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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Die polnische Frage.



Es ist nicht genug, daß die Reorganisation Deutschlands mit innern Schwie¬
rigkeiten zu kämpfen hat, Schwierigkeiten, gegen welche die feudalen Verwickelun-
g!n, welche die französische Revolution zu überwinden hatte, wahre Kinderspiele
zu nennen sind, es müssen auch gleichzeitig nach allen Seiten hin äußerliche Um¬
stände eintreten, die unsere Entwickelung aufzuhalten oder ihr gar einen verkehrten
Lauf anzuweisen nur gar zu sehr geeignet sind.

Diese Fragen der auswärtigen Politik, durch welche in diesem Moment selbst
die Verfassungskämpfe vieler aufrichtigen Patrioten aus den Augen gerückt werden,
sind die Schleswig-holsteinische, die polnische, die italienische, und -- in nicht wei¬
ter Ferne, die französische. Mit der polnischen will ich mich hier beschäftigen.

Augenblicklich nach dem Ausbruch der Pariser Revolution war zu erwarten,
daß das polnische Volk, dessen ebenso hochherziger als leidenschaftlicher Patriotis¬
mus in weit minder günstigen Zeitumständen das Wagniß, die alte Republik wie¬
derherzustellen, über sich genommen hatte, diesen Augenblick nicht unbenutzt lassen
würde. Als wenige Tage nach der Wiedergeburt Frankreichs ganz Deutschland
sich erhob, um die lange ersehnte, immer versagte Freiheit auf eigne Hand zu
werben, da regten sich überall die Sympathien für das geknechtete Nachbarvolk,
dessen Heldenmut!) in den Kämpfen von 183! die Bewunderung aller Freunde der
Freiheit erregt hatte, und es ist ein schöner Zug in dem Berliner Aufstand vom
19. März, daß einet der ersten Schritte des erwachten Volks die Befreiung der
gefangenen Polen war.

Es ist nicht zu leugnen, daß der Umfang dieser Sympathien in Deutschland
steh seit der Zeit sehr vermindert hat. Die Polen sind wie die Gaccogner; ihre
Renommage ist ebenso handgreiflich als ihr Muth. Nicht genug, daß sie nament¬
lich in Posen, zum Theil mit verletzenden Hohn gegen die Nation, gegen den
Staat, dessen Unterstützung allein ihre Ideen fördern konnten, augenblicklich und
auf eigene Hand ihren ziemlich exclusiver Patriotismus zur Geltung zu bringen
suchten -- in demselben Augenblick, wo sie mit großer Ungeduld den preußischen
Staat und das preußische Volk aufforderten, er solle die Waffen ergreifen, und zu
ihren Gunsten einen Krieg gegen Rußland unternehmen; sie träumen vielmehr so-


Die polnische Frage.



Es ist nicht genug, daß die Reorganisation Deutschlands mit innern Schwie¬
rigkeiten zu kämpfen hat, Schwierigkeiten, gegen welche die feudalen Verwickelun-
g!n, welche die französische Revolution zu überwinden hatte, wahre Kinderspiele
zu nennen sind, es müssen auch gleichzeitig nach allen Seiten hin äußerliche Um¬
stände eintreten, die unsere Entwickelung aufzuhalten oder ihr gar einen verkehrten
Lauf anzuweisen nur gar zu sehr geeignet sind.

Diese Fragen der auswärtigen Politik, durch welche in diesem Moment selbst
die Verfassungskämpfe vieler aufrichtigen Patrioten aus den Augen gerückt werden,
sind die Schleswig-holsteinische, die polnische, die italienische, und — in nicht wei¬
ter Ferne, die französische. Mit der polnischen will ich mich hier beschäftigen.

Augenblicklich nach dem Ausbruch der Pariser Revolution war zu erwarten,
daß das polnische Volk, dessen ebenso hochherziger als leidenschaftlicher Patriotis¬
mus in weit minder günstigen Zeitumständen das Wagniß, die alte Republik wie¬
derherzustellen, über sich genommen hatte, diesen Augenblick nicht unbenutzt lassen
würde. Als wenige Tage nach der Wiedergeburt Frankreichs ganz Deutschland
sich erhob, um die lange ersehnte, immer versagte Freiheit auf eigne Hand zu
werben, da regten sich überall die Sympathien für das geknechtete Nachbarvolk,
dessen Heldenmut!) in den Kämpfen von 183! die Bewunderung aller Freunde der
Freiheit erregt hatte, und es ist ein schöner Zug in dem Berliner Aufstand vom
19. März, daß einet der ersten Schritte des erwachten Volks die Befreiung der
gefangenen Polen war.

Es ist nicht zu leugnen, daß der Umfang dieser Sympathien in Deutschland
steh seit der Zeit sehr vermindert hat. Die Polen sind wie die Gaccogner; ihre
Renommage ist ebenso handgreiflich als ihr Muth. Nicht genug, daß sie nament¬
lich in Posen, zum Theil mit verletzenden Hohn gegen die Nation, gegen den
Staat, dessen Unterstützung allein ihre Ideen fördern konnten, augenblicklich und
auf eigene Hand ihren ziemlich exclusiver Patriotismus zur Geltung zu bringen
suchten — in demselben Augenblick, wo sie mit großer Ungeduld den preußischen
Staat und das preußische Volk aufforderten, er solle die Waffen ergreifen, und zu
ihren Gunsten einen Krieg gegen Rußland unternehmen; sie träumen vielmehr so-


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[0057] Die polnische Frage. Es ist nicht genug, daß die Reorganisation Deutschlands mit innern Schwie¬ rigkeiten zu kämpfen hat, Schwierigkeiten, gegen welche die feudalen Verwickelun- g!n, welche die französische Revolution zu überwinden hatte, wahre Kinderspiele zu nennen sind, es müssen auch gleichzeitig nach allen Seiten hin äußerliche Um¬ stände eintreten, die unsere Entwickelung aufzuhalten oder ihr gar einen verkehrten Lauf anzuweisen nur gar zu sehr geeignet sind. Diese Fragen der auswärtigen Politik, durch welche in diesem Moment selbst die Verfassungskämpfe vieler aufrichtigen Patrioten aus den Augen gerückt werden, sind die Schleswig-holsteinische, die polnische, die italienische, und — in nicht wei¬ ter Ferne, die französische. Mit der polnischen will ich mich hier beschäftigen. Augenblicklich nach dem Ausbruch der Pariser Revolution war zu erwarten, daß das polnische Volk, dessen ebenso hochherziger als leidenschaftlicher Patriotis¬ mus in weit minder günstigen Zeitumständen das Wagniß, die alte Republik wie¬ derherzustellen, über sich genommen hatte, diesen Augenblick nicht unbenutzt lassen würde. Als wenige Tage nach der Wiedergeburt Frankreichs ganz Deutschland sich erhob, um die lange ersehnte, immer versagte Freiheit auf eigne Hand zu werben, da regten sich überall die Sympathien für das geknechtete Nachbarvolk, dessen Heldenmut!) in den Kämpfen von 183! die Bewunderung aller Freunde der Freiheit erregt hatte, und es ist ein schöner Zug in dem Berliner Aufstand vom 19. März, daß einet der ersten Schritte des erwachten Volks die Befreiung der gefangenen Polen war. Es ist nicht zu leugnen, daß der Umfang dieser Sympathien in Deutschland steh seit der Zeit sehr vermindert hat. Die Polen sind wie die Gaccogner; ihre Renommage ist ebenso handgreiflich als ihr Muth. Nicht genug, daß sie nament¬ lich in Posen, zum Theil mit verletzenden Hohn gegen die Nation, gegen den Staat, dessen Unterstützung allein ihre Ideen fördern konnten, augenblicklich und auf eigene Hand ihren ziemlich exclusiver Patriotismus zur Geltung zu bringen suchten — in demselben Augenblick, wo sie mit großer Ungeduld den preußischen Staat und das preußische Volk aufforderten, er solle die Waffen ergreifen, und zu ihren Gunsten einen Krieg gegen Rußland unternehmen; sie träumen vielmehr so-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/57>, abgerufen am 06.05.2024.