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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Erinnerungen aus Altöftreich.
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Der deutsche Slavomane.


Auf der Prager Brück"
Wächst ein Rosmarin!
Keine Hemd l'-gießt ihn dort,
Dennoch ivSchst er fort und fort.

Böhmisches Volkslied.

Ist es ein Traum oder ein Märchen? denke ich jetzt oft, wenn von meiner Hei¬
math die Rede ist. Hnssitismus, Panslavismus, Czechomanie, -- sind diese wilden
Pflanzen über Nacht aufgeschossen? Vor fünfzehn Jahren, wo ich Böhmen noch
nie verlassen hatte, wußte bei uns keine Seele davon. Vielleicht waren sie Ge¬
heimniß einiger Wenigen und keimten im Stillen um so sicherer. Gewisse dunkle
Erinnerungen aus frühester Jngend bekommen jetzt in meinen Augen größere Be¬
deutung, als ich ihnen sonst beilegte. So steht noch lebendig die Gestalt eines
Mannes vor mir, über welchen in dem Landstädtchen, wo ich geboren bin, merk¬
würdiges Gerede ging. Leider ist mir sein Name entfallen. Eine hohe stämmige
Gestalt mit blonden Haaren und ganz rothem Gesicht, freundlich, aber einsilbig.
Er war uur einen kurzen Theil des Jahres im Orte und auch dann selten zu
Hause. Frühling, Sommer und Herbst, hieß es, wanderte er allein und zu Fuße,
mit einem Knotenstock bewaffnet, durch Mähren, die Slowakei und Serbien bis
an die türkische Grenze. Mau sprach im Allgemeinen mit großer Achtung von
ihm, denn er war reich und, dem Rufe nach, ausnehmend gebildet. Ja, sagten
die Leute, ist ungeheuer gebildet, versteht Französisch, Englisch und Italienisch
wie kein Professor und schreibt in Einem fort -- böhmische Gedichte! Wozu nur
das? Wer soll sie lesen oder deklamiren! Böhmische Poesie war damals geradezu
etwas Komisches, ein Widerspruch in sich selbst, und nicht blos Deutsche, sondern
auch Czechen erklärten den Mann für einen Sonderling oder nicht ganz richtig
im Oberstübchen. Denn die gebildeteren Czechen, wenn sie das Deutsche auch
etwas hart aussprachen, legten mehr Gewicht darauf als auf ihre Muttersprache,
welche sie selten rechtznschrciben oder richtig zu sprechen verstanden. Später hatten
wir auf dein Gymnasium zwei Lehrer, die wegen ihrer "Liebhaberei" für das
Czechische bekannt waren. Der Eine hatte sich die undankbare Mühe genommen,
wie die Leute sagten, Schiller's Trauerspiele in's Böhmische zu übersetzen und
dies kam unsern Kleinstädtern eben so bizarr vor, wie daß seine Frau eine Brille


Erinnerungen aus Altöftreich.
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Der deutsche Slavomane.


Auf der Prager Brück«
Wächst ein Rosmarin!
Keine Hemd l'-gießt ihn dort,
Dennoch ivSchst er fort und fort.

Böhmisches Volkslied.

Ist es ein Traum oder ein Märchen? denke ich jetzt oft, wenn von meiner Hei¬
math die Rede ist. Hnssitismus, Panslavismus, Czechomanie, — sind diese wilden
Pflanzen über Nacht aufgeschossen? Vor fünfzehn Jahren, wo ich Böhmen noch
nie verlassen hatte, wußte bei uns keine Seele davon. Vielleicht waren sie Ge¬
heimniß einiger Wenigen und keimten im Stillen um so sicherer. Gewisse dunkle
Erinnerungen aus frühester Jngend bekommen jetzt in meinen Augen größere Be¬
deutung, als ich ihnen sonst beilegte. So steht noch lebendig die Gestalt eines
Mannes vor mir, über welchen in dem Landstädtchen, wo ich geboren bin, merk¬
würdiges Gerede ging. Leider ist mir sein Name entfallen. Eine hohe stämmige
Gestalt mit blonden Haaren und ganz rothem Gesicht, freundlich, aber einsilbig.
Er war uur einen kurzen Theil des Jahres im Orte und auch dann selten zu
Hause. Frühling, Sommer und Herbst, hieß es, wanderte er allein und zu Fuße,
mit einem Knotenstock bewaffnet, durch Mähren, die Slowakei und Serbien bis
an die türkische Grenze. Mau sprach im Allgemeinen mit großer Achtung von
ihm, denn er war reich und, dem Rufe nach, ausnehmend gebildet. Ja, sagten
die Leute, ist ungeheuer gebildet, versteht Französisch, Englisch und Italienisch
wie kein Professor und schreibt in Einem fort — böhmische Gedichte! Wozu nur
das? Wer soll sie lesen oder deklamiren! Böhmische Poesie war damals geradezu
etwas Komisches, ein Widerspruch in sich selbst, und nicht blos Deutsche, sondern
auch Czechen erklärten den Mann für einen Sonderling oder nicht ganz richtig
im Oberstübchen. Denn die gebildeteren Czechen, wenn sie das Deutsche auch
etwas hart aussprachen, legten mehr Gewicht darauf als auf ihre Muttersprache,
welche sie selten rechtznschrciben oder richtig zu sprechen verstanden. Später hatten
wir auf dein Gymnasium zwei Lehrer, die wegen ihrer „Liebhaberei" für das
Czechische bekannt waren. Der Eine hatte sich die undankbare Mühe genommen,
wie die Leute sagten, Schiller's Trauerspiele in's Böhmische zu übersetzen und
dies kam unsern Kleinstädtern eben so bizarr vor, wie daß seine Frau eine Brille


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[0052] Erinnerungen aus Altöftreich. «> Der deutsche Slavomane. Auf der Prager Brück« Wächst ein Rosmarin! Keine Hemd l'-gießt ihn dort, Dennoch ivSchst er fort und fort. Böhmisches Volkslied. Ist es ein Traum oder ein Märchen? denke ich jetzt oft, wenn von meiner Hei¬ math die Rede ist. Hnssitismus, Panslavismus, Czechomanie, — sind diese wilden Pflanzen über Nacht aufgeschossen? Vor fünfzehn Jahren, wo ich Böhmen noch nie verlassen hatte, wußte bei uns keine Seele davon. Vielleicht waren sie Ge¬ heimniß einiger Wenigen und keimten im Stillen um so sicherer. Gewisse dunkle Erinnerungen aus frühester Jngend bekommen jetzt in meinen Augen größere Be¬ deutung, als ich ihnen sonst beilegte. So steht noch lebendig die Gestalt eines Mannes vor mir, über welchen in dem Landstädtchen, wo ich geboren bin, merk¬ würdiges Gerede ging. Leider ist mir sein Name entfallen. Eine hohe stämmige Gestalt mit blonden Haaren und ganz rothem Gesicht, freundlich, aber einsilbig. Er war uur einen kurzen Theil des Jahres im Orte und auch dann selten zu Hause. Frühling, Sommer und Herbst, hieß es, wanderte er allein und zu Fuße, mit einem Knotenstock bewaffnet, durch Mähren, die Slowakei und Serbien bis an die türkische Grenze. Mau sprach im Allgemeinen mit großer Achtung von ihm, denn er war reich und, dem Rufe nach, ausnehmend gebildet. Ja, sagten die Leute, ist ungeheuer gebildet, versteht Französisch, Englisch und Italienisch wie kein Professor und schreibt in Einem fort — böhmische Gedichte! Wozu nur das? Wer soll sie lesen oder deklamiren! Böhmische Poesie war damals geradezu etwas Komisches, ein Widerspruch in sich selbst, und nicht blos Deutsche, sondern auch Czechen erklärten den Mann für einen Sonderling oder nicht ganz richtig im Oberstübchen. Denn die gebildeteren Czechen, wenn sie das Deutsche auch etwas hart aussprachen, legten mehr Gewicht darauf als auf ihre Muttersprache, welche sie selten rechtznschrciben oder richtig zu sprechen verstanden. Später hatten wir auf dein Gymnasium zwei Lehrer, die wegen ihrer „Liebhaberei" für das Czechische bekannt waren. Der Eine hatte sich die undankbare Mühe genommen, wie die Leute sagten, Schiller's Trauerspiele in's Böhmische zu übersetzen und dies kam unsern Kleinstädtern eben so bizarr vor, wie daß seine Frau eine Brille

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/52>, abgerufen am 05.05.2024.