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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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nen bunten Genüssen, welche einem thätigen Volk mit der Macht und Herrschaft
kommt, so wird dem Drama Humor, Witz und der frische Muth, das Gewaltigste
zu wagen, auch nicht fehlen. Kommt für Deutschland eine solche Zeit, an welcher
das gesammte Volk arbeitet, welche wieder das gesammte Volk durch ihre Tüchtigkeit
und Größe emporhebt und adelt, dann erst, aber dann auch sicher, wird sich die alte
Kluft zwischen der abstrakten Bildung und dem Volksgcschmack schließen; die höchsten
menschlichen Interessen, in denen alle Einzelnen gemeinsam leben, werden eine
neue, Allen gemeinsame Cultur hervorrufen, und diese neue Bildung, die nationa¬
len Interessen der Zukunft, sie erst werden der Boden sein, aus dem sich ein
neuer Stamm dramatischer Kunst heraushebt, welcher zu gleicher Zeit volksthümlich
und schön ist. Bis dahin aber mögen sich die treuen Vertreter und Hüter der
Kunst in maßloser und aufgeregter Zeit auf ihren Posten wachsam die Parole zu¬
rufen: erhaltet die Kunst, seid wahr! --




Das Gesagte gelte als ein Prolog zu einer schnellen Kritik der neusten dra¬
maturgischen Schriften von Eduard Devrient.

Eduard Devrient's Geschichte der deutschen Schauspielkunst und seine
Ncformschrift *).

Seine Geschichte der deutschen Schauspielkunst gehört zu den
wichtigsten literarischen Erscheinungen des stürmischen Jahres 1848. Schwer¬
lich konnte ein anderer als ein ausübender Künstler dies Buch schreiben,
weil vertraute Bekanntschaft mit der Bühne selbst, ihren Einrichtungen und
allem dem, was auf ihr erfreuen, hinreißen, Schönheit und Leben gewinnen
kaun, eben so nöthig war, als die künstlerische Eigenschaft, sich aus deu trocknen,
oft spärlichen Notizen über Schauspielerpersönlichkeiten der Vergangenheit ein Bild
derselben zu entwerfen, welches uus durch die Wahrheit der Ausführung über¬
rascht. ES ist eine Geschichte der dramatischen Darstellung, der Künstler und ihrer
Schulen und der gezimmerten Bühne selbst, welche sich vor uns ausrollt, eine
Fülle vou verworrenen Stoff,, in welche des Verfassers großer Fleiß, Ordnung
und die Gesichtspunkte des Literarhistorikers zu bringen wußte. Aus erfreut die
Unermüdlichkeit, mit der er dem Marsche der einzelnen Kvmvdiantenbanden folgt, welche
in flüchtiger Berühmtheit aufglänzen, dann wieder in Dunkelheit sich verberge", sich aus¬
lösen und immer wieder zusammensetzen; wir bewundern ihn da, wo sein Werk aus dem
wüsten Treiben der Bandenwirthschast herausführt in die Periode, in welcher einzelne
Talente Wichtigkeit und Einfluß gewinnen. Die Schilderung der Neuberin und
ihres Verhältnisses zu Gottsched ist meisterhaft, das Talent Eckhoffs, das Genie
Schröters, Ifflands Bedeutung und die kühnen Knnstexperimente der Weimarischen



*) Geschichte der deutschen Schauspielkunst. 3. Bände. Leipzig Is4S. I. I. Weber. --
Das Nationaltheater des neuen Deutschland. Eine Reformschrift. Leipzig 1849. J.J.Weber.

nen bunten Genüssen, welche einem thätigen Volk mit der Macht und Herrschaft
kommt, so wird dem Drama Humor, Witz und der frische Muth, das Gewaltigste
zu wagen, auch nicht fehlen. Kommt für Deutschland eine solche Zeit, an welcher
das gesammte Volk arbeitet, welche wieder das gesammte Volk durch ihre Tüchtigkeit
und Größe emporhebt und adelt, dann erst, aber dann auch sicher, wird sich die alte
Kluft zwischen der abstrakten Bildung und dem Volksgcschmack schließen; die höchsten
menschlichen Interessen, in denen alle Einzelnen gemeinsam leben, werden eine
neue, Allen gemeinsame Cultur hervorrufen, und diese neue Bildung, die nationa¬
len Interessen der Zukunft, sie erst werden der Boden sein, aus dem sich ein
neuer Stamm dramatischer Kunst heraushebt, welcher zu gleicher Zeit volksthümlich
und schön ist. Bis dahin aber mögen sich die treuen Vertreter und Hüter der
Kunst in maßloser und aufgeregter Zeit auf ihren Posten wachsam die Parole zu¬
rufen: erhaltet die Kunst, seid wahr! —




Das Gesagte gelte als ein Prolog zu einer schnellen Kritik der neusten dra¬
maturgischen Schriften von Eduard Devrient.

Eduard Devrient's Geschichte der deutschen Schauspielkunst und seine
Ncformschrift *).

Seine Geschichte der deutschen Schauspielkunst gehört zu den
wichtigsten literarischen Erscheinungen des stürmischen Jahres 1848. Schwer¬
lich konnte ein anderer als ein ausübender Künstler dies Buch schreiben,
weil vertraute Bekanntschaft mit der Bühne selbst, ihren Einrichtungen und
allem dem, was auf ihr erfreuen, hinreißen, Schönheit und Leben gewinnen
kaun, eben so nöthig war, als die künstlerische Eigenschaft, sich aus deu trocknen,
oft spärlichen Notizen über Schauspielerpersönlichkeiten der Vergangenheit ein Bild
derselben zu entwerfen, welches uus durch die Wahrheit der Ausführung über¬
rascht. ES ist eine Geschichte der dramatischen Darstellung, der Künstler und ihrer
Schulen und der gezimmerten Bühne selbst, welche sich vor uns ausrollt, eine
Fülle vou verworrenen Stoff,, in welche des Verfassers großer Fleiß, Ordnung
und die Gesichtspunkte des Literarhistorikers zu bringen wußte. Aus erfreut die
Unermüdlichkeit, mit der er dem Marsche der einzelnen Kvmvdiantenbanden folgt, welche
in flüchtiger Berühmtheit aufglänzen, dann wieder in Dunkelheit sich verberge», sich aus¬
lösen und immer wieder zusammensetzen; wir bewundern ihn da, wo sein Werk aus dem
wüsten Treiben der Bandenwirthschast herausführt in die Periode, in welcher einzelne
Talente Wichtigkeit und Einfluß gewinnen. Die Schilderung der Neuberin und
ihres Verhältnisses zu Gottsched ist meisterhaft, das Talent Eckhoffs, das Genie
Schröters, Ifflands Bedeutung und die kühnen Knnstexperimente der Weimarischen



*) Geschichte der deutschen Schauspielkunst. 3. Bände. Leipzig Is4S. I. I. Weber. —
Das Nationaltheater des neuen Deutschland. Eine Reformschrift. Leipzig 1849. J.J.Weber.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/142>, abgerufen am 07.05.2024.