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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Schäfer und seine Heerde waren nicht mehr zu sehen und die Bettelhorde stelzte
wie Trappen quer durch die junge Wintersaat.

"Aber das ist ja furchtbar, das schlimmste Elend, das ich je auf einem
Haufen gesehen!"

"Das ist unser Frieden," sprach der Baron, "dort liegt Langenbielau, wir
wohnen im Wcberdistrict."


II.

Die Sonne war über ihren Höhenpunkt hinaus, unser Wirth hatte sich von
uns getrennt, eine entfernte Fichtenpflanznng zu besehen; wir,' Alfred und ich,
zogen es vor Aussichten in die Ebene von den Berghöhen aufzusuchen, bis ein
Jägerdiner im Walde die ganze Gesellschaft vereinigen sollte. An der Seite einer
hohen Felswand führte uG der gewundene Weg zu einem Platea", von dem wir
weit in die Thalebene hineinschauen konnten. Wir streckten uns in das Moos
und benutzten einen Felsblock als Kopfkissen. Uns zur Seite stand auf dem freien
Platze ein einzelnes Haus, das in der Wildheit seiner Umgebung und seinem ro¬
hen Bau an ein Blockhaus von Texas erinnern konnte. Aber nicht lauge genos¬
sen wir die Nuhe der Einsamkeit, hinter uns rauschte eS im dürren Laub und
Menschenstimmen, ein Sopran und ein Baß sprachen durch einander. "Der Vater
ist dem Waldmüller lange schon verschuldet," sang der frische Sopran, "denn die
Krankheit vom vorigen Jahre hat uns ins Unglück gestürzt, wir können die
Zinsen nicht aufbringen. Heut Abend will der Vater hinunter in die Mühle
und gute Worte geben, aber der Müller ist ein harter Mann, der sich nnr so
Hinhalten läßt, weil" -- ""Weil er denkt, dich zum Weibe zu nehmen,"" donnerte
der Baß dazwischen, "aber da will ich eher" -- "Still! laß mich ausreden, siehst
Du, deshalb will die Muhme auch mit, es ist Freundschaft mit dem Müller und
da drängt sie den Vater wegen der Heirath. Der Jakobfleischer borgt den kleinen
Kälberwagen."

"Nosla," sprach der Baß mit möglichster Zartheit, "halt nnr noch kurze Zeit
aus, es muß jetzt bald besser werden, Du erfährst uur nichts hier oben im Wald,
was in der Welt vorgeht, aber in die Stadt kommt jede Woche in die goldene
Sonne ein gelehrter Herr, der sagt's uns in gemeinen Worten, die recht zum
Herzen dringen. Jetzt ist die Zeit gekommen, sagt er, jetzt wird den Annen
hundertfältig ihre Noth vergolten werden. Aber bis es dahin kommt, muß eS
erst eine Weile bunt hergehen und manches umgekehrt werden."

Darauf der Sopran: "Davon verstehe ich Alles nichts, wie Du es meinst
Wilhelm." "Sieh zu," fuhr der Baß fort, "die Blümla wachsen anch nicht gleich
aus dem Eise, erst kommt der Sturm und bricht das Eis, das Bergwasser schwillt
und hilft tapfer das Eis fortspülen. Das ganze Gebirge will aufstehen und gute
Zeit schaffen, wir alle müssen mit. Merk auf Rosla, wer einen grünen Tannen-


29*

Schäfer und seine Heerde waren nicht mehr zu sehen und die Bettelhorde stelzte
wie Trappen quer durch die junge Wintersaat.

„Aber das ist ja furchtbar, das schlimmste Elend, das ich je auf einem
Haufen gesehen!"

„Das ist unser Frieden," sprach der Baron, „dort liegt Langenbielau, wir
wohnen im Wcberdistrict."


II.

Die Sonne war über ihren Höhenpunkt hinaus, unser Wirth hatte sich von
uns getrennt, eine entfernte Fichtenpflanznng zu besehen; wir,' Alfred und ich,
zogen es vor Aussichten in die Ebene von den Berghöhen aufzusuchen, bis ein
Jägerdiner im Walde die ganze Gesellschaft vereinigen sollte. An der Seite einer
hohen Felswand führte uG der gewundene Weg zu einem Platea», von dem wir
weit in die Thalebene hineinschauen konnten. Wir streckten uns in das Moos
und benutzten einen Felsblock als Kopfkissen. Uns zur Seite stand auf dem freien
Platze ein einzelnes Haus, das in der Wildheit seiner Umgebung und seinem ro¬
hen Bau an ein Blockhaus von Texas erinnern konnte. Aber nicht lauge genos¬
sen wir die Nuhe der Einsamkeit, hinter uns rauschte eS im dürren Laub und
Menschenstimmen, ein Sopran und ein Baß sprachen durch einander. „Der Vater
ist dem Waldmüller lange schon verschuldet," sang der frische Sopran, „denn die
Krankheit vom vorigen Jahre hat uns ins Unglück gestürzt, wir können die
Zinsen nicht aufbringen. Heut Abend will der Vater hinunter in die Mühle
und gute Worte geben, aber der Müller ist ein harter Mann, der sich nnr so
Hinhalten läßt, weil" — „„Weil er denkt, dich zum Weibe zu nehmen,"" donnerte
der Baß dazwischen, „aber da will ich eher" — „Still! laß mich ausreden, siehst
Du, deshalb will die Muhme auch mit, es ist Freundschaft mit dem Müller und
da drängt sie den Vater wegen der Heirath. Der Jakobfleischer borgt den kleinen
Kälberwagen."

„Nosla," sprach der Baß mit möglichster Zartheit, „halt nnr noch kurze Zeit
aus, es muß jetzt bald besser werden, Du erfährst uur nichts hier oben im Wald,
was in der Welt vorgeht, aber in die Stadt kommt jede Woche in die goldene
Sonne ein gelehrter Herr, der sagt's uns in gemeinen Worten, die recht zum
Herzen dringen. Jetzt ist die Zeit gekommen, sagt er, jetzt wird den Annen
hundertfältig ihre Noth vergolten werden. Aber bis es dahin kommt, muß eS
erst eine Weile bunt hergehen und manches umgekehrt werden."

Darauf der Sopran: „Davon verstehe ich Alles nichts, wie Du es meinst
Wilhelm." „Sieh zu," fuhr der Baß fort, „die Blümla wachsen anch nicht gleich
aus dem Eise, erst kommt der Sturm und bricht das Eis, das Bergwasser schwillt
und hilft tapfer das Eis fortspülen. Das ganze Gebirge will aufstehen und gute
Zeit schaffen, wir alle müssen mit. Merk auf Rosla, wer einen grünen Tannen-


29*
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[0235] Schäfer und seine Heerde waren nicht mehr zu sehen und die Bettelhorde stelzte wie Trappen quer durch die junge Wintersaat. „Aber das ist ja furchtbar, das schlimmste Elend, das ich je auf einem Haufen gesehen!" „Das ist unser Frieden," sprach der Baron, „dort liegt Langenbielau, wir wohnen im Wcberdistrict." II. Die Sonne war über ihren Höhenpunkt hinaus, unser Wirth hatte sich von uns getrennt, eine entfernte Fichtenpflanznng zu besehen; wir,' Alfred und ich, zogen es vor Aussichten in die Ebene von den Berghöhen aufzusuchen, bis ein Jägerdiner im Walde die ganze Gesellschaft vereinigen sollte. An der Seite einer hohen Felswand führte uG der gewundene Weg zu einem Platea», von dem wir weit in die Thalebene hineinschauen konnten. Wir streckten uns in das Moos und benutzten einen Felsblock als Kopfkissen. Uns zur Seite stand auf dem freien Platze ein einzelnes Haus, das in der Wildheit seiner Umgebung und seinem ro¬ hen Bau an ein Blockhaus von Texas erinnern konnte. Aber nicht lauge genos¬ sen wir die Nuhe der Einsamkeit, hinter uns rauschte eS im dürren Laub und Menschenstimmen, ein Sopran und ein Baß sprachen durch einander. „Der Vater ist dem Waldmüller lange schon verschuldet," sang der frische Sopran, „denn die Krankheit vom vorigen Jahre hat uns ins Unglück gestürzt, wir können die Zinsen nicht aufbringen. Heut Abend will der Vater hinunter in die Mühle und gute Worte geben, aber der Müller ist ein harter Mann, der sich nnr so Hinhalten läßt, weil" — „„Weil er denkt, dich zum Weibe zu nehmen,"" donnerte der Baß dazwischen, „aber da will ich eher" — „Still! laß mich ausreden, siehst Du, deshalb will die Muhme auch mit, es ist Freundschaft mit dem Müller und da drängt sie den Vater wegen der Heirath. Der Jakobfleischer borgt den kleinen Kälberwagen." „Nosla," sprach der Baß mit möglichster Zartheit, „halt nnr noch kurze Zeit aus, es muß jetzt bald besser werden, Du erfährst uur nichts hier oben im Wald, was in der Welt vorgeht, aber in die Stadt kommt jede Woche in die goldene Sonne ein gelehrter Herr, der sagt's uns in gemeinen Worten, die recht zum Herzen dringen. Jetzt ist die Zeit gekommen, sagt er, jetzt wird den Annen hundertfältig ihre Noth vergolten werden. Aber bis es dahin kommt, muß eS erst eine Weile bunt hergehen und manches umgekehrt werden." Darauf der Sopran: „Davon verstehe ich Alles nichts, wie Du es meinst Wilhelm." „Sieh zu," fuhr der Baß fort, „die Blümla wachsen anch nicht gleich aus dem Eise, erst kommt der Sturm und bricht das Eis, das Bergwasser schwillt und hilft tapfer das Eis fortspülen. Das ganze Gebirge will aufstehen und gute Zeit schaffen, wir alle müssen mit. Merk auf Rosla, wer einen grünen Tannen- 29*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/235>, abgerufen am 06.05.2024.