Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Im "grünen Baum."



Wenn Sie den Pelhcun von Bulwer gelesen haben, so erinnern Sie sich ge¬
wiß mit Vergnügen der Schilderung des alten und verrufenen Stadtviertels von
London, dessen schwarze Gassen längs der Themse Herliesen, und das der Zufluchts¬
ort aller liederlichen Seelen der großen Hauptstadt war. Heute sollen Sie mir
in ein ähnliches Viertel folgen; zwar nicht in London, aber doch in Frankfurt
am Main, in der ruhmreichen Vaterstadt Rothschilds und des deutschen Parlaments.
Es ist Abend, Mondschein steht im Kalender und die Laternen sind deshalb nicht
angezündet; allein der bleiche Trabant der Erde schaut nur zuweilen hämisch aus
dunklem Wolkenvorhang, um uns die unergründlichen Pfützen zu zeigen, welche
unserer harren. Vom Römerberg aus wandern wir durch ein abscheuliches Straßen¬
labyrinth , manchmal treten wir heraus auf den freien Quai, der sich längs des
Maines erstreckt, aber dermaßen mit Ballen und Fässern übersäet ist, daß kaum
ein Turnkunstmeister unbeschädigt darüber weg gelangen würde, endlich biegen wir
links in ein finstres Gäßchen, unter einer Art von Brückenbogen hindurch und
befinden uns auf einem freien Platz von 36 Quadratschuhen. Hier ist's, wohin
ich Sie führen will. Dort -- treten Sie etwas weiter ins Freie -- ist die Main¬
brücke mit ihrem goldnen Hahn, dem die Federn ausfallen, wenn der Strom mit
Eis geht und ihrem unglücklichen Karl dem Großen, der viel zu kurze Beine hat;
das Gebäude zu Ihrer Rechten, vor dessen Thüre sich stets eine emsige Menge
drängt, kündigt Ihnen schon der eigenthümliche, alkalischsaure Geruch als ein
Bierhaus an; aber Sie wissen nicht, daß es das "Stift" ist, die berühmteste aller
Bierkneipen, in der die echte Republik ihren Sitz aufgeschlagen hat, wenn anders
die unumschränkteste Freiheit menschlicher Neigungen, die maaßloseste Gleichheit
unter allen Classen der Gesellschaft, und eine Brüderlichkeit, die es mit dem Eigen¬
thum der vollen Gläser nicht sehr genau nimmt, eine hinreichende Garantie ihres
Bestehens sind. Schon hieraus geht hervor, daß jenes Gasthaus, welches uns
gerade gegenüber seine gastliche helle Pforte öffnet, kein anderes sein kann, als
der "grüne Baum." Und warum gerade dieser? Weil der "grüne Baum" das
Asyl, nicht liederlicher Galgenvögel, sondern der äußersten Linken des deutschen
Reichstags ist; in die Schatten seines regen Wipfels flüchten sie , die getreuen
Kämpen, wenn sie müde sind vom parlamentarischen Streit in der Paulskirche,
von den Verständigungen im Club des deutschen Hoff. Hier dehnen und recken
sie die Glieder und spülen in goldenem Naß den Verdruß hinunter, welchen ihnen
heute wieder der böse Vincke und der schlimme Radvwitz verursacht haben; hier
werfen sie die Hülle ab und werden wieder Menschen. IM weil sie Menschen


Im „grünen Baum."



Wenn Sie den Pelhcun von Bulwer gelesen haben, so erinnern Sie sich ge¬
wiß mit Vergnügen der Schilderung des alten und verrufenen Stadtviertels von
London, dessen schwarze Gassen längs der Themse Herliesen, und das der Zufluchts¬
ort aller liederlichen Seelen der großen Hauptstadt war. Heute sollen Sie mir
in ein ähnliches Viertel folgen; zwar nicht in London, aber doch in Frankfurt
am Main, in der ruhmreichen Vaterstadt Rothschilds und des deutschen Parlaments.
Es ist Abend, Mondschein steht im Kalender und die Laternen sind deshalb nicht
angezündet; allein der bleiche Trabant der Erde schaut nur zuweilen hämisch aus
dunklem Wolkenvorhang, um uns die unergründlichen Pfützen zu zeigen, welche
unserer harren. Vom Römerberg aus wandern wir durch ein abscheuliches Straßen¬
labyrinth , manchmal treten wir heraus auf den freien Quai, der sich längs des
Maines erstreckt, aber dermaßen mit Ballen und Fässern übersäet ist, daß kaum
ein Turnkunstmeister unbeschädigt darüber weg gelangen würde, endlich biegen wir
links in ein finstres Gäßchen, unter einer Art von Brückenbogen hindurch und
befinden uns auf einem freien Platz von 36 Quadratschuhen. Hier ist's, wohin
ich Sie führen will. Dort — treten Sie etwas weiter ins Freie — ist die Main¬
brücke mit ihrem goldnen Hahn, dem die Federn ausfallen, wenn der Strom mit
Eis geht und ihrem unglücklichen Karl dem Großen, der viel zu kurze Beine hat;
das Gebäude zu Ihrer Rechten, vor dessen Thüre sich stets eine emsige Menge
drängt, kündigt Ihnen schon der eigenthümliche, alkalischsaure Geruch als ein
Bierhaus an; aber Sie wissen nicht, daß es das „Stift" ist, die berühmteste aller
Bierkneipen, in der die echte Republik ihren Sitz aufgeschlagen hat, wenn anders
die unumschränkteste Freiheit menschlicher Neigungen, die maaßloseste Gleichheit
unter allen Classen der Gesellschaft, und eine Brüderlichkeit, die es mit dem Eigen¬
thum der vollen Gläser nicht sehr genau nimmt, eine hinreichende Garantie ihres
Bestehens sind. Schon hieraus geht hervor, daß jenes Gasthaus, welches uns
gerade gegenüber seine gastliche helle Pforte öffnet, kein anderes sein kann, als
der „grüne Baum." Und warum gerade dieser? Weil der „grüne Baum" das
Asyl, nicht liederlicher Galgenvögel, sondern der äußersten Linken des deutschen
Reichstags ist; in die Schatten seines regen Wipfels flüchten sie , die getreuen
Kämpen, wenn sie müde sind vom parlamentarischen Streit in der Paulskirche,
von den Verständigungen im Club des deutschen Hoff. Hier dehnen und recken
sie die Glieder und spülen in goldenem Naß den Verdruß hinunter, welchen ihnen
heute wieder der böse Vincke und der schlimme Radvwitz verursacht haben; hier
werfen sie die Hülle ab und werden wieder Menschen. IM weil sie Menschen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0489" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277245"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Im &#x201E;grünen Baum."</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1481" next="#ID_1482"> Wenn Sie den Pelhcun von Bulwer gelesen haben, so erinnern Sie sich ge¬<lb/>
wiß mit Vergnügen der Schilderung des alten und verrufenen Stadtviertels von<lb/>
London, dessen schwarze Gassen längs der Themse Herliesen, und das der Zufluchts¬<lb/>
ort aller liederlichen Seelen der großen Hauptstadt war. Heute sollen Sie mir<lb/>
in ein ähnliches Viertel folgen; zwar nicht in London, aber doch in Frankfurt<lb/>
am Main, in der ruhmreichen Vaterstadt Rothschilds und des deutschen Parlaments.<lb/>
Es ist Abend, Mondschein steht im Kalender und die Laternen sind deshalb nicht<lb/>
angezündet; allein der bleiche Trabant der Erde schaut nur zuweilen hämisch aus<lb/>
dunklem Wolkenvorhang, um uns die unergründlichen Pfützen zu zeigen, welche<lb/>
unserer harren. Vom Römerberg aus wandern wir durch ein abscheuliches Straßen¬<lb/>
labyrinth , manchmal treten wir heraus auf den freien Quai, der sich längs des<lb/>
Maines erstreckt, aber dermaßen mit Ballen und Fässern übersäet ist, daß kaum<lb/>
ein Turnkunstmeister unbeschädigt darüber weg gelangen würde, endlich biegen wir<lb/>
links in ein finstres Gäßchen, unter einer Art von Brückenbogen hindurch und<lb/>
befinden uns auf einem freien Platz von 36 Quadratschuhen. Hier ist's, wohin<lb/>
ich Sie führen will. Dort &#x2014; treten Sie etwas weiter ins Freie &#x2014; ist die Main¬<lb/>
brücke mit ihrem goldnen Hahn, dem die Federn ausfallen, wenn der Strom mit<lb/>
Eis geht und ihrem unglücklichen Karl dem Großen, der viel zu kurze Beine hat;<lb/>
das Gebäude zu Ihrer Rechten, vor dessen Thüre sich stets eine emsige Menge<lb/>
drängt, kündigt Ihnen schon der eigenthümliche, alkalischsaure Geruch als ein<lb/>
Bierhaus an; aber Sie wissen nicht, daß es das &#x201E;Stift" ist, die berühmteste aller<lb/>
Bierkneipen, in der die echte Republik ihren Sitz aufgeschlagen hat, wenn anders<lb/>
die unumschränkteste Freiheit menschlicher Neigungen, die maaßloseste Gleichheit<lb/>
unter allen Classen der Gesellschaft, und eine Brüderlichkeit, die es mit dem Eigen¬<lb/>
thum der vollen Gläser nicht sehr genau nimmt, eine hinreichende Garantie ihres<lb/>
Bestehens sind. Schon hieraus geht hervor, daß jenes Gasthaus, welches uns<lb/>
gerade gegenüber seine gastliche helle Pforte öffnet, kein anderes sein kann, als<lb/>
der &#x201E;grüne Baum." Und warum gerade dieser? Weil der &#x201E;grüne Baum" das<lb/>
Asyl, nicht liederlicher Galgenvögel, sondern der äußersten Linken des deutschen<lb/>
Reichstags ist; in die Schatten seines regen Wipfels flüchten sie , die getreuen<lb/>
Kämpen, wenn sie müde sind vom parlamentarischen Streit in der Paulskirche,<lb/>
von den Verständigungen im Club des deutschen Hoff. Hier dehnen und recken<lb/>
sie die Glieder und spülen in goldenem Naß den Verdruß hinunter, welchen ihnen<lb/>
heute wieder der böse Vincke und der schlimme Radvwitz verursacht haben; hier<lb/>
werfen sie die Hülle ab und werden wieder Menschen. IM weil sie Menschen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0489] Im „grünen Baum." Wenn Sie den Pelhcun von Bulwer gelesen haben, so erinnern Sie sich ge¬ wiß mit Vergnügen der Schilderung des alten und verrufenen Stadtviertels von London, dessen schwarze Gassen längs der Themse Herliesen, und das der Zufluchts¬ ort aller liederlichen Seelen der großen Hauptstadt war. Heute sollen Sie mir in ein ähnliches Viertel folgen; zwar nicht in London, aber doch in Frankfurt am Main, in der ruhmreichen Vaterstadt Rothschilds und des deutschen Parlaments. Es ist Abend, Mondschein steht im Kalender und die Laternen sind deshalb nicht angezündet; allein der bleiche Trabant der Erde schaut nur zuweilen hämisch aus dunklem Wolkenvorhang, um uns die unergründlichen Pfützen zu zeigen, welche unserer harren. Vom Römerberg aus wandern wir durch ein abscheuliches Straßen¬ labyrinth , manchmal treten wir heraus auf den freien Quai, der sich längs des Maines erstreckt, aber dermaßen mit Ballen und Fässern übersäet ist, daß kaum ein Turnkunstmeister unbeschädigt darüber weg gelangen würde, endlich biegen wir links in ein finstres Gäßchen, unter einer Art von Brückenbogen hindurch und befinden uns auf einem freien Platz von 36 Quadratschuhen. Hier ist's, wohin ich Sie führen will. Dort — treten Sie etwas weiter ins Freie — ist die Main¬ brücke mit ihrem goldnen Hahn, dem die Federn ausfallen, wenn der Strom mit Eis geht und ihrem unglücklichen Karl dem Großen, der viel zu kurze Beine hat; das Gebäude zu Ihrer Rechten, vor dessen Thüre sich stets eine emsige Menge drängt, kündigt Ihnen schon der eigenthümliche, alkalischsaure Geruch als ein Bierhaus an; aber Sie wissen nicht, daß es das „Stift" ist, die berühmteste aller Bierkneipen, in der die echte Republik ihren Sitz aufgeschlagen hat, wenn anders die unumschränkteste Freiheit menschlicher Neigungen, die maaßloseste Gleichheit unter allen Classen der Gesellschaft, und eine Brüderlichkeit, die es mit dem Eigen¬ thum der vollen Gläser nicht sehr genau nimmt, eine hinreichende Garantie ihres Bestehens sind. Schon hieraus geht hervor, daß jenes Gasthaus, welches uns gerade gegenüber seine gastliche helle Pforte öffnet, kein anderes sein kann, als der „grüne Baum." Und warum gerade dieser? Weil der „grüne Baum" das Asyl, nicht liederlicher Galgenvögel, sondern der äußersten Linken des deutschen Reichstags ist; in die Schatten seines regen Wipfels flüchten sie , die getreuen Kämpen, wenn sie müde sind vom parlamentarischen Streit in der Paulskirche, von den Verständigungen im Club des deutschen Hoff. Hier dehnen und recken sie die Glieder und spülen in goldenem Naß den Verdruß hinunter, welchen ihnen heute wieder der böse Vincke und der schlimme Radvwitz verursacht haben; hier werfen sie die Hülle ab und werden wieder Menschen. IM weil sie Menschen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/489
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/489>, abgerufen am 18.05.2024.