Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
T a g e b u eh.



i.
Nassed School und Äsule.

Kaum wagt man noch, Buffon's berühmtes Wort: I^v se^Je e'est j'ltomine zu
erwähnen; man fürchtet der Wiederholung einer zu oft wiederholten Wahrheit beschul¬
digt zu werden. Auch führe ich dasselbe hier nur an, um ihm eine Ausdehnung vom
Einzelwesen auf die Gesammtheit zu geben, und um es in: I^K lanKnv c'oft la n"-
lion zu verwandeln.

ES ließen sich zum Belege dieses Ausspruchs: die Sprache ist die Nation, viele
Thatsachen anführen, z. B. das polnische "Ich falle Ihnen zu Füßen," wenn man sich
bedankt; das russische "Verzeihen Sie," wenn man Abschied nimmt; das deutsche
"Sie," mit dem man sich den einzeln Angeredeten in eine Mehrheit von Persönlich¬
keiten zerspaltet; jedoch Alles das führt uns ab vom Zweck, und wir richten daher
zur Bewahrheitung unsres Ausspruchs unsre Aufmerksamkeit auf zwei ausländische Wör¬
ter: ein englisches "rsMKü sctwol" und ein französisches "-is^Je."

Die wörtliche Uebersetzung würde uns schwerlich die Bedeutung ahnen lassen, welche
beide Wörter haben. ^s^I" bedeutet Zufluchtsort, Freistätte; es ist ein Wort von
traurigem Klänge, ein Wort, welches die Erinnerung an Drangsale und trübe Stun¬
den erweckt, ein Wort aus dem Wörterbuche des Leidens, dennoch ist es ein edles,
würdiges Wort. -- Aber dieses andre Wort: rii^o6 sctioo!, ein Erzeugniß und
Spiegel des jetzigen Englands, trägt das Gepräge des Entsetzens, der peinigendsten
Noth, des höchsten Jammers. Man hat es gewagt, mit diesem beleidigenden Miß.
klänge ein öffentliches Institut zu bezeichnen, mit diesem Klänge, den die deutsche
Sprache in ihre keuschen Töne kaum zu übersetzen vermag. Wäre es je in den Sinn
Eines Deutschen gekommen, ein öffentliches, ein Wohlthätigkeits-Institut mit diesem
brandmarkenden Namen zu stempeln: Schule für die Zerlumpten? Dies i-i^xeä solwol,
Lumpenschule und dies as^Jo, Freistätte, bedeutet aber nichts andres, als unser "Klein¬
kinder-Warteschnle."

Werfen wir zuerst unsern Blick auf England, das heißt, auf London. Noch vor
wenigen Jahren trug diese Weltstadt einen Schandfleck auf ihrem Glänze, der sie in
einen Rang mit den barbarischsten Ländern Europas herabsetzte. Im Königreiche Po¬
len würde man Gefahr laufen ausgelacht zu werden, wollte man einen Landeigen-
thümer fragen, ob er in einem seiner Dörfer eine Schule habe. Wie in Polen und
Rußland keine Armenschulen zu finden sind, so gab es auch keine in London. Es ist


T a g e b u eh.



i.
Nassed School und Äsule.

Kaum wagt man noch, Buffon's berühmtes Wort: I^v se^Je e'est j'ltomine zu
erwähnen; man fürchtet der Wiederholung einer zu oft wiederholten Wahrheit beschul¬
digt zu werden. Auch führe ich dasselbe hier nur an, um ihm eine Ausdehnung vom
Einzelwesen auf die Gesammtheit zu geben, und um es in: I^K lanKnv c'oft la n»-
lion zu verwandeln.

ES ließen sich zum Belege dieses Ausspruchs: die Sprache ist die Nation, viele
Thatsachen anführen, z. B. das polnische „Ich falle Ihnen zu Füßen," wenn man sich
bedankt; das russische „Verzeihen Sie," wenn man Abschied nimmt; das deutsche
„Sie," mit dem man sich den einzeln Angeredeten in eine Mehrheit von Persönlich¬
keiten zerspaltet; jedoch Alles das führt uns ab vom Zweck, und wir richten daher
zur Bewahrheitung unsres Ausspruchs unsre Aufmerksamkeit auf zwei ausländische Wör¬
ter: ein englisches „rsMKü sctwol" und ein französisches „-is^Je."

Die wörtliche Uebersetzung würde uns schwerlich die Bedeutung ahnen lassen, welche
beide Wörter haben. ^s^I« bedeutet Zufluchtsort, Freistätte; es ist ein Wort von
traurigem Klänge, ein Wort, welches die Erinnerung an Drangsale und trübe Stun¬
den erweckt, ein Wort aus dem Wörterbuche des Leidens, dennoch ist es ein edles,
würdiges Wort. — Aber dieses andre Wort: rii^o6 sctioo!, ein Erzeugniß und
Spiegel des jetzigen Englands, trägt das Gepräge des Entsetzens, der peinigendsten
Noth, des höchsten Jammers. Man hat es gewagt, mit diesem beleidigenden Miß.
klänge ein öffentliches Institut zu bezeichnen, mit diesem Klänge, den die deutsche
Sprache in ihre keuschen Töne kaum zu übersetzen vermag. Wäre es je in den Sinn
Eines Deutschen gekommen, ein öffentliches, ein Wohlthätigkeits-Institut mit diesem
brandmarkenden Namen zu stempeln: Schule für die Zerlumpten? Dies i-i^xeä solwol,
Lumpenschule und dies as^Jo, Freistätte, bedeutet aber nichts andres, als unser „Klein¬
kinder-Warteschnle."

Werfen wir zuerst unsern Blick auf England, das heißt, auf London. Noch vor
wenigen Jahren trug diese Weltstadt einen Schandfleck auf ihrem Glänze, der sie in
einen Rang mit den barbarischsten Ländern Europas herabsetzte. Im Königreiche Po¬
len würde man Gefahr laufen ausgelacht zu werden, wollte man einen Landeigen-
thümer fragen, ob er in einem seiner Dörfer eine Schule habe. Wie in Polen und
Rußland keine Armenschulen zu finden sind, so gab es auch keine in London. Es ist


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0361" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276567"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> T a g e b u eh.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> i.<lb/>
Nassed School und Äsule.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1255"> Kaum wagt man noch, Buffon's berühmtes Wort: I^v se^Je e'est j'ltomine zu<lb/>
erwähnen; man fürchtet der Wiederholung einer zu oft wiederholten Wahrheit beschul¬<lb/>
digt zu werden. Auch führe ich dasselbe hier nur an, um ihm eine Ausdehnung vom<lb/>
Einzelwesen auf die Gesammtheit zu geben, und um es in: I^K lanKnv c'oft la n»-<lb/>
lion zu verwandeln.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1256"> ES ließen sich zum Belege dieses Ausspruchs: die Sprache ist die Nation, viele<lb/>
Thatsachen anführen, z. B. das polnische &#x201E;Ich falle Ihnen zu Füßen," wenn man sich<lb/>
bedankt; das russische &#x201E;Verzeihen Sie," wenn man Abschied nimmt; das deutsche<lb/>
&#x201E;Sie," mit dem man sich den einzeln Angeredeten in eine Mehrheit von Persönlich¬<lb/>
keiten zerspaltet; jedoch Alles das führt uns ab vom Zweck, und wir richten daher<lb/>
zur Bewahrheitung unsres Ausspruchs unsre Aufmerksamkeit auf zwei ausländische Wör¬<lb/>
ter: ein englisches &#x201E;rsMKü sctwol" und ein französisches &#x201E;-is^Je."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1257"> Die wörtliche Uebersetzung würde uns schwerlich die Bedeutung ahnen lassen, welche<lb/>
beide Wörter haben. ^s^I« bedeutet Zufluchtsort, Freistätte; es ist ein Wort von<lb/>
traurigem Klänge, ein Wort, welches die Erinnerung an Drangsale und trübe Stun¬<lb/>
den erweckt, ein Wort aus dem Wörterbuche des Leidens, dennoch ist es ein edles,<lb/>
würdiges Wort. &#x2014; Aber dieses andre Wort: rii^o6 sctioo!, ein Erzeugniß und<lb/>
Spiegel des jetzigen Englands, trägt das Gepräge des Entsetzens, der peinigendsten<lb/>
Noth, des höchsten Jammers. Man hat es gewagt, mit diesem beleidigenden Miß.<lb/>
klänge ein öffentliches Institut zu bezeichnen, mit diesem Klänge, den die deutsche<lb/>
Sprache in ihre keuschen Töne kaum zu übersetzen vermag. Wäre es je in den Sinn<lb/>
Eines Deutschen gekommen, ein öffentliches, ein Wohlthätigkeits-Institut mit diesem<lb/>
brandmarkenden Namen zu stempeln: Schule für die Zerlumpten? Dies i-i^xeä solwol,<lb/>
Lumpenschule und dies as^Jo, Freistätte, bedeutet aber nichts andres, als unser &#x201E;Klein¬<lb/>
kinder-Warteschnle."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1258" next="#ID_1259"> Werfen wir zuerst unsern Blick auf England, das heißt, auf London. Noch vor<lb/>
wenigen Jahren trug diese Weltstadt einen Schandfleck auf ihrem Glänze, der sie in<lb/>
einen Rang mit den barbarischsten Ländern Europas herabsetzte. Im Königreiche Po¬<lb/>
len würde man Gefahr laufen ausgelacht zu werden, wollte man einen Landeigen-<lb/>
thümer fragen, ob er in einem seiner Dörfer eine Schule habe. Wie in Polen und<lb/>
Rußland keine Armenschulen zu finden sind, so gab es auch keine in London. Es ist</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0361] T a g e b u eh. i. Nassed School und Äsule. Kaum wagt man noch, Buffon's berühmtes Wort: I^v se^Je e'est j'ltomine zu erwähnen; man fürchtet der Wiederholung einer zu oft wiederholten Wahrheit beschul¬ digt zu werden. Auch führe ich dasselbe hier nur an, um ihm eine Ausdehnung vom Einzelwesen auf die Gesammtheit zu geben, und um es in: I^K lanKnv c'oft la n»- lion zu verwandeln. ES ließen sich zum Belege dieses Ausspruchs: die Sprache ist die Nation, viele Thatsachen anführen, z. B. das polnische „Ich falle Ihnen zu Füßen," wenn man sich bedankt; das russische „Verzeihen Sie," wenn man Abschied nimmt; das deutsche „Sie," mit dem man sich den einzeln Angeredeten in eine Mehrheit von Persönlich¬ keiten zerspaltet; jedoch Alles das führt uns ab vom Zweck, und wir richten daher zur Bewahrheitung unsres Ausspruchs unsre Aufmerksamkeit auf zwei ausländische Wör¬ ter: ein englisches „rsMKü sctwol" und ein französisches „-is^Je." Die wörtliche Uebersetzung würde uns schwerlich die Bedeutung ahnen lassen, welche beide Wörter haben. ^s^I« bedeutet Zufluchtsort, Freistätte; es ist ein Wort von traurigem Klänge, ein Wort, welches die Erinnerung an Drangsale und trübe Stun¬ den erweckt, ein Wort aus dem Wörterbuche des Leidens, dennoch ist es ein edles, würdiges Wort. — Aber dieses andre Wort: rii^o6 sctioo!, ein Erzeugniß und Spiegel des jetzigen Englands, trägt das Gepräge des Entsetzens, der peinigendsten Noth, des höchsten Jammers. Man hat es gewagt, mit diesem beleidigenden Miß. klänge ein öffentliches Institut zu bezeichnen, mit diesem Klänge, den die deutsche Sprache in ihre keuschen Töne kaum zu übersetzen vermag. Wäre es je in den Sinn Eines Deutschen gekommen, ein öffentliches, ein Wohlthätigkeits-Institut mit diesem brandmarkenden Namen zu stempeln: Schule für die Zerlumpten? Dies i-i^xeä solwol, Lumpenschule und dies as^Jo, Freistätte, bedeutet aber nichts andres, als unser „Klein¬ kinder-Warteschnle." Werfen wir zuerst unsern Blick auf England, das heißt, auf London. Noch vor wenigen Jahren trug diese Weltstadt einen Schandfleck auf ihrem Glänze, der sie in einen Rang mit den barbarischsten Ländern Europas herabsetzte. Im Königreiche Po¬ len würde man Gefahr laufen ausgelacht zu werden, wollte man einen Landeigen- thümer fragen, ob er in einem seiner Dörfer eine Schule habe. Wie in Polen und Rußland keine Armenschulen zu finden sind, so gab es auch keine in London. Es ist

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/361
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/361>, abgerufen am 06.05.2024.