen:
Wie viele wollen noch die Dynastie trotz der erkannten, festcrfaßten Nationalität?
und mit der Hand am Herzen sind es etwa noch allein die Deutschen. Czechen
und Magyaren haben neben der octroyirten Geschichte Oestreichs eine ältere Edi¬
tion, ans der sie Haß und Rache lesen gegen das Haus — das sich Oestreich
nennt. Dein System getreu hat man zwar auch in der Herrscherfamilie die Misch¬
lingsnatur des" Staates darzustellen versucht, man berief sich auf die Deutschheit
Habsburgs so gut als auf die toskanisch - welsche Geburt der heutigen Regenten-
linic, man zwängte die Kaisersprossen im Czismen und lehrte sie böhmisch, und
behält sich dabei noch die Franzosenschast der Lothringer bevor, nicht zu gedenke»
des spanischen Blutes der Mütter. Hiedurch gab man jedem Volke wohl seine


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[0304] Tirol und die östreichische Gesammtmonarchie Der große Staatsbäu, die östreichische Monarchie wie er hieß, an dem un¬ serem Lande der bescheidene Nang eines Wehrsteines zugewiesen war, ist erschüt¬ tert bis zum Sturze. Stück um Stück löset sich, bald liegen die Trümmer ein¬ zeln neben einander und der Grund, auf dem sie ruhen sollten, wird Niemand finden. Es hat sich herausgestellt, daß man ohne einen solchen gebaut hatte. Eine Dynastie und ein System, an andern Orten die Spitze des Gebäudes, nahm man zum Fundamente; Völker der verschiedensten Abstammung, Länder der ent¬ gegengesetztesten Stellung klammerte man aneinander dnrch eine centralisircnde Polizei und Monopole und überkleistcrte die Spalten mit der Tünche einer östrei¬ chischen Staatsgeschichte. Das Eisen der Klammern war rostig und der Anwurf ohne chemisches Gesetz gemischt. In wie weit die einzelnen Bestandtheile der Mo¬ narchie auf die Idee eines organischen Zusammenhanges eingegangen sind, zeigen uns die Begebnisse der letzten Monate. Italien stränbt sich mit jeder Faser gegen „Oestreich," ...... Ungarn regiert sich selbst in Pesth, der Czeche will seinen König nur als Slaven gelten, lassen, Jllyrien macht für sich Fronte, der Galizier zwei¬ felt am alten I^mis I'minimo. .....- Nur in Wien begehren noch einige Tausende nach dem Kaiserstaat, damit die „Kaiserstadt" im alten Liede nicht gestrichen werde; das Backhnhn des Praters muß gerettet werden statt des Doppeladlers. Wie viele der obgenannten Völkerschaften geneigt sind, die Nationalitäten der Dynastie willen aufzugeben, ist wohl nimmer die Frage. — Sie dürfte sich jetzt so stellen: Wie viele wollen noch die Dynastie trotz der erkannten, festcrfaßten Nationalität? und mit der Hand am Herzen sind es etwa noch allein die Deutschen. Czechen und Magyaren haben neben der octroyirten Geschichte Oestreichs eine ältere Edi¬ tion, ans der sie Haß und Rache lesen gegen das Haus — das sich Oestreich nennt. Dein System getreu hat man zwar auch in der Herrscherfamilie die Misch¬ lingsnatur des" Staates darzustellen versucht, man berief sich auf die Deutschheit Habsburgs so gut als auf die toskanisch - welsche Geburt der heutigen Regenten- linic, man zwängte die Kaisersprossen im Czismen und lehrte sie böhmisch, und behält sich dabei noch die Franzosenschast der Lothringer bevor, nicht zu gedenke» des spanischen Blutes der Mütter. Hiedurch gab man jedem Volke wohl seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/304>, abgerufen am 06.05.2024.