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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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III.
DaS Hauptquartier der Octoberhelden.

Der Wirth zum rothen Igel war immer sehr "schwarzgelb" gesinnt. Als
daher die Octobcrrevolution ausbrach, flüchtete er in einen nahen Badeort und
überließ seine vortreffliche Restauration der Anarchie der Kellner und dem blut-
und weinlüsternen Treiben der Demagogen. Die Kellner waren äußerlich noch
sehr wenig von den Errungenschaften unserer Tage berührt, ihnen galt jeder Gast
noch als "Ew. Gnaden" und "Herr von", und alle Bemühungen der Demokraten,
diese eleganten Burschen zu corrumpiren und den rothen Igel mit Abschaffung
jedes Capitals in eine Art Phalanstore nach den Grundsätzen der menschlichen
Gleichheit und Brüderlichkeit umzuwandeln, scheiterten an der Charakterfestigkeit
und solidarischen Verantwortlichkeit dieser jungen Herren von der Serviette.

Wenige Tage nach dem 6. October hatten bereits die Localitäten in der Re¬
stauration am Wildpretmarkt ein eigenthümliches Aussehn. Man saß nicht mehr
so ruhig und traulich beisammen, die Czechen hatten fast gänzlich den Platz ge¬
räumt, die Polen waren meistentheils im Reichstage beschäftigt und kamen nur
zur Stillung augenblicklicher Magenstimmungen sicher, die Bvrsemänncr und
Banquiers hatten bereits die Stadt verlassen, um dem Waffendienste zu entrinnen,
die Demokraten allein hatten nun ihr Hauptquartier im rothen Igel aufgeschlagen,
aber sie waren vollauf beschäftigt und es gab daher ein immerwährendes Hin-
und Herrennen, einen bunten Wechsel von Gestalten, Botschaften, Discussionen
und Stimmungen. Die gemüthliche, naive Unterhaltung, welche bis zum October
trotz aller stündlichen Aufregungen in Wien geherrscht hatte, war nun auch aus
den Räumen des rothen Igel gewichen.

Die freudige Ueberraschung, von welcher die Radikalen wenige Tage nach
dem K. October über den leichten Sieg des Volkes ergriffen waren, machte gar
bald peinlichern Gefühlen Platz, als sich die Verhältnisse immer ernster und ver¬
wickelter gestalteten und die Gefahr von anßen mit jedem Tage drohender wurde.
Nun war es nicht mehr Zeit, mit Phrasen die Welt zu erobern, mit Manifesten
und Marktrcdcn das Volk "für die Bewegung zu stimmen," -- jetzt mußte sich
endlich die Thatkraft bewähren, und jeder praktische Gedanke, jeder energische
Schritt zur Lösung der verhängnißvollen Conflicte war bedeutsamer geworden als
die ganze Tagesliteratur, welche von beiden Seiten diese Epoche vorbereitet hatte.

Betrachte" wir einmal die Helden, welche sich nun berufen glaubten, Welt¬
geschichte zu machen, besonders einige Mitglieder des "Centralansschusses der de¬
mokratischen Vereine," in deren Hände, wie sie behaupteten, die Fäden der gan¬
zen Bewegung gelegt waren.

Der Leser und die Nachwelt mögen uns verzeihen, wenn wir ihnen zuerst
Herrn ChaiseS aufführen, das erbärmlichste Subject unter den Wiener Nevolteurs.


III.
DaS Hauptquartier der Octoberhelden.

Der Wirth zum rothen Igel war immer sehr „schwarzgelb" gesinnt. Als
daher die Octobcrrevolution ausbrach, flüchtete er in einen nahen Badeort und
überließ seine vortreffliche Restauration der Anarchie der Kellner und dem blut-
und weinlüsternen Treiben der Demagogen. Die Kellner waren äußerlich noch
sehr wenig von den Errungenschaften unserer Tage berührt, ihnen galt jeder Gast
noch als „Ew. Gnaden" und „Herr von", und alle Bemühungen der Demokraten,
diese eleganten Burschen zu corrumpiren und den rothen Igel mit Abschaffung
jedes Capitals in eine Art Phalanstore nach den Grundsätzen der menschlichen
Gleichheit und Brüderlichkeit umzuwandeln, scheiterten an der Charakterfestigkeit
und solidarischen Verantwortlichkeit dieser jungen Herren von der Serviette.

Wenige Tage nach dem 6. October hatten bereits die Localitäten in der Re¬
stauration am Wildpretmarkt ein eigenthümliches Aussehn. Man saß nicht mehr
so ruhig und traulich beisammen, die Czechen hatten fast gänzlich den Platz ge¬
räumt, die Polen waren meistentheils im Reichstage beschäftigt und kamen nur
zur Stillung augenblicklicher Magenstimmungen sicher, die Bvrsemänncr und
Banquiers hatten bereits die Stadt verlassen, um dem Waffendienste zu entrinnen,
die Demokraten allein hatten nun ihr Hauptquartier im rothen Igel aufgeschlagen,
aber sie waren vollauf beschäftigt und es gab daher ein immerwährendes Hin-
und Herrennen, einen bunten Wechsel von Gestalten, Botschaften, Discussionen
und Stimmungen. Die gemüthliche, naive Unterhaltung, welche bis zum October
trotz aller stündlichen Aufregungen in Wien geherrscht hatte, war nun auch aus
den Räumen des rothen Igel gewichen.

Die freudige Ueberraschung, von welcher die Radikalen wenige Tage nach
dem K. October über den leichten Sieg des Volkes ergriffen waren, machte gar
bald peinlichern Gefühlen Platz, als sich die Verhältnisse immer ernster und ver¬
wickelter gestalteten und die Gefahr von anßen mit jedem Tage drohender wurde.
Nun war es nicht mehr Zeit, mit Phrasen die Welt zu erobern, mit Manifesten
und Marktrcdcn das Volk „für die Bewegung zu stimmen," — jetzt mußte sich
endlich die Thatkraft bewähren, und jeder praktische Gedanke, jeder energische
Schritt zur Lösung der verhängnißvollen Conflicte war bedeutsamer geworden als
die ganze Tagesliteratur, welche von beiden Seiten diese Epoche vorbereitet hatte.

Betrachte» wir einmal die Helden, welche sich nun berufen glaubten, Welt¬
geschichte zu machen, besonders einige Mitglieder des „Centralansschusses der de¬
mokratischen Vereine," in deren Hände, wie sie behaupteten, die Fäden der gan¬
zen Bewegung gelegt waren.

Der Leser und die Nachwelt mögen uns verzeihen, wenn wir ihnen zuerst
Herrn ChaiseS aufführen, das erbärmlichste Subject unter den Wiener Nevolteurs.


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[0114] III. DaS Hauptquartier der Octoberhelden. Der Wirth zum rothen Igel war immer sehr „schwarzgelb" gesinnt. Als daher die Octobcrrevolution ausbrach, flüchtete er in einen nahen Badeort und überließ seine vortreffliche Restauration der Anarchie der Kellner und dem blut- und weinlüsternen Treiben der Demagogen. Die Kellner waren äußerlich noch sehr wenig von den Errungenschaften unserer Tage berührt, ihnen galt jeder Gast noch als „Ew. Gnaden" und „Herr von", und alle Bemühungen der Demokraten, diese eleganten Burschen zu corrumpiren und den rothen Igel mit Abschaffung jedes Capitals in eine Art Phalanstore nach den Grundsätzen der menschlichen Gleichheit und Brüderlichkeit umzuwandeln, scheiterten an der Charakterfestigkeit und solidarischen Verantwortlichkeit dieser jungen Herren von der Serviette. Wenige Tage nach dem 6. October hatten bereits die Localitäten in der Re¬ stauration am Wildpretmarkt ein eigenthümliches Aussehn. Man saß nicht mehr so ruhig und traulich beisammen, die Czechen hatten fast gänzlich den Platz ge¬ räumt, die Polen waren meistentheils im Reichstage beschäftigt und kamen nur zur Stillung augenblicklicher Magenstimmungen sicher, die Bvrsemänncr und Banquiers hatten bereits die Stadt verlassen, um dem Waffendienste zu entrinnen, die Demokraten allein hatten nun ihr Hauptquartier im rothen Igel aufgeschlagen, aber sie waren vollauf beschäftigt und es gab daher ein immerwährendes Hin- und Herrennen, einen bunten Wechsel von Gestalten, Botschaften, Discussionen und Stimmungen. Die gemüthliche, naive Unterhaltung, welche bis zum October trotz aller stündlichen Aufregungen in Wien geherrscht hatte, war nun auch aus den Räumen des rothen Igel gewichen. Die freudige Ueberraschung, von welcher die Radikalen wenige Tage nach dem K. October über den leichten Sieg des Volkes ergriffen waren, machte gar bald peinlichern Gefühlen Platz, als sich die Verhältnisse immer ernster und ver¬ wickelter gestalteten und die Gefahr von anßen mit jedem Tage drohender wurde. Nun war es nicht mehr Zeit, mit Phrasen die Welt zu erobern, mit Manifesten und Marktrcdcn das Volk „für die Bewegung zu stimmen," — jetzt mußte sich endlich die Thatkraft bewähren, und jeder praktische Gedanke, jeder energische Schritt zur Lösung der verhängnißvollen Conflicte war bedeutsamer geworden als die ganze Tagesliteratur, welche von beiden Seiten diese Epoche vorbereitet hatte. Betrachte» wir einmal die Helden, welche sich nun berufen glaubten, Welt¬ geschichte zu machen, besonders einige Mitglieder des „Centralansschusses der de¬ mokratischen Vereine," in deren Hände, wie sie behaupteten, die Fäden der gan¬ zen Bewegung gelegt waren. Der Leser und die Nachwelt mögen uns verzeihen, wenn wir ihnen zuerst Herrn ChaiseS aufführen, das erbärmlichste Subject unter den Wiener Nevolteurs.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/114>, abgerufen am 06.05.2024.