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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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politische HerbstgedanVen über Oestreich.

Es ist nun Herbst und die Einflüsse der Jahreszeit scheinen sich auch der
Politik mitzutheilen. Ist auch der östreichische Freiheitsbaum noch nicht in seiner
Wurzel beschädigt, so haben doch die rauhen Octoberstürme alle seine Zweige ent¬
laubt -- und mit Beklemmung sehen wir nun deu Wiuterfrösten der Restauration
-- wenigstens für die nächste Zeit -- entgegen.

Das Drama der Revolution nahm in Wien ein klägliches Ende; da es von
Dilletanten gespielt wurde, so war eben nichts Besseres zu erwarten, als daß am
Ende Fürst Windischgrätz als "leus ox maclüim erscheinen werde, um den ver¬
wickelten Knoten zu losen. Diesem unglückseligen Dilletantismus der Revolution
haben wir es zu danken, daß das einige, starke Oestreich, dessen feste Begrün¬
dung die glorreiche That seiner befreiten Völker hätte werden können, nun durch
einen egoistischen Eroberungsakt der Dynastie in ihrem Sinne realisirt wird.
Weil die Wiener Radicalen, die Deutschen, Magyaren, Italiener und Slaven
nicht mit vereinten Kräften und auf friedlichem Wege den Ban eines neuen
Oestreich beginnen wollen, so arbeiten Männer des Krieges, wie Radetzky, Win¬
dischgrätz, Simvnich, Jellachich, Hammerstein und Pnchner daran, vorläufig das
alte Oestreich herzustellen. Sonderbarer Weise tritt jetzt die Reaction genau
in die Fußtapfen der Revolution. So wie in den Märztagen die Provinzen,
weil sie dem für ganz Oestreich erfochtenen Wiener Siege nicht volles Vertrauen
schenkten, die Freiheit gleichsam stückweise durch immer neue Petitionen bei der
Dynastie zu erringen strebten: so sucht jetzt die Dynastie ihrerseits das Oestreich
von ehmals stückweise in den Provinzen und in der Hauptstadt im wahren Sinn
des Wortes zu erobern. Sie donnert ihren Völkern aus ihren Kanonen die bit¬
tere Lehre zu, daß es ein Oestreich geben müsse, und in der That zeigte sich am
Ende kein anderer Weg, den phantastischen Partikularismus der einzelnen Statio¬
nen zur östreichischen Staatseinheit zurückzuführen. Aber dieses einheitliche Oest¬
reich muß, nachdem es anf gewaltsame Weise wieder hergestellt worden ist, zum
zweiten Male, jedoch in seiner Totalität, nicht in feinen Theilen befreit
werden. Die Diener der Krone sorgen jetzt durch die Mittel roher Gewalt da¬
für, daß es ein einziges Oestreich gebe; daß dieses Oestreich wieder zum zweiten
Male frei werde, wird die Sorge der Völker sein, nachdem sie sich von jener
harten Lection erholt haben. Die Art und Weise, wie man früher mit der Be¬
freiung des östreichischen Ländercomplexes ezperimentirte, hat sich als unhaltbar
erwiesen; dem Versuch, Oestreich dadurch zu befreien, daß man es in ein deut¬
sches Reich, in ein selbstständiges Magyarenreich, in den italischen Bund, und


politische HerbstgedanVen über Oestreich.

Es ist nun Herbst und die Einflüsse der Jahreszeit scheinen sich auch der
Politik mitzutheilen. Ist auch der östreichische Freiheitsbaum noch nicht in seiner
Wurzel beschädigt, so haben doch die rauhen Octoberstürme alle seine Zweige ent¬
laubt — und mit Beklemmung sehen wir nun deu Wiuterfrösten der Restauration
— wenigstens für die nächste Zeit — entgegen.

Das Drama der Revolution nahm in Wien ein klägliches Ende; da es von
Dilletanten gespielt wurde, so war eben nichts Besseres zu erwarten, als daß am
Ende Fürst Windischgrätz als «leus ox maclüim erscheinen werde, um den ver¬
wickelten Knoten zu losen. Diesem unglückseligen Dilletantismus der Revolution
haben wir es zu danken, daß das einige, starke Oestreich, dessen feste Begrün¬
dung die glorreiche That seiner befreiten Völker hätte werden können, nun durch
einen egoistischen Eroberungsakt der Dynastie in ihrem Sinne realisirt wird.
Weil die Wiener Radicalen, die Deutschen, Magyaren, Italiener und Slaven
nicht mit vereinten Kräften und auf friedlichem Wege den Ban eines neuen
Oestreich beginnen wollen, so arbeiten Männer des Krieges, wie Radetzky, Win¬
dischgrätz, Simvnich, Jellachich, Hammerstein und Pnchner daran, vorläufig das
alte Oestreich herzustellen. Sonderbarer Weise tritt jetzt die Reaction genau
in die Fußtapfen der Revolution. So wie in den Märztagen die Provinzen,
weil sie dem für ganz Oestreich erfochtenen Wiener Siege nicht volles Vertrauen
schenkten, die Freiheit gleichsam stückweise durch immer neue Petitionen bei der
Dynastie zu erringen strebten: so sucht jetzt die Dynastie ihrerseits das Oestreich
von ehmals stückweise in den Provinzen und in der Hauptstadt im wahren Sinn
des Wortes zu erobern. Sie donnert ihren Völkern aus ihren Kanonen die bit¬
tere Lehre zu, daß es ein Oestreich geben müsse, und in der That zeigte sich am
Ende kein anderer Weg, den phantastischen Partikularismus der einzelnen Statio¬
nen zur östreichischen Staatseinheit zurückzuführen. Aber dieses einheitliche Oest¬
reich muß, nachdem es anf gewaltsame Weise wieder hergestellt worden ist, zum
zweiten Male, jedoch in seiner Totalität, nicht in feinen Theilen befreit
werden. Die Diener der Krone sorgen jetzt durch die Mittel roher Gewalt da¬
für, daß es ein einziges Oestreich gebe; daß dieses Oestreich wieder zum zweiten
Male frei werde, wird die Sorge der Völker sein, nachdem sie sich von jener
harten Lection erholt haben. Die Art und Weise, wie man früher mit der Be¬
freiung des östreichischen Ländercomplexes ezperimentirte, hat sich als unhaltbar
erwiesen; dem Versuch, Oestreich dadurch zu befreien, daß man es in ein deut¬
sches Reich, in ein selbstständiges Magyarenreich, in den italischen Bund, und


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[0316] politische HerbstgedanVen über Oestreich. Es ist nun Herbst und die Einflüsse der Jahreszeit scheinen sich auch der Politik mitzutheilen. Ist auch der östreichische Freiheitsbaum noch nicht in seiner Wurzel beschädigt, so haben doch die rauhen Octoberstürme alle seine Zweige ent¬ laubt — und mit Beklemmung sehen wir nun deu Wiuterfrösten der Restauration — wenigstens für die nächste Zeit — entgegen. Das Drama der Revolution nahm in Wien ein klägliches Ende; da es von Dilletanten gespielt wurde, so war eben nichts Besseres zu erwarten, als daß am Ende Fürst Windischgrätz als «leus ox maclüim erscheinen werde, um den ver¬ wickelten Knoten zu losen. Diesem unglückseligen Dilletantismus der Revolution haben wir es zu danken, daß das einige, starke Oestreich, dessen feste Begrün¬ dung die glorreiche That seiner befreiten Völker hätte werden können, nun durch einen egoistischen Eroberungsakt der Dynastie in ihrem Sinne realisirt wird. Weil die Wiener Radicalen, die Deutschen, Magyaren, Italiener und Slaven nicht mit vereinten Kräften und auf friedlichem Wege den Ban eines neuen Oestreich beginnen wollen, so arbeiten Männer des Krieges, wie Radetzky, Win¬ dischgrätz, Simvnich, Jellachich, Hammerstein und Pnchner daran, vorläufig das alte Oestreich herzustellen. Sonderbarer Weise tritt jetzt die Reaction genau in die Fußtapfen der Revolution. So wie in den Märztagen die Provinzen, weil sie dem für ganz Oestreich erfochtenen Wiener Siege nicht volles Vertrauen schenkten, die Freiheit gleichsam stückweise durch immer neue Petitionen bei der Dynastie zu erringen strebten: so sucht jetzt die Dynastie ihrerseits das Oestreich von ehmals stückweise in den Provinzen und in der Hauptstadt im wahren Sinn des Wortes zu erobern. Sie donnert ihren Völkern aus ihren Kanonen die bit¬ tere Lehre zu, daß es ein Oestreich geben müsse, und in der That zeigte sich am Ende kein anderer Weg, den phantastischen Partikularismus der einzelnen Statio¬ nen zur östreichischen Staatseinheit zurückzuführen. Aber dieses einheitliche Oest¬ reich muß, nachdem es anf gewaltsame Weise wieder hergestellt worden ist, zum zweiten Male, jedoch in seiner Totalität, nicht in feinen Theilen befreit werden. Die Diener der Krone sorgen jetzt durch die Mittel roher Gewalt da¬ für, daß es ein einziges Oestreich gebe; daß dieses Oestreich wieder zum zweiten Male frei werde, wird die Sorge der Völker sein, nachdem sie sich von jener harten Lection erholt haben. Die Art und Weise, wie man früher mit der Be¬ freiung des östreichischen Ländercomplexes ezperimentirte, hat sich als unhaltbar erwiesen; dem Versuch, Oestreich dadurch zu befreien, daß man es in ein deut¬ sches Reich, in ein selbstständiges Magyarenreich, in den italischen Bund, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/316>, abgerufen am 18.05.2024.